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Vor dem G20-Gipfeltreffen in Hamburg
Eine Stadt zwischen Panikmache und Protestwelle

In Hamburg wappnen sich Polizei und Aktivisten für das Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der 20 führenden Industrienationen im Juli. Die Sicherheitsbehörden rechnen mit bis zu 100.000 Demonstranten und gewalttätigen Ausschreitungen. Streit gibt es im Vorfeld über den Ort der Großdemonstration.

Von Axel Schröder | 17.06.2017
    Ein Logo protestiert gegen den G20-Gipfel.
    G20-Gipfelgegner mobilisieren in Hamburg - unter anderem mit Aufklebern auf Laternenmästen. (Axel Schröder)
    Die Elbphilharmonie ragt weit hinauf in den blauen Himmel, Touristen flanieren über die große Fläche vor dem Konzerthaus, über den "Platz der Deutschen Einheit". Ganz am Rand kämpfen junge Aktivisten mit den Windböen, die hier besonders stark wehen. Die kleinen mitgebrachten Zelte müssen sie festbinden, damit sie nicht wegfliegen:
    "Wir veranstalten hier eine Protestaktion für die Camps während der G20-Proteste. Wir wollen das Wild-Campen simulieren. Falls Camps nicht erlaubt werden. Dass die Leute überall in der Stadt zelten. Deswegen haben wir hier Zelte aufgebaut. Gleich gibt es Kartoffelsalat und Würstchen und Getränke. Alles umsonst natürlich. Kostenlos, gegen Spende."
    Protesten mit Zelten für die geplanten Camps der Gipfelgegner
    Vor der Elbphilharmonie protestieren Gipfelgegner mit Zelten. (Axel Schröder)
    Deniz Ergün gehört zum Bündnis "G20 entern – Kapitalismus versenken". Nach bisherigem Stand wird es während des G20-Gipfels keine Erlaubnis für Protest-Camps in der Hansestadt geben. Weder im Altonaer Volkspark, noch auf der weiten Rasenfläche im Stadtpark. Dort hatten die Gipfelgegner schon im Mai in einer symbolischen Aktion ihre kleinen Zelte aufgeschlagen. Ein harmloser Protest, überwacht von einem einzigen Mannschaftswagen der Polizei:
    "Wir wollen einen Ort schaffen, der bereits an sich Ausdruck des Protestes ist. Ein Ort, der ein Gegenentwurf zum kapitalistischen Alltag ist, für den die G20 symbolisch stehen."
    Die Polizei will keine Camps dulden
    Allerdings führt am Stadtpark eine der so genannten Transfer- oder Protokollstrecken vorbei, also eine der Routen, auf denen die Konvois der Staatspräsidenten und Regierungschefs entlang fahren - wenn Donald Trump, Wladimir Putin oder Recep Tayip Erdogan vom Flughafen in Fuhlsbüttel zum innerstädtischen Tagungszentrum in den Messehallen eskortiert werden, müssen sie hier entlang.
    Und auch das heute schon mit NATO-Draht-Rollen gesicherte Polizeipräsidium ist vom Stadtpark aus in fünf Minuten bequem zu Fuß zu erreichen. Dass dort nur friedliche Protestierer campen und einen "Gegenentwurf zum kapitalistischen Alltag" leben wollen, daran will Polizeisprecher Timo Zill einfach nicht glauben:
    "Stadtpark ist natürlich etwas, was mitten in der Transferzone liegt. Es wird durchaus als 'Hort des Militanten' genutzt. Es ist Rückzugsraum. Man organisiert sich dort und verabredet weitere Aktionen. Auch drumherum werden wir zum G20-Gipfel keine Camps, keine Wild-Camps in dieser Stadt dulden und insofern sind wir in guter Abstimmung mit den jeweiligen Bezirksämtern, dass wir denn mit einer Null-Toleranz-Politik dort entsprechend auch reagieren."
    "Die Bevölkerung ist schon ein bisschen auf Revolte"
    Wie gewalttätig wird der Protest? Welche Einschränkungen des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit sind deshalb zu rechtfertigen? Ist es wirklich eine gute Idee, einen G20-Gipfel mitten in einer Millionenstadt zu veranstalten? Und muss man umstrittene Staatenlenker aus Moskau, Ankara oder Washington in der Hansestadt wirklich "herzlich willkommen" heißen? Diese Fragen treiben die Bewohner der Hansestadt in diesen Wochen vor dem Gipfel um – die Debatte unterscheidet sich nicht von vorangegangenen an anderen G-20-Tagungsorten:
    "Also, ich finde das gut! Die Leute sollen her, dann wird Hamburg bekannt! Ist doch gut. Ich denke, Hamburg ist eine weltoffene Stadt oder ist das ein Dorf?"
    "Erstmal sind die Herren hier nicht erwünscht. Deswegen ist die Bevölkerung schon ein bisschen auf Revolte. Und wie viele Gelder werden ausgegeben für Sicherheitsmaßnahmen? Man hätte es auch woanders machen können. Ich glaube, viele sehen es auch als Provokation!"
    "Für mich sind das wirklich kriegsähnliche Situationen, sage ich ganz klar und deutlich! Und ich werde nach Kassel zur documenta fahren, weil es für mich unerträglich sein wird. Und dann kommt noch dazu: es ist das erste Mal in 50 Jahren, dass ich mich traue, zur Demo zu gehen."
    Vor allem die bewaffneten Leibwächter ausländischer Delegationen hält sie für ein Sicherheitsrisiko:
    "Weil kein Mensch wissen kann, wer von denen meint, aufpassen zu müssen und seine Waffe zieht."
    Großes Polizeiaufgebot
    Insgesamt sollen 19.000 Beamte von Landes- und Bundespolizei den Gipfel schützen. Dazu kommen noch die Beamten des BKA. Die GSG 9 wird vor Ort sein, Amtshilfe leisten auch österreichische und niederländische Spezialeinheiten. In den Dachkammern in der Nähe der Messehallen werden Scharfschützen postiert. Und längst ist der Secret-Service der Amerikaner in Hamburg unterwegs. Nach Anschlägen auf den Fuhrpark der Polizei und den Eingang zu den Messehallen vor dem OSZE-Gipfel im letzten Jahr stehen schon heute an neuralgischen Punkten Mannschaftsbusse der Polizei. Einige Schulen stellen es den Eltern frei, ob sie ihre Kinder an den Tagen rund um den Gipfel zum Unterricht schicken oder nicht, die Polizei klärt auf, das Ausschreitungen auf dem Schulweg nicht ausgeschlossen werden können.
    Einige 100.000 Menschen werden nach Schätzungen von Polizei und den Organisatoren von Demonstrationen an den Gipfeltagen in Hamburg protestieren. Die große Mehrheit wird das friedlich tun. Aber bis zu 8.000 Protestler stuft Polizeisprecher Timo Zill als "gewaltbereit" ein.
    "Sieben- bis achttausend - das ist der derzeitige Stand an militanten Linksextremisten, die hier nach Hamburg kommen wollen. Das kann sich tatsächlich auch wieder verändern. Darauf werden wir auch entsprechend reagieren..."
    ... und diese Prognose ist auch Grundlage der so genannten "Allgemeinverfügung," die für heftige Kontroversen sorgt: auf 38 Quadratkilometern des Hamburger Stadtgebiets, der so genannten "Blauen Zone", sind Demonstrationen untersagt. Der Sperrbereich umfasst die gesamte Hamburger Innenstadt und breite Korridore entlang der Hauptstraßen in Richtung Norden, zum Flughafen. Und wenn die Staatsgäste am ersten Gipfelabend einem Konzert in der Elbphilharmonie lauschen werden, gehört das Areal rings um das Konzerthaus zur "Roten Zone", mit besonders hohen Sicherheitsauflagen.
    Protest aus der autonomen Szene
    Dass es bei diesen Einschränkungen nicht bleiben wird, befürchtet Andreas Blechschmidt vom Sprecherteam des linksautonomen Zentrums "Rote Flora". Während der Gipfeltage soll das Gebäude als Informations- und Ruheort für Demonstrierende genutzt werden. Oben auf dem einstigen Varietétheaters leuchtet aus zusammengesteckten blauen Neonröhren der Schriftzug "No G20".
    "Wir gehen davon aus, dass die Beschränkungen, die jetzt hier schon öffentlich gemacht worden sind, dass das nicht das Ende der Fahnenstange ist. Wir gehen darüber hinaus davon aus, dass es nicht möglich sein wird, sich hier ohne Weiteres in Hamburg zu bewegen, dass es hier sehr viele polizeiliche Kontrollen gibt. Und dass es den Versuch geben wird, auch ohnehin Menschen, die protestieren wollen, gar nicht erst nach Hamburg kommen."
    Andreas Blechschmidt verweist auf die Ankündigungen der Bundespolizei, schon an der deutschen Grenze all jene aufzuhalten, die bei früheren Gipfelprotesten aufgefallen sind. Tatsächlich organisieren schon seit Monaten etliche linke, teils radikale Gruppen aus Griechenland, Spanien oder den skandinavischen Ländern ihre Anreise zum G20-Gipfel nach Hamburg. Dass aber wirklich 7.000 bis 8.000 linksextremistische Gewalttäter in Hamburg für Chaos sorgen wollen, wie es die Lageanalyse der Polizei annimmt, bezweifelt der Aktivist.
    "Da wird einfach legitimer Protest im Vorfeld diskreditiert. Und mit diesem Gewaltdiskurs soll in der Öffentlichkeit die Stimmung erzeugt werden, dass es eigentlich kaum legitimen Protest geben darf, sondern dass hier einfach die Polizei freie Bahn bekommt. Das kann man so nicht hinnehmen."
    Zu den Protesten gehen den G20-Gipfel wird internationale mobilisiert - so auch, wie hier zu sehen, in Athen.
    Zu den Protesten gehen den G20-Gipfel wird internationale mobilisiert - so auch, wie hier zu sehen, in Athen. (Axel Schröder)
    Der Senat schüre Ängste, sagt Die Linke
    Christiane Schneider von der Partei Die Linke in der Bürgerschaft sieht es genauso: der Hamburger Senat schüre gezielt Ängste und kriminalisiere sogar die von einem breiten Bündnis getragene Großdemonstration am 8. Juli, dem zweiten Gipfeltag. Gewerkschaften, die Nordkirche und Grüne Jugend oder Attac wollen dann zusammen mit linken und linksradikalen Gruppen auf die Straße gehen. Und das passe dem Senat nicht, so Christiane Schneider:
    "Die Veranstalter sagen, ich weiß nicht, seit Wochen, immer wieder: unsere Übereinstimmung ist: wir gehen gemeinsam los, wir kommen gemeinsam an, alle sollen mitgehen dürfen – Frauen mit Kinderwagen ebenso wie Menschen im Rollstuhl. So wollen wir demonstrieren. Das ist völlig klar, was damit gemeint ist. Und immer wieder wird gesagt – von den Regierungsfraktionen oder eben vom Innensenator oder eben vom Verfassungsschutzchef: ‚Da werden Gewalttäter hinkommen!‘ und ‚Seht Euch vor, wenn Ihr zu dieser Demonstration geht! Da findet keine Distanzierung von Gewalt statt!‘ Und damit wird diese Demonstration, die eindeutig bestimmt ist und wo sich alle Veranstalter einig sind, die wird stigmatisiert, die wird in ein bestimmtes Licht gerückt, um Leute abzuschrecken. Das ist daneben!"
    Aktivisten kündigen "Regelübertritte" an
    "Distanzierung von gewalttätigen Aktionen" - linke Aktivisten wie Emily Laquer und Nico Berg vom Sprecherteam der Block G20-Demo nennen das "unnötig". Die Beiden sind Mitglied in der vom Verfassungsschutz beobachteten "Interventionistischen Linken" und stehen auf dem Standpunkt: Mit Gewalt habe ihr Protest nichts zu tun.
    "Wir machen einen kollektiven Regelübertritt, wir setzen uns auf die Straße, wir blockieren. Wir werden die Zufahrtswege verstopfen und wollen eben dieses Zeichen setzen: ‚Wenn Ihr diesen Gipfel durchzieht, müsst Ihr zuerst an uns vorbei!‘"
    "Und wir haben uns verständigt, dass wir sagen wollen, was wir tun und tun, was wir sagen. Das heißt, dass wir offen ankündigen, was wir tun!"
    … sagt Emily Laquer. Trotz des massiven Polizeiaufgebots hofft die Gruppe, sehr dicht an das Tagungszentrum heranzukommen. Vor zehn Jahren, beim G8-Gipfel in Heiligendamm, ging diese Taktik auf, so Nico Berg:
    "Wir wollen hinter die Polizei! Die Polizei ist nicht unser Ziel. Und wie wir das auch schon auf den Feldern von Heiligendamm gemacht haben, durch die Polizeiketten hindurchflutschen. Das ist so: wenn man sich auffächert, entstehen zwischen den Polizistinnen und Polizisten Räume. Und da wollen wir durch!"
    Die linken Aktivisten organisieren sogenannte "Aktionstrainings-Camps". Um einen kühlen Kopf zu bewahren, wenn die Einsatzkräfte anrücken sollte, um die richtige Sitzhaltung zu üben für das Wegtragen durch die Polizei.
    Der Innensenator warnt die Gipfelgegner
    Welche Straßen blockiert werden könnten, darüber schweigt sich Nico Berg genauso aus wie Innensenator Andy Grote über mögliche Fahrtrouten der Staatgäste vom Flughafen zu den Messehallen oder zu ihren in der gesamten Innenstadt verteilten Hotels. In jedem Fall, so der Senator, sei es keine gute Idee, die so genannten Protokollstrecken zu blockieren:
    "Ich glaube, das machen sich viele so nicht bewusst, dass wir hier Menschen zu Gast haben, die zu den am meisten gefährdeten Personen der Welt gehören. Und deren Personenschutzkonzepte vollständig darauf aufbauen, dass deren Kolonne nicht stehenbleiben. In dem Moment, wo die stehenbleiben, besteht aus deren Sicht eine sofortige, unmittelbare, höchste Anschlagsgefahr. Und in ein solches Szenario sollte sich niemand hineinbewegen."
    Hamburgs gut vernetzte linke Szene spricht angesichts dieser Warnungen von "Eskalations-Phantasien", Innensenator Andy Grote sei ein "Verbote-Grote" und die Vorbereitungen für den G20-Gipfel seien maßlos überzogen. Dem Senat gehe es um einen Vorwand für eine Null-Toleranz-Linie der Polizei.
    Aber ganz so friedlich, wie es wiederum die Gegner des G20-Gipfels suggerieren, wird der Protest sicher nicht ausfallen.
    Die Mobilisierung wirbt auch mit militanten Bildern
    Seit einem Jahr läuft die europaweite Mobilisierung für den Gipfel. Mit Konferenzen, auf Facebook und Youtube: in den Videos einiger linksradikaler und –extremistischer Gruppen brennen Einsatzwagen, fliegen Sprengkörper in Polizeireihen, wird Jagd gemacht auf Einsatzkräfte. Die Polizei ist der Feind, der Protest brutal und gewalttätig.
    Ohne diese martialischen Bilder, etwas subtiler wird in Netzvideos für die "Welcome to Hell"-Demonstration am 6. Juli, einen Tag vor dem Eintreffen der Staatsspitzen geworben.
    "Gewalt gibt es jeden Tag: Ämter, Behörden, Schreibtischtäter, Jobcenter, Mauern und Mittelmeer! – Pflastersteine dagegen mittelschwer. Menschen, die hungern und Kinder im Bunker. – Hamburg, Neuer Wall, Läden voll Klunker! Und ihr wundert euch wirklich, warum es brennt? Hamburg, meine Perle – Pflasterstein und Scherben!"
    In der Allgemeinverfügung der Stadt, die die gesamte Innenstadt zur Demoverbotszone erklärt, sind etliche dieser Aufrufe als Beleg für eine gewaltbereite Protestbewegung aufgeführt. Auch eine Liste linksextremistisch motivierter Straftaten ist beigefügt, darunter die Brandstiftungen an sechs Polizeibussen im Vorfeld des Gipfels. Hamburgs Innensenator Andy Grote sieht seine Linie – Versammlungsverbote in der gesamten Innenstadt und das Verbot von Camps – damit bestätigt.
    "Ich glaube, wenn man zu der Einschätzung käme, es wird eine ganz friedliche, harmonische Veranstaltung und die Polizei kann da ohne Probleme agieren und wird immer freundlich behandelt, dann müsste man sich schon den Vorwurf der Naivität gefallen lassen."
    Aber deshalb sei es noch lange nicht legitim und auch nicht legal, die gesamte Innenstadt und auch das Heiligengeistfeld für friedlichen Protest zu sperren, meint Andreas Blechschmidt von der "Roten Flora:
    "Ob es diese gewalttätigen 8.000 Menschen gibt, ist das Eine. Und selbst, wenn es so wäre, kann deshalb nicht für den Rest der Stadt das Versammlungsrecht suspendiert werden. Dann ist es Aufgabe der Polizei, diejenigen, die aus ihrer Sicht stören, aus ihrer Sicht kein legitimen Protest auf die Straße tragen, eben polizeilich zu erfassen. Deswegen kann aber nicht für eine Demonstration, die mit über hunderttausend Teilnehmern rechnet, das Versammlungsrecht zur Disposition gestellt werden."
    Diese Kundgebung auf dem Heiligengeistfeld, mit 50.000 bis 100.000 Menschen wollen Polizei und Senat mit allen Mitteln verhindern.
    Vorwand Bauarbeiten?
    Die zwölf Hektar große Fläche würde zwar genug Platz bieten. Sie liegt aber in der sogenannten "Blauen Zone", rund 300 Meter vom Tagungszentrum der G20 entfernt. Die Fläche würde von der Polizei für das Parken und Rangieren ihrer Fahrzeuge gebraucht, heißt es in der Verfügung der Versammlungsbehörde. Deshalb soll die Abschlusskundgebung auf dem benachbarten Millerntorplatz stattfinden.
    Dieser Ort sei aber völlig ungeeignet, argumentiert Cornelia Ganten-Lange, deren Mandantin, das Demonstrationsbündnis "G20-Not welcome", die Klage gegen das Versammlungsverbot auf dem Heiligengeistfeld anstrengt. Der "Millerntorplatz" sei keine Alternative:
    "Sie haben dort eben keinen Platz! Sondern das ist ein Straßengefüge, was sie haben, wo es eben schwierig ist, die Teilnehmer der Versammlung dann auch auf der Abschlusskundgebung erreichen zu können."
    Bauarbeiten auf dem Heiligengeistfeld in Hamburg.
    Bauarbeiten auf dem Heiligengeistfeld - nur ein Vorwand, um eine Großdemonstration in Nähe zum Veranstaltungsort zu verhindern? (Axel Schröder)
    Schwerwiegender aber sei, dass eine Kundgebung auf dem Millerntorplatz zu weit entfernt von den Messehallen stattfinden würde, erklärt die Rechtsanwältin. Im Juni 2007 hatten die Richter des Bundesverfassungsgerichts nach einer Klage anlässlich der Proteste gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm entschieden: eine Kundgebung müsse in "Hör- und Sichtweite" zum Ort des Treffens stattfinden. Auch Ulrich Karpen, emeritierter Professor für Verfassungsrecht, geht davon aus, dass die Vorgaben der Hamburger Versammlungsbehörde viel zu streng sind.
    "Ich halte das Heiligengeistfeld für die Schlussveranstaltung - 'Warum sind wir hier? Was wollen wir? Was wollen wir nicht?' - für geeignet. Ich halte es für zulässig, dass man kleinere Gruppen auch näher an den inneren Bereich herankommen lässt, um dort deutlich zu machen, dass die Demonstrationsteilnehmer ihre Botschaft in Hör- und Sichtweite der Teilnehmer der G20-Tagung erreicht!"
    Hamburgs Innensenator Andy Grote ficht das nicht an. Er hält die Allgemeinverfügung für rechtmäßig. Dazu komme, so Grote, dass auf dem Heiligengeistfeld gerade nach Blindgängern aus dem Zweiten Weltkrieg gesucht werde:
    "Auf der Fläche, wenn man da vorbeifährt, sieht man das, da ist ein riesiger Erdaushub. Die Arbeiten laufen eben, auch noch die nächsten Wochen."
    Aber auch die Bauarbeiten auf der Fläche seien kein Problem, so Rechtsanwältin Ganten-Lange:
    "Sie erinnern sich: am 8. Juli, einem Sonnabend, soll die Veranstaltung dort stattfinden, am 10. Juli, einem Montag, sollen diese Arbeiten dort beendet sein. Sodass ich nur sagen kann: das ist vorgeschoben. Insbesondere auch, weil die Bauarbeiter gar nicht am Samstag und Sonntag arbeiten, die Versammlung ist am Samstag. Das heißt, am Freitag sind diese Bauarbeiten längst abgeschlossen. Für den 10. Juli ist dort nämlich eine Veranstaltung geplant."
    Eine Beschleunigung der Bauarbeiten, zum Beispiel durch Wochenendschichten, ist nicht geplant, heißt es aus dem Senat.
    Bauarbeiten auf dem Heiligengeistfeld in Hamburg.
    Blick von oben auf die Bauarbeiten auf dem Heiligengeistfeld in Hamburg. (Axel Schröder)
    Das Prinzip der Hör- und Sichtweite
    Ganz zufrieden mit dem Zuschnitt der blauen, demonstrationsfreien Zone ist auch Hamburgs Justizsenator Till Steffen von den Grünen nicht. Schon vor einigen Wochen hatte er, zum Ärger des Innensenators Andy Grote (SPD) ausdrücklich auf das Prinzip der "Hör- und Sichtweite" hingewiesen. Ein Trillerpfeifen-Konzert auf dem Millerntorplatz würde nicht bis zu den Messehallen und zu Merkel, Putin und Co durchdringen:
    "Es ist sicherlich nicht ausgeschlossen, dass auf die Distanz etwas gehört wird. Aber das wird schon sicherlich gedehnt an dieser Stelle. Und das kann jetzt natürlich auch vor Gericht geklärt werden. Dafür gab es ja diese frühzeitigen Gespräche, um das überprüfen zu können!"
    Das Gipfelwochenende, so viel ist klar, wird auch für die Justiz ein Wochenende der Überstunden. Einhundert Richter hätten sich, berichtet Till Steffen, freiwillig gemeldet, um die 24-Stunden-Bereitschaft während der Gipfeltage zu gewährleisten. Auch die Gefangenensammelstelle in Hamburg-Harburg samt improvisierter Richterarbeitsplätze sei schon fast arbeitsbereit. 400 Menschen könnten dort festgehalten werden, erklärt Till Steffen. Vor sich auf dem Tisch liegt ausgebreitet ein Grundriss der Einrichtung:
    "Wir haben dort insgesamt acht Arbeitsplätze für Richterinnen und Richter zur Verfügung, die über Haftbefehle, also Untersuchungshaft einerseits oder Ingewahrsamnahmen zu entscheiden haben, je nachdem, was dann ansteht. Und insgesamt haben wir einhundert Richter im Einsatz, die dann hier tätig sind, die dann eben in wechselnden Schichten entsprechend eingesetzt werden können."
    Für die Woche vor und während des Gipfels sind bereits 27 Demonstrationen angemeldet und genehmigt. Natürlich außerhalb der "Blauen Zone". Aber sicher würden noch weitere dazukommen, meint Hamburgs Justizsenator Till Steffen. Ganz gleich, ob es dabei zu Ausschreitungen kommt oder nicht: die Hamburgerinnen und Hamburger werden für einige Tage ihren Alltag im Ausnahmezustand verbringen.