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Vor dem Brexit-Referendum
"Ich will mein Land zurückhaben"

Im konservativen Torquay an der Englischen Riviera ist man sich einig: Ein Brexit wäre das Beste für Großbritannien. Es ist vor allem die Sorge vor dem Verlust an nationaler Kontrolle. Und das Gefühl, dass die Entscheidungen der Bürokraten im fernen Brüssel für die Bürger vor Ort von Nachteil sind.

Von Friedbert Meurer | 14.06.2016
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    Im konservativen Torquay gibt es viele, die für den Brexit sind (picture-alliance / dpa / Mark Read)
    Es ist kurz nach acht Uhr abends im Princess Theatre am Hafen, einem etwas wuchtig geratenen Theater- und Kinosaal. Durch die großen Fenster sieht man Urlauber und Einheimische auf dem Pier flanieren, das Riesenrad dreht seine letzten Runden. Die Bucht von Torbay schimmert leuchtend blau. Im Saal erinnert sich die Tory-Unterhausabgeordnete des Nachbarwahlkreises, Anne Marie Morris, an das Referendum von 1975. Seit der Zeit habe sich viel verändert, deswegen ist sie für den Brexit.
    William Dartmouth, Europaabgeordneter von UKIP, beschwört auch die alten Zeiten und attackiert die Bank von England. Zentralbanken hätten früher die Leute beruhigt, jetzt prophezeie die Nationalbank eine Krise nach der anderen, falls Großbritannien die EU verlässt. Die EU liege doch darnieder mit wenig Wachstum, hohen Steuern und hoher Arbeitslosigkeit.
    Die erste Frage aus dem Publikum wird gestellt:
    "Warum sollen wir nicht außerhalb einer undemokratischen, föderalen und diktatorischen EU bestehen können?"
    "Die Fischer hier in der Gegend haben ihre Jobs verloren. Sie werden alle dafür stimmen, die EU zu verlassen. Ich will mein Land zurückhaben."
    Schnell wird klar, dass die meisten der 200 Zuschauer hier in Torquay für einen Ausstieg aus der EU sind. Ein EU-Befürworter steht auf und wirft ein, die EU habe doch für Frieden in Europa gesorgt. Keine Reaktion im Publikum. Im Foyer des Theaters sind inzwischen zwei durchsichtige Plastikkisten aufgestellt worden. Die Zuschauer werfen einen Strohhalm in die Kisten - linke Kiste "in der EU", rechts "raus aus der EU".
    Sorge vor einem Verlust an Kontrolle
    "Wir stimmen nicht für den Status quo. Es wird immer schlimmer mit der Einwanderung."
    "Ich habe für den Ausstieg gestimmt. Wenn ich alles abwäge, möchte ich, dass wir wieder anfangen, unser Land selbst zu kontrollieren. Wer arbeiten und englisch lernen will, sehr gerne – aber 300.000 Zuwanderer jährlich sind zu viel."
    "Die Idee, dass wir uns in Europa integrieren, ist gut. Mit den Menschen in Europa gibt es keine Probleme. Das gilt für Deutschland erst recht, das ist ein großartiges Land. Aber es ist so, wir können nichts mehr kontrollieren."
    Ein Schlüsselwort: Die Sorge vor einem Verlust an Kontrolle sitzt tief. Bürokraten fernab in Brüssel entschieden, nicht die Politiker vor Ort. Im Saal hat die Tory-Abgeordnete Morris gerade der EU die Schuld gegeben, dass man nicht die Mehrwertsteuern für Hotels in Devon absenken könne.
    "Wir hätten dann nicht diese Differenz bei der Mehrwertsteuer zu unseren Freunden in Frankreich auf der anderen Seite des Kanals. Sie haben nur 10 Prozent. Und wir können das nicht ändern ohne Zustimmung der EU."
    Kevin Foster erhebt Einspruch, er ist der örtliche Unterhaus-Abgeordnete von Torquay, auch ein Tory. "Die Mehrwertsteuersätze variieren in ganz Europa. Die Regierung in Westminster hat die Wahl, das für Tourismusbetriebe zu verändern so wie in Frankreich."
    Im Saal lässt der Moderator – zusätzlich zu den Plastikkisten im Foyer – per Handzeichen abstimmen. Klare Mehrheit für den Brexit. 144 zu 86 wird es später mit den Strohhalmen genau nachgezählt.
    Deutschland kann als Schuldner andere Länder kontrollieren
    Torquay ist ein florierendes Seebad, auch aus Deutschland kommen Reisebusse. Die Arbeitslosigkeit ist nicht besonders hoch. Das ist konservatives West Country. Es gibt ganz klar den gebildeten, höflichen, gut situierten Brexiter – nur gelegentlich wird der Ton ein wenig zu national.
    "Angela Merkel läuft herum, als würde sie überall regieren. Deutschland hat zwei Weltkriege gekämpft und hat jetzt entdeckt, es ist billiger, Länder als Schuldner zu kontrollieren, als das durch irgendwelche anderen Mittel zu erreichen."
    Er ist der Ehemann der Abgeordneten Morris, stellt sich schnell heraus. Sie und ihr Parteifreund Foster beteuern, dass nach dem 23. Juni wieder Harmonie bei den Tories herrschen wird – das bezweifeln nicht wenige.
    "Ist das nicht großartig, dass David Cameron über eine so wichtige Frage ein Referendum angesetzt hat? Die Menschen können das über die Parteipolitik stellen. Ich finde das sehr gut. Das ist ein Ausdruck von Stärke, nicht von Schwäche."
    "Ich weiß, dass die Deutschen aus historischen Gründen Vorbehalte gegen Volksentscheide haben. Aber vielleicht gibt es das auch einmal in Deutschland, dass die Menschen entscheiden können, was sie wollen und nicht, weil sie sich einer Partei verpflichtet fühlen."