
Sprechchöre für Norbert Hofer in einem Bierzelt in Oberösterreich. Der Präsidentschaftskandidat der rechtspopulistischen FPÖ bahnt sich seinen Weg zum Rednerpult; die Menschen jubeln, schwenken rot-weiß-rote Fähnchen. Erster Redner ist nicht Hofer, sondern Parteichef Heinz-Christian Strache. Er gibt im Wahlkampf der FPÖ den Einheizer. Hauptthema: Es sind zu viele Flüchtlinge im Land, und die Regierung hat versagt:
"Wir haben ja schon längst die Obergrenze von 37.500 bei Weitem überschritten. Wir sind in Wahrheit bei 170.000 in diesem Jahr. Ja, verkauft man die Menschen für blöd? Wir haben schon längst den Notstand seit dem letztem Jahr und diese Regierung ist nicht bereit, endlich die Konsequenzen daraus zu ziehen."
Die Rollen sind klar verteilt. Strache ist der aggressivere Redner, Hofer gibt sich sanfter – aber siegessicher:
"Ich sag‘ jenen, die mich jetzt bekämpfen: Je mehr ihr mich bekämpft, umso stärker werde ich."
Das Publikum im Bierzelt ist begeistert:
"Der Hofer ist sympathisch. Und ich hoff‘, dass die Blauen, FPÖ, auf dem Siegeszug ist." - "Die Asylpolitik ist eines von den wichtigsten. Da ist man nicht mehr sicher, und schon gar nicht als Frau." - "Ja, wir müssen einfach mal wieder nationaler werden." - "Weil der Hofer einfach für den kleinen Mann da ist, deswegen ist der Hofer einfach der bessere, weil er menschlich ist."
"Kämpfen wir um dieses vereinte Europa. Es muss sich weiterentwickeln, es darf nicht so bleiben wie es ist, ja okay, da stehen viele wichtige Aufgaben vor uns, aber das schaffen wir."
Das Publikum hier ist der komplette Gegensatz zur Bierzeltkultur der FPÖ. Es sind Unternehmer, Künstler, Schauspieler. Van der Bellen hat zahlreiche prominente Unterstützer, auch Bundeskanzler Christian Kern:
"Ich wähle Alexander Van der Bellen."
Nicht nur Spitzenpolitiker der sozialdemokratischen SPÖ, auch viele aus der Volkspartei ÖVP unterstützen im Wahlkampf Van der Bellen, so der Europaabgeordnete Othmar Karas:
"Weil Sie nicht nur der bessere Kandidat waren, sondern der bessere Bundespräsident sind. Und das nicht nur für Ihre Unterstützer und Fans, sondern auch für Österreich und Europa."

"Na, ich glaube, dass Alexander Van der Bellen die solidere Lösung für Österreich ist. Nicht nur unbedingt, weil man darauf achten sollte, was das Ausland über Österreich denkt, sondern auch, was die Österreicher über sich selber denken und welches Bild sie transportieren möchten." - "Ich bin ein glühender Van der Bellen-Fan, weil er ein irrsinnig gebildeter, lustiger, offener Mensch ist und Österreich sehr, sehr gut nach außen repräsentieren würde."
Rückblick: 23. Mai. Mit hauchdünnem Vorsprung hat Alexander Van der Bellen die erste Stichwahl für sich entschieden. Sechs Wochen lang kann er sich als Sieger fühlen:
"Das Ergebnis ist eine umso größere Verantwortung. Eine Verantwortung für mich als zukünftigem Bundespräsidenten der Republik."
Doch der unterlegene Norbert Hofer äußert schnell eine Vorahnung, mit Blick auf die entscheidenden Briefwahlstimmen:
"Bei den Wahlkarten ist immer so ein … es wird immer ein bissl eigenartig ausgezählt."
"Die Stichwahl muss in ganz Österreich zur Gänze wiederholt werden."
Die nächste Panne folgt im September. Die Klebestreifen an den neu verschickten Briefwahlumschlägen sind defekt. Dieser Mann in Wien sagt:
"Ich hab insgesamt vier Wahlkuverts gekriegt. Und drei davon sind aufgegangen."
Die Wiederholung der Stichwahl muss verschoben werden. Österreich setzt sich internationalem Gespött aus. Dann der Überraschungswahlsieg von Donald Trump in den USA. Alle sprechen vom Trump-Effekt, auch in Österreich. Nur: Wer profitiert davon? Der Politikberater Thomas Hofer sagt:
"Auf den ersten Blick ist es natürlich vor allem Norbert Hofer, denn er kommt aus einer Bewegung, die ähnlich argumentiert wie Donald Trump, von den Inhalten sehr deckungsgleich ist in vielen Bereichen, und insofern kriegt man da natürlich einen Schub und die FPÖ-Anhänger können sich jetzt natürlich denken, hoppala, da geht was, wir könnten das auch in Österreich gewinnen.

Alexander Van der Bellen jedenfalls setzt seit der Trump-Wahl vor allem auf ein Argument: Norbert Hofer zu verhindern:
"Ich jedenfalls möchte nicht, dass Österreich das erste westeuropäische Land ist, an dessen Spitze ein rechtspopulistischer, deutschnationaler Burschenschafter steht."
Norbert Hofer selbst kontert:
"Ich habe gemerkt, dass Herr Van der Bellen seinen Ton verschärft hat, mich auch persönlich angreift. Ich möchte das nicht machen, ich möchte meinen Weg weiter gehen, so wie ich das bisher getan habe, mich auf Sachthemen konzentrieren."
"Die FPÖ, die ja hier über den neuen Antisemitismus reden will, steht schon seit ihrer Parteigründung in der Tradition des Antisemitismus. Ideologischer und personeller Kern sind deutsch-nationale Studentenverbindungen. Norbert Hofer ist auch einer davon. HC Strache ist dort organisiert. Und ihnen geht es eben nicht um Erinnerung, sondern um die Zerstörung dieser."
Zudem sitzen zwei ehemalige Mitglieder des israelischen Parlaments mit auf dem FPÖ Podium, beide mit Wurzeln im rechten Lager. Der Likud-Mann Michael Kleiner und der schon greise Rafael Eitan, einst Angehöriger des Mossad-Kommandos, das den NS-Verbrecher Adolf Eichmann festsetzte:
"Das ist der zweite Grund, warum wir hier diskutieren: Um zu zeigen, dass das wirklich eine radikale Einzelmeinung ist, die glaube ich wirklich auf große Ablehnung stößt bei fast allen Jüdinnen und Juden auf der ganzen Welt, meiner Meinung nach, und in Wien auf jeden Fall."

"Ich denke, die österreichische Gesellschaft ringt wie und was auch immer werden soll. Und das sind die Stimmen, die schon längst verklungen sind und jetzt wieder mit dem Bodensatz der AfD und Pegida wieder hoch kommen."
Während alle weiter auf Norbert Hofer warten, nimmt dieser den Hintereingang und auf dem Podium Platz. In dem mondänen Saal werden einige hundert Anwesende ausführlich begrüßt. Die beiden ehemaligen Knesset-Mitglieder fast wie Trophäen behandelt.
Um antisemitisch motivierte Gewalt in Österreich oder andere wichtige Probleme jüdischer Europäer geht es dabei nicht ein einziges Mal und schon gar nicht um eine echte Differenzierung des Themas Antisemitismus unter Muslimen. Unterdessen verunglimpft FPÖ Chef Strache wenig überraschend einfach den Islam pauschal als Grund für Antisemitismus:
"Oft wird dieses Problem verniedlicht, und – ja – es gibt sogar manchen dabei, der dem Antisemitismus Verständnis entgegen bringt, sofern dieser Antisemitismus von politisch-muslimischer Seite kommt."
Den renommierten Politologen Anton Pelinka überrascht das nicht:
"Die Freiheitliche Partei spielt auf gewisse antiislamische Gemeinsamkeiten an zwischen der Freiheitlichen Partei und Teilen des Likud."
"Bei denen hat man zuerst angedockt. Es gelang der FPÖ, durch eine mittlerweile doch schon siebenjährige, permanente Aufdringlichkeit gegenüber der israelischen Rechten, hier Lücken rein zu schlagen. Eben schon in den Likud. Mittlerweile ist der rechte Rand des Likud der FPÖ nicht mehr in dem Ausmaß grundsätzlich abgeneigt, wie das noch früher war."
Ein kurzer Blick zurück. Als der verstorbene FPÖ-Übervater Jörg Haider 2005 die Partei verlässt, versteht sein Nachfolger Strache eines glänzend: dem berühmt berüchtigten Haider den gesamten Antisemitismus anzulasten. Das Ziel: Die FPÖ ohne Haider von diesem Makel reinzuwaschen. Strache selbst gibt den Politiker, der den Antisemitismus gänzlich abgelegt hat:
"Der Haider war doch der Antisemit, der Strache ist sozusagen der Gute."

"FPÖ ist nicht faschistisch, es ist nicht Nazismus, ist rechts, aber rechts ist nicht schlecht."
Hofer: "Haltung zeigen, auch wenn es gerade nicht Mainstream ist."
Auch für Norbert Hofer hat der Israeli Yarden nur lobende Worte übrig.
Hofer: "Dass die eigene Haltung Mainstream wird."
Sollte Hofer die Wahl am Sonntag gewinnen, wäre er der erste waschechte Rechtspopulist, der in ein Präsidentenamt in Österreich aufsteigt. Zurück zu den jungen jüdischen Anti-FPÖ-Protesten vor dem Wiener Grand Hotel. Sie wanken nicht, denn für sie ist und bleibt die Sache sonnenklar:
"Dass wir als Juden eben vereinnahmt werden, um quasi die rassistische Politik der FPÖ reinzuwaschen. Weil das ist es ja, was die FPÖ vorhat, im Endeffekt."
"Was stimmt, ist, dass sich viele in der sagen wir mal politischen Kaste dieses Landes jahrelang daran gewöhnt haben, dass der Heimatbegriff nur von der FPÖ verwendet wird. Ich will das zurückholen."
Das Fendrich-Lied "I am from Austria" untermalt die Bilder seines Wahl-Videos: Berge, Täler, einen freundlichen Kandidaten. Auf einem Bild ist van der Bellen im heimatlichen Kaunertal mit seinem Hund zu sehen. Ein FPÖ-Kreisverband hat im Netz ein Hitler-Bild mit Schäferhund Blondie in den Bergen daneben gestellt. Der Vorwurf: Das Wahlkampf-Team van der Bellens achte nicht auf die Bildsprache. Van der Bellen ist empört:
"Ich zeige Ihnen da was. Oben ist ein Plakat von mir und unten sind zwei Hitler-Bilder. Oben steht: 'An Österreich glauben'. Da steh ich im Kaunertal mit meinem Hund. Und unten steht zweimal Hitler mit seinem Schäferhund."

"Da schreibt 'die Zwetschge' auf Twitter: Warum bringst Du Dich nicht endlich um, Du Hurensohn?"
Der Kommunikationsexperte Walter Ötsch hat schon vor Jahren intensiv die Rhetorik-Tricks des ehemaligen FPÖ-Chefs Jörg Haider analysiert. Typisch sei das Erzeugen permanenter Aufmerksamkeit:
"Die Rechts-Demagogen machen einen Sager, alle regen sich auf, dann kommt ein halbherziges Dementi, dann kommt das Dementi vom Dementi, und dann kommt der nächste. Das heißt: Das ist ein Perpetuum Mobile."
Alexandra Föderl-Schmid ist Chefredakteurin der linksliberalen Tageszeitung "Der Standard". Im ARD-Gespräch sagt sie rückblickend auf den Wahlkampf:
"Es war ein von vielen Untergriffen geprägter Wahlkampf. Es gab Tiefpunkte. Van der Bellen posiert mit dem Hund wie Adolf Hitler, hat eine FPÖ-Untergruppe zum Beispiel gepostet. Das nicht moderierte Duell vor der ersten Stichwahl war ein absoluter Tiefpunkt."
Hofer: "Ich hab meine Kandidatur nicht mit einer Lüge begonnen, so wie Sie. Sie sind immer so untergriffig, Herr van der Bellen."
Aus diesem – unmoderierten – Fernseh-Duell haben zunächst beide gelernt. Norbert Hofer setzte in der zweiten Hälfte des Wahlkampfs auf Gefühl, lud zu sich nach Hause ein, zeigte sich mit seinen Haustieren:
"Sie haben die Haute volée, ich habe die Menschen", warf Norbert Hofer van der Bellen vor, der mit Prominenten in seinem Unterstützer-Komitee punkten konnte. Dennoch geben sich FPÖ und Co. als Volksversteher, meint der Kommunikationsexperte Walter Ötsch:
"Er gibt sich dieses Image des ursprünglichen, authentischen, wahren, echten, biederen Österreichers."
Es geht darum, Unentschlossene, Nichtwähler und Wähler der Mitte zu erobern. In dem Maße, wie sich Hofer sanft und volksnah im Wahlkampf gab, setzte Kontrahent Van der Bellen auf Angriff. So verglich er Hofer mit der Figur des Bösen aus J.R.R. Tolkiens "Herr der Ringe":"Meine Freunde sagen: Er ist so eine Art 'Alpen-Mordor'." (*)
Vorsicht, blaue Republik! Auf diese Strategie setzten die Unterstützer Van der Bellens vor allem in der Schlussphase des Wahlkampfs. So warnte eine Gruppe um den Industriellen Peter Haselsteiner vor den Folgen eines Hofer-Sieges:
"Kommt Hofer, kommt Öxit."

"Durch den ungebremsten Zustrom von kulturfremden Armutsmigranten, die in unser Sozialsystem einsickern, macht mittelfristig ja auch Konflikte nicht unwahrscheinlich, bis hin auch zu Terror, bis hin zu bürgerkriegsähnlichen Szenarien."
Eine 89-jährige Wienerin reagierte darauf in einem Video. Sie habe als Kind einen Bürgerkrieg erlebt, das seien ihre ersten Toten gewesen. Millionenfach wurde das Video von Gertrude bereits angeklickt. Die Wienerin wurde als 16-Jährige deportiert und hat als einzige ihrer Familie den Holocaust überlebt. Im Wahlkampf ist sie van der Bellens Wunderwaffe. Gertrude wurde zum Social-Media-Star:
"Es haben sich die Leute hingestellt. Und wie die Juden die Straßen reinigen mussten, sind die Wiener gestanden, Frauen, Männer – haben zugeschaut und gelacht. 'Schaut´s Euch die Juden an. Haha.' Und das versucht man wieder raus zu holen aus den Menschen."
Aber, so meint Kommunikationsexperte Walter Ötsch, die Rechtspopulisten haben eine Achillesferse:
"Sie starten nicht wirklich Zukunftsdiskurse. Wenn eine positive Zukunftsstimmung da ist, dann haben die Rechtspopulisten keine Chance, denn sie leben von der negativen Zukunftsstimmung.