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Vor 25 Jahren
Als das Urteil im Mykonos-Prozess fiel

Eindeutig bewies das Berliner Kammergericht, dass von Teheran beauftragte Killer 1992 im Restaurant Mykonos vier iranische Oppositionelle erschossen hatten. Ermitteln musste die Justiz gegen Widerstände deutscher Behörden. Doch am 10. April 1997 wurde das Urteil im "Mykonos-Prozess" verkündet.

Von Andreas Baum | 10.04.2022
Polizeibeamte und Schaulustige vor dem griechischen Lokal "Mykonos" in Berlin-Wilmersdorf, am Tag nach dem Mordanschlag vom 17. September 1992
Das Restaurant Mykonos in Berlin-Wilmersdorf am Tag nach dem Attentat auf iranische Kurden 1992 (picture-alliance / dpa)
Das Signal ist verabredet: Als am späten Abend des 17. September 1992 in einer konspirativen Wohnung am Rande Berlins das Telefon klingelt, wissen die Killer Bescheid. Die Zielpersonen sind eingetroffen. Über die leere Stadtautobahn rasen sie, vier Libanesen und ein Iraner, in die Prager Straße in Wilmersdorf. Um 22:54 Uhr betreten sie das Restaurant Mykonos. Sie wissen genau, wo ihre Opfer sitzen: im Hinterzimmer. Anders als vier der acht Personen im Raum überlebt der iranische Politologe Parviz Dastmalchi, das Attentat- und berichtete:
"Auf einmal dreh ich mich um und sehe, rechts von mir steht jemand und schreit: Ihr Hurensöhne – und schießt auf uns. Zuerst in Richtung von Generalsekretär Scharafkandi. In dem Moment springe ich nach hinten unter einen Tisch und neben mir lag der Europavertreter Fattah Abdoli, der Mund war voller Blut. Ich habe mich so gestellt, als ob ich tot wäre. Und dann sehe ich diese Hand mit einer Pistole, und es fallen Schüsse.“

Nicht der erste Mord an iranischen Kurdenführern

Schalldämpfer schlucken die Schläge. 29 Kugeln aus einer Maschinenpistole und einer Pistole töten die Führungsriege der Demokratischen Partei Kurdistans im Iran, DPKI. Neben Fattah Abdoli stirbt ihr Vorsitzender Sadegh Scharafkandi, ihr Deutschlandvertreter Homayun Ardalan und Nuri Dekordi, ein Übersetzer. Unter falschem Namen waren die iranischen Oppositionspolitiker nach Berlin gereist, um an einem Kongress der Sozialistischen Internationale teilzunehmen, der auch die SPD angehört. Eingeladen hatte sie Björn Engholm.
Nur Stunden später übernahm die Karlsruher Bundesanwaltschaft den Fall. Zu sehr ähnelte die Tat dem Mord an drei iranischen Kurdenführern drei Jahre zuvor. Zuständiger Bundesanwalt wurde Bruno Jost. Sein Verdacht: Staatsterrorismus. Auf der Beerdigung ihres Mannes in Berlin beschuldigte Nuri Dekordis Witwe Shoe Baddieh in ihrer Totenklage offen den Iran und skandiert, "Chomeini Mörder! Die Islamische Republik Mörder! Mörder Islamische Republik! “

Sollte sich sich die Justiz mit dem mächtigen Iran anlegen?

Mehrfach hatte der Iranische Geheimdienst in den Jahren zuvor Oppositionelle und Überläufer in der ganzen Welt ermorden lassen, von Strafverfolgung relativ unbehelligt. Kaum eine Regierung wollte sich mit dem wirtschaftlich und strategisch wichtigen Iran anlegen. Dieser Mord aber ging der deutschen Justiz zu weit, sie war entschlossen zu handeln. Wie sicher sich das kurz vor der Tat eingereiste Angriffsteam des iranischen Geheimdienstes fühlte, zeigt sich daran, dass zwei Täter in Deutschland blieben und bald festgenommen wurden. Drei weitere fand Interpol im Ausland.

Als der Mykonos-Prozess, der nun begann, am 10. April 1997 mit einer Verurteilung endete, machte das Gericht klar, dass die Mörder nicht allein auf der Anklagebank gesessen hatten. Der Geheimdienstchef des Iran, Ali Fallahian, wurde in der Urteilsbegründung namentlich als Autor der Tat benannt. Nicht nur die Urteile – zwei Mal lebenslänglich und hohe Haftstrafen – auch der klare Hinweis auf die Hintermänner erfüllte den Anwalt der Nebenkläger, Wolfgang Wieland, mit Genugtuung:

„Es ist in einer Eindeutigkeit hier die Verantwortung der iranischen Staatsspitze ausgesprochen worden, wie wir es uns nur erträumen konnten. Wir sind hochzufrieden damit, dass das Gericht nicht davor zurückgeschreckt ist, die Verantwortlichen zu benennen.“

Düstere Drohungen aus Teheran nach dem Urteil

Die Bundesregierung dagegen hätte dieses Urteil am liebsten verhindert. Gerade hatte Bernd Schmidbauer, Staatsminister im Kanzleramt von Helmut Kohl, mit dem Iran einen so genannten kritischen Dialog begonnen. Am Ende konnte sie nichts dagegen tun, dass die Staatsspitze des Iran für den Mordanschlag verantwortlich gemacht wurde, denn Staatsanwalt Bruno Jost war es gelungen, ihre Finten trickreich zu umgehen. Nach dem Urteil tobte Teheran und stieß düstere Drohungen aus, auch gegen den tapferen Jost, der sich aber nicht einschüchtern ließ:
„Wir haben kein Sakrileg begangen. Wir haben den moslemischen Glauben nicht angegriffen und die moslemischen Gläubigen nicht angegriffen. Wir haben die Ergebnisse der dreijährigen Beweisaufnahme zusammengefasst. Nicht mehr und nicht weniger.“
Am Tag nach dem Urteil im Mykonos-Prozess zogen alle EU-Staaten außer Griechenland ihre Botschafter aus Teheran ab. Der zu lebenslänglich verurteilte Hauptdrahtzieher der Morde, Kazem Darabi, wurde 2007 vorzeitig entlassen, höchstwahrscheinlich im Austausch gegen den deutschen Steinmetz Donald Klein, der beim Hochseeangeln im Persischen Golf versehentlich in iranische Gefangenschaft geraten war.