
Bonn, am 2. Juli 1993. Der Bundestag debattiert über die "Beteiligung der Bundeswehr an UNOSOM II", also darüber, ob Deutschland sich am UN-Einsatz in Somalia beteiligen soll, um am Horn von Afrika Frieden zu schaffen.
"Es geht um den Einstieg in eine neue Sicherheits- und Außenpolitik, deren zentrales Anliegen der Wiedereinstieg Deutschlands in die Weltpolitik, der ständige Sitz im Sicherheitsrat und - als angeblich notwendige Voraussetzung dafür - die militärische Normalisierung Deutschlands ist."
"Herr Kollege Klose, ich möchte Ihnen vor allem sagen: Es geht der Bundesregierung allein darum, in Somalia bedrängten Menschen zu helfen - und sonst um nichts."
Für die Regierung Kohl steht 1993 der Ruf Deutschlands auf dem Spiel: In Somalia will man zeigen, dass das wiedervereinigte Land willens und imstande ist, sich an internationalen Einsätzen unter UNO-Mandat zu beteiligen.
"Logistik für Kampftruppen ist kein humanitärer Einsatz, und deshalb ist dieser Einsatz verfassungsrechtlich nicht in Ordnung."
"Es wäre fatal, wenn Verlässlichkeit und Bündnistreue unseres Vaterlandes - und damit unsere Glaubwürdigkeit - von der inneren Zerrissenheit und den überholten ideologischen Positionen der Weltmacht SPD abhängen würden."
"Kameraden! Denken Sie an eins! Sie sind nicht im Geringsten an diese Temperaturen akklimatisiert. Seien Sie vorsichtig im Umgang mit diesen Temperaturen und meiden Sie die Sonne. Deshalb zuerst einmal unter dieses Zelt, marsch! Weg!"
Belet Huen: Diese 100.000 Einwohner-Stadt etwa 300 Kilometer nördlich von Mogadischu ist der Stationierungsort für die Deutschen. Hier gebe es, so zählt die Einsatz-Broschüre der Bundeswehr auf, "20 Restaurants mit somalischer Küche, acht Friseure, eine Computerschule" - und eine Videothek. Während in der Hauptstadt Mogadischu Tod und Verheerung herrschen, auch UN-Soldaten sterben, gilt Belet Huen als "sichere Umgebung": Ein "secure environment" für die Bundeswehr, das hat die Bundesregierung mit der UNO verabredet. Wobei zu diesem Zeitpunkt durchaus unklar ist, wie friedlich es in Belet Huen bleibt.
"Wir haben einen Hai getötet und damit 1.000 Haie auf die politische Bühne gelassen", zitiert der Deutschlandfunk später einen der Rebellen, die Siad Barre gestürzt haben. Eine Hungersnot bricht aus, Hunderttausende sterben. Die UNO schickt Anfang 1992 humanitäre Hilfe und Blauhelm-Soldaten. Die USA greifen mit einer eigenen militärischen Mission ein. Ab Ende 1992 trommeln die Vereinten Nationen dann Mitglieder für "UNOSOM II" zusammen.
"Ich weiß ganz genau, daran erinnere ich mich, dass natürlich der Wunsch, dass wir uns daran beteiligen, in erster Linie von draußen, unter anderem von den Vereinten Nationen kam."
"Es ist doch vollkommen klar, dass die Erwartungshaltung der Bundesrepublik Deutschland gegenüber - ohne dass das so absolut expressis verbis gesagt wurde - größer war, auch an Friedensmissionen teilzunehmen, an Out-of-area-Einsätzen. Aber es war nicht so, dass man da in besonderer Weise drauf gestoßen werden musste direkt."
Im Dezember 1992 beschließt die deutsche Bundesregierung, dass 1.700 deutsche Soldaten in Somalia dabei sein sollen.
"Ich kriegte kurz vor Weihnachten die Anfrage, ob ich bereit bin, die Aufgabe zu übernehmen als erster Kommandeur, und da habe ich am Telefon gesagt ‚ja‘…"
"… und wir wurden geimpft, kriegten Erstanweisung. Es wurde gerödelt, wie man so sagt."
Es gibt zu diesem Zeitpunkt bei der Bundeswehr keinerlei geregelte Verfahren für solch einen Einsatz - woher auch. Die Ansagen aus der Politik sind überdies mehr als widersprüchlich.
"Es ging um Transportleistung, es ging um sanitätsdienstliche Leistung - letztlich ein Logistikverband - aber auch Sicherung", so lauteten die Aufgaben, die Oberst Harff aufgezählt wurden. Er dachte, schildert er heute:
"Das wird nicht so einfach."
Aber: "Glauben Sie im Ernst, dass ich nicht von mir überzeugt war?"
Nur: Die Inder lassen auf sich warten. Sie werden nie kommen. Die deutsche Presse berichtet, dass die Soldaten im Camp "Ihr Inderlein kommet" singen. Bei aller Aufregung über Verfassungsfragen und Parteienstreit bemerkt in Deutschland kaum jemand, dass die UNOSOM II-Mission bereits auseinanderzubrechen droht, als die Bundeswehr sich in Belet Huen gerade erst einrichtet. Was Kommandeur Harff nach Bonn meldet, will dort offenbar niemand hören:
"Ich habe relativ früh von den Absichten der Franzosen und Belgier erfahren, dass sie ihr Kontingent abziehen müssen, den Einsatz beenden müssen, weil Sarajevo brannte, und für die Belgier, weil im Kongo die Tutsi und Hutu sich gegenseitig umbrachten. Ich habe sehr früh auch erfahren, dass die indische Brigade dann wohl kaum nach Belet Huen kommen könnte. Als ich das mit der indischen Brigade mal am Telefon erwähnte, wollte (man) mir das nicht glauben. Und ich hab gesagt: Fragt doch mal nach. Da habe ich nie mehr was von gehört."
"Abgesehen davon, dass UNOSOM II von den vorherigen Einsätzen eine hochgefährliche Sicherheitssituation erbte, war die Mission selbst jedoch auch in praktisch jedem Aspekt voller Fehler."
Das militärische Eingreifen zugunsten einer Seite habe das Vertrauen der Somalis in die internationale Gemeinschaft stark und dauerhaft erschüttert, erklärt Weber. Die Deutschen seien davon in gewisser Weise ausgenommen:
"Vor Ort ist das diese Geschichte: Die Deutschen haben nach Belet Huen die Kühlschränke gebracht, und die Amerikaner haben nach Mogadischu die Bomben gebracht. Also die Deutschen haben sich quasi um das Wohl der Menschen gesorgt - auch wenn es keinen Strom für diese Kühlschränke gab -, und die Amerikaner waren am Kriegsgeschehen beteiligt. Ich glaube, das ist auch das Bild, das die Deutschen vermitteln wollten. Die waren schon sehr beliebt, aber sie haben sich eben auch in einer relativen Sicherheitszone da am anderen Ende des Landes befunden, waren auch nicht mitten im Geschehen."
"Wir haben Schwerpunkt dann natürlich humanitären Einsatz gemacht, mit Feldlazarett, mit Wasserversorgung. Und wir haben Ausbildung gemacht: Flagge zeigen vor Ort, Schießausbildung in die Savannen-Wüste hinein."
Aber: "Man schickt Soldaten nicht, um Brunnen zu bohren."
Ulrike von Pilar war viele Jahre lang Chefin der deutschen Sektion von "Ärzte ohne Grenzen". Die "Médecins Sans Frontières" waren als eine der ganz wenigen Organisationen schon Anfang 1991 in Somalia. Viel zu spät habe die Welt auf die Katastrophe dort reagiert, kritisiert von Pilar - und als UNOSOM II endlich eintraf, sei die Hungersnot bereits vorbei gewesen:
"Das schmälert nicht unbedingt die Freude der Anwohner über die Brunnen und die Schule, aber einen sinnvollen Einsatz stelle ich mir anders vor. Zumal - ein paar Monate später der Völkermord in Ruanda ausbrach, und da hätten selbst Leute wie wir uns eine militärische Intervention zum Schutz der Zivilbevölkerung gewünscht. Und zu der Zeit hat dann überhaupt keiner mehr reagiert - unter anderem weil Somalia so furchtbar schief gegangen war."
Ja, es habe entsetzliche Fotos der Hungerkatastrophe gegeben, die ihre eigene politische Wirkung entwickelt hätten. Doch hätten auch die USA erst nach der Wahl 1992 wirklich gehandelt. Und die Europäer - so beschreiben es auch andere Beobachter - seien in Somalia auch eingestiegen, um davon abzulenken, dass ihnen zum auflodernden Konflikt im ehemaligen Jugoslawien nicht viel einfiel. In Deutschland wiederum wurden Somalia und Bosnien oft zeitgleich bloß als Stichworte dafür gehandelt, dass Deutschland bei der Konstruktion einer neuen Weltordnung dabei sein müsse.
Ulrike von Pilar: "Wir sind durch diesen Militäreinsatz akut in Gefahr gebracht worden - weil die Soldaten immer wieder erklärten, sie seien aus humanitären Gründen da. Für die somalische Bevölkerung war das völlig ununterscheidbar, wer nun wirklich humanitäre Hilfe leistete, oder wer eben militärisch war. Deswegen ist auch Somalia für viele von uns so eine Art Schlüsselerfahrung gewesen, weil es so grausam schief gegangen ist, und einige von uns vermutet haben, dass das durchaus ein sehr gefährliches Muster werden könnte: Nämlich diese Idee, dass man Konflikte in "Drittweltländern" mit militärischer Intervention von außen bezwingen und beenden könnte, - mit der ganzen Rhetorik verbunden, das als sogenannten humanitären Einsatz zu verbrämen. Also diese Vermischung humanitär–Militär, das hat erst kurz im Nord-Irak, aber dann ganz besonders in Somalia begonnen."
Im November 1993 steht in einer Reportage über den Somalia-Einsatz in der "Zeit" zu lesen: "Manche Soldaten feixen schon, mit ihren fast 8.000 Mark Monatssold seien sie die 'bestbezahlten Volleyballspieler der Welt'. Denn mit Sport schlagen sie ihre Zeit tot."
"Als Soldat habe ich mich furchtbar beschämt gefühlt, weil wir eine Ausstattung hatten, da hätten wir helfen können, auch den Amerikanern - durften es aber nicht."
Ein anderer Auftrag wäre natürlich innenpolitisch nicht möglich gewesen, sagt er - damals sei es eben ein Einstieg ins internationale Engagement gewesen. Bis heute vermisst Harff in der Politik jedoch klare Zielvorgaben, auch die Vorstellungskraft, was ein Militäreinsatz bewirken könne - und was nicht. Aber: "Wenn der ursprüngliche Auftrag falsch gestellt war, ist das nicht Sache der Soldaten."
"Ich glaube, man kann von außen keinen Frieden erzwingen. Dieses Erwartungsmanagement, zu denken, wir kriegen das hin, wir gehen da rein, dann befrieden wir die Situation, wir beenden die Streitigkeiten dann kann der Staatsaufbau beginnen, das ist eine Selbstüberschätzung."
Die Verantwortung und der Friedenswille der lokalen Akteure seien nicht zu ersetzen. Das Beispiel Syrien zeige, dass die internationale Gemeinschaft in Teilen vorsichtiger geworden sei:
"Aber ob das jetzt eine Ernüchterung ist oder einfach ein Aufgeben oder eine Hilflosigkeit, das ist schwer zu beurteilen."
"Wenn ich mir die Auslandseinsätze und diese gesamte Friedenspolitik ansehe, dann ist das Bild nicht absolut und zwingend positiv. Auf der anderen Seite sind Situationen da, wo es gar nicht anders geht, als dass man tatsächlich solche Friedensmissionen versucht. Wenn ich mich heute hinstellen würde und müsste bilanzieren, wie das war in Afghanistan, im Kosovo, oder wie es damals in Somalia war, dann kann es sehr gut sein, dass es, insgesamt bewertet, vielleicht nicht alles als erfolgreich angesehen wird."