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Vulkane, Wale, Wasserfälle

Ein unterirdisches Museum auf Faial, die Sonneninsel Santa Maria, Walfänger auf Pico, die Kraterseen auf Sao Miguel - auf den Azoren gibt es viel zu entdecken. Für Geomorphologen sind die Inseln ein einzigartiges Forschungsgebiet - fast alle Vulkanarten dieser Erde sind hier vertreten.

Von Dörte Hinrichs |
    Woher kommen die Ozeane, die Inseln und Kontinente? Warum haben sie diese Formen und warum gibt es so viele Vulkane in diesem Gebiet? Um Antworten auf diese elementaren Fragen zu finden, bringt uns ein Film die Geschichte der Azoren näher. Und entführt uns gleichzeitig zu einer Zeitreise, als die Erde noch viele Millionen Jahre jünger war.

    Das zum Teil unterirdische Museum bei Capelinhos auf der Azoreninsel Faial ist nicht der schlechteste Platz, um zu erfahren, wie die Welt und wie insbesondere die Azoren entstanden sind - und warum es hier so viele Vulkane gibt. Denn auf dieser Inselgruppe konzentrieren sich so viele Naturphänomene wie kaum anderswo.

    Santa Maria ist die älteste der insgesamt neun Azoreninseln, entsprungen aus einem Unterwasservulkan im Atlantik vor 35 Millionen Jahren. Sie liegt im Südosten des Archipels und gilt als die sonnigste unter ihnen, als die Algarve der Azoren. Corves und Flores markieren die nordwestlichsten Ausläufer der Inselgruppe und liegen rund 600 km entfernt. Dazwischen leuchtend blauer Atlantik mit heftigen Wellen, die uns nassspritzen auf der Fähre von Pico nach Faial, Inseln in der Mitte des Archipels. Doch soviel Seegang muss sein, schließlich befinden wir uns mitten im Atlantik, 1500 Kilometer vom portugiesischen Festland und 3500 Kilometer von der nordamerikanischen Küste entfernt.

    Am Anfang waren die Vulkane. Ihnen ist die Entstehung der Azoren zu verdanken und die heute sehr grünen, hügeligen Inseln im klaren blauen Meer können ihre Herkunft nicht verleugnen. Auch wenn die Folgen der im wahrsten Sinne des Wortes "bewegten" Vergangenheit erst später sichtbar werden.
    Entlang gut ausgebauter Straßen sehen wir Kühen beim Grasen auf sattgrünen Wiesen zu, entdecken überall riesige Hortensienbüsche, die das Farbspektrum mit einer weiteren Variation von Blau bereichern: kräftige hellblaue Blüten setzen neue Akzente zwischen himmelblau und atlantikblau. Dass Grün und Blau sich beißen - dieser Spruch meiner Handarbeitslehrerin aus Grundschulzeiten wird hier auf schönste Weise ad absurdum geführt.

    Doch dann wird plötzlich alles Grau in Grau: Wir haben die Westspitze der Insel erreicht: Sandra, die auf Faial geboren wurde und in Lissabon Deutsch studiert hat, löst die Fragezeichen in unseren Augen auf.

    "Jetzt sind wir bei dem Vulkan Capelinhos, hier gab es einen Ausbruch im September 1957 bis Oktober 1958. Also es dauerte 13 Monate mit viel Asche, Sand und Erdbeben. Die Leute von diesem Dorf waren erschrocken, mussten weg von hier. Dann hat sich eine kleine Insel formiert, die wir jetzt sehen können beim Leuchtturm. Wegen dieses Vulkans sind viele Leute nach Amerika und Kanada geflohen. Dieser Vulkan markiert die Geschichte von der Insel: man spricht viel von vorher und nach dem Vulkan. Und jetzt kann man diesen Vulkan und das Museum besuchen und sehen und verstehen wie die Erde sich formiert hat und die Vulkane verstehen."

    "Sieht aus wie Mondlandschaft."

    "Alles Vulkanasche und Sand, außer diesem Bambus gibt es keine Vegetation mehr, nur Sand."

    "Aber es sieht auch schon wieder grün aus."

    "Schnell kommt Vegetation, vielleicht in 50 Jahren wird es grüner sein, aber jetzt kann man Kontrast von Grün und Wüste sehen. "

    "Viele Vulkane auf der Insel."

    "Ja, alle Berge, die man sieht, waren einmal ein Vulkan. Der Ursprung von den Inseln ist vulkanisch. Und man kann gut leben mit allen diesen Vulkanen."

    Damals, im September 1957, begann der Unterwasservulkan Capelinhos mehr als 30 Millionen Tonnen Asche und Lava auszuspucken. Dabei dachten die Bewohner zunächst, ein Wal bläst seine Wasserfontäne heraus. Der Mann im Walausguck schoss eine Leuchtrakete ab, um den Walfängern zu signalisieren, dass sie sich aufmachen sollten in ihre Boote. Dass sich diesmal etwas viel Gigantischeres aus dem Meer erhob als ein Pottwal, erscheint auch heute noch unglaublich.

    Joao Costa ist Geomorphologe und führt uns durch das faszinierende Vulkaninterpretations-Zentrum in Vapelinhos. Einige Menschen, die den Vulkanausbruch beobachteten, sagten, es sei das Spektakulärste gewesen, was sie je sahen. Denn man konnte bei Nacht die glühende Lavamasse sehen, wie sie dahinfloss. Am 24. Oktober 1958 endete dieses gewaltige Naturschauspiel. Durch den Vulkanausbruch hatte sich die Insel Faial um 2,5 Quadratkilometer vergrößert - inzwischen hat das Meer davon aber schon wieder einiges zurückerobert und nur noch 0,4 Quadratkilometer sind übrig geblieben.

    Und jede Menge grauer Aschensand, der immer wieder von einigen grünen Bambuspflanzen durchbrochen wird und sich die Insel langsam etwas Grün zurückerobert.
    Heute ist das größte Problem ein weiterer Unterwasservulkan vor Capelinhos. Mit Satelliten wird das Gebiet beobachtet und man kann mit 70 bis 80 prozentiger Wahrscheinlichkeit einen Ausbruch vorhersagen.

    Für Geomorphologen wie Joao Costa sind die Azoren ein einzigartiges Forschungsgebiet - fast alle Vulkanarten dieser Erde sind hier vertreten und man sieht ihm die Begeisterung an, wenn er über die heutigen Erkenntnisse spricht. Und die Verwunderung, die auch die Museumsbesucher ergreift angesichts alter Aufnahmen aus der Zeit des Vulkanausbruchs.

    Der unbefangene Umgang mit dem Vulkanausbruch ist im Museum auf riesigen Schwarz-Weiß-Fotos dokumentiert. Man sieht dunkelgekleidete Menschen, die einem Priester folgen, eine Prozession fast am Kraterrand. In Glasvitrinen sind bizarr geformte Steine aus Lavamasse ausgestellt und die Besucher selbst befinden sich quasi im Epizentrum des Geschehens. Denn das moderne Museum befindet sich im Untergeschoss des einstigen Leuchtturms, sogar die schwere Eisentür ist noch erhalten.

    Man kann sich stundenlang in dem Museum aufhalten auf den Spuren der vulkanischen Aktivitäten und ihrer Folgen - auf Faial und auf den übrigen Azoreninseln. Doch nach soviel Eindrücken und Erklärungen aus der Zeit des Vulkanausbruchs steigt das Bedürfnis nach frischer Luft. Und nach einem Wechsel der Perspektive. Ich erklimme den Leuchtturm von Capelinhos, marschiere die enge Wengeltreppe hinauf.

    Eine kräftige Atlantikbrise weht mir entgegen nachdem ich die schwere Tür geöffnet habe. Von hier oben hat man einen weiten Blick auf die graue Landzunge von Faial, die wie eine bizarre Mondlandschaft ins Meer hineinragt. Kein Wunder, dass es sich diese graue Aschewüste damit als Filmkulisse für "Das Experiment" angeboten hat, wo das Leben nach einem Atomunfall dargestellt wurde.

    Doch so trostlos wirkt es heute nicht, dafür ist das Gebiet zu klein, sieht man doch auch die grünen Seiten der Insel von hier und das blau leuchtende Meer. Wo es irgendwann vielleicht wieder anfängt zu brodeln und ein neuer Vulkan sich einen Weg sucht, um aufzutauchen aus dem Nichts. Oder ein Erdbeben sich ankündigt, so wie am 9. Juli 1998, bei dem zwei Ortschaften fast völlig zerstört wurden und es 10 Tote und viele Verletzte auf Faial gab.

    Zumindest dieses Unglück haben die Azoreaner nicht erlebt, die Faial schon 1958 nach dem Vulkanausbruch verlassen haben. Sie flüchteten nicht aufs portugiesische Festland, wo die Salazar-Diktatur herrschte, sondern vielmehr in die USA. John F. Kennedy, zu der Zeit noch Kongressabgeordneter der Demokraten, setzte sich für die Flüchtlinge ein und ermöglichte ihnen einen Neuanfang in der neuen Welt. In den USA leben 700.000 Azorer. Viele haben sich in Kalifornien niedergelassen, sind den Erdbebengebieten also treu geblieben und im Museum kann man Interviews mit Ihnen verfolgen.

    Die Verbindung der Azoren und ihrer Bewohner zum amerikanischen Kontinent hat Tradition. 1885 wurde dass erste Telegrafenkabel von Lissabon nach Horta auf Faial verlegt und 1900 folgte eine Leitung nach Nova Scotia in Kanada. Faial stieg zum Zentrum der Telegrafie zwischen Europa und Amerika auf. Viele internationale Telegrafengesellschaften ließen sich auf Horta nieder und die weißen herrschaftlichen Häuser aus dieser Zeit prägen noch heute die schmucke Hafenstadt im Südosten der Insel.

    Morgens um halb sieben ist die Insel noch ruhig, hört man nur das Geräusch der Zikaden und aus der Ferne das Tuckern einiger Motorboote. Gelb-orange wie Perlen aufgereiht leuchten die Lichter der Straßenlaternen entlang der Kaimauer. In der Ferne wird ein langer schmaler Schatten sichtbar, die Nachbarinsel Pico taucht in der Dämmerung hervor. Bald wird die Fähre wieder ihren Dienst aufnehmen zwischen den Inseln, aber auch Segelboote werden in den Hafen von Horta einlaufen. Die Jachten, die bei ihrem Atlantiktrip die Azoren ansteuern, kommen aus allen Teilen der Welt, weiß Sandra Dart.

    "Die Segler kommen von Karibik an in Faial und sie bleiben für drei bis vier Tage, besuchen andere Inseln, meistens Sao Miguel."

    "Wann treffen sich die Segler in Horta, ist es eine bestimmte Zeit, wo ganz viele da sind?"

    "Meistens im Mai gibt es mehr Segler, weil das Wetter besser ist, obwohl noch jetzt gibt es einige die vorbeikommen, aber die meisten im Mai/Juni."

    "In Peters Café?"

    "Ja, alle treffen sich da. Für die Leute im Lokal und die Leute hier ist es sehr schwierig einen Platz in Peters zu finden, ja wirklich schwierig."

    Weltenbummlerflair herrscht in Horta. Davon zeugen die Wimpel und Flaggen aus allen Teilen der Welt im legendären Peters Café Sport, einem kleinen holzvertäfelten Lokal, das früher außerdem als Poststelle für die Atlantiküberquerer diente und wo Währungen aller Art getauscht wurden. Heute zieht es auch Touristen an, die hier den legendären Gin Tonic trinken, für den sie an der Theke oft lange warten müssen. Viel Zeit um die Flaggen oder die Kommentare der Seefahrer zu studieren. Verewigt haben sie sich auch auf der 1986 errichteten Kaimauer:

    "Die Jachtmänner begannen hier diese Malereien hier zu machen. Und es gibt diesen Glauben. Man glaubt, wenn man keine Malerei macht, dann wird man einen Unfall haben, Pech haben, wenn man nach Hause geht. Deshalb machen alle Seemänner eine kleine Malerei hier in der Mauer."

    Deutsche, Schweizer, Franzosen, Skandinavier, Seefahrer aus Brasilen oder Canada, sie alle haben hier ihre bunten Spuren hinterlassen. Wenn man einen Traum hat, soll man alles tun, um ihn zu verwirklichen steht auf Französich unter einem gemalten Segelboot. Der Traum, die Welt oder einen Teil davon zu umsegeln, scheinen hier viele zu haben, so viele Bilder sieht man auf der langen Kaimauer. Regelmäßig erneuern die Seefahrer ihre Kunstwerke mit frischer Farbe und neuen Daten, wenn sie die Azoren wieder einmal ansteuern, um vor der Weiterfahrt auf dem oft stürmischen Atlantik neue Kraft zu tanken.

    Einer, der die Insel Faial schon vor 28 Jahren angesteuert hat und geblieben ist, ist John van Opstal. Wir erreichen sein Haus auf einer kleinen Anhöhe mit einem herrlichen Blick über die Bucht von Horta. Er erzählt uns, dass damals, als er hier sesshaft wurde, noch keine Autos auf der Insel fuhren, es nur wenig Supermärkte gab und gerade die ersten Fernseher die Haushalte eroberten. Und dass sich viele Insulaner noch vom Walfang ernährten.

    In gewisser Weise macht John von Opstal, der in Rotterdam die Kunstakademie absolviert hat, das heute noch. Auch wenn der Walfang seit 1984 verboten ist auf den Azoren, hat er es doch geschafft, Walfischzähne aus der Zeit davor oder von gestrandeten Walen zu ergattern. Das "Elfenbein der Meere" hat er kunstvoll veredelt. In seiner Werkstatt, an den Wänden und in Vitrinen in seinem Haus, aber auch im "Scrimshaw Museum" oberhalb von Peters Café Sport, sind die filigranen Ergebnisse seiner Arbeit zu bewundern. Und gerne erklärt er, wie die Motive von Seefahrern und Walfängern auf den kostbaren Walfischzähnen landen:

    "Das ist ein Pottwalzahn, das ich poliere und dann tusche, und dann mit einer Needle mache ich Illustrierte in die Tusche. Ich kriege eine weiße Illustratie, wenn ich denke das ist fertig. Dann male ich mit Tusche das Interieur. Wenn das ist trocken, putze ich das mit Wasser und die Tusche bei dem Polierpart ist weg und es entstehen weiße Scratchies. Diapositiv. Das ist ein romantisches Motiv mit einem Mann und einem Hund und sehen farewell nach dem Mann im Schiff in der Ferne des Horizonts."

    Überhaupt die Wale: Sie begegnen einem immer wieder auf den Azoren. Wer Glück hat, sieht sie auf einer Whalewatching-Tour, die von den meisten Inseln aus angeboten werden - vorausgesetzt der Atlantik ist nicht zu stürmisch. Gesichtet werden die Wale von einem Walausguck, davon gibt es viele auf den Inseln, noch aus der Zeit, als der Walfang für viele Azoreaner ein Nebenerwerb war. Die Pottwale, die hier in Höhe der Azoren von Norden nach Süden den Atlantik durchquerten, waren eine wichtige Einnahmequelle.

    Auch für Antonio Domingo Salfinger von der Insel Pico. Mit 15 Jahren hat er begonnen, das Handwerk brachten ihm sein Vater und sein Großvater bei. Heute ist er 65 Jahre alt und sitzt draußen in seinem eigenen Restaurant. Mit seiner sonnengebräunten Haut, den Falten im Gesicht und dem grauen Schnauzbart hat er schon etwas von einem Seebären - aber ihn sich als Walfänger vorzustellen fällt trotzdem schwer. An seinen ersten gefangenen Wal kann er sich noch gut erinnern:

    Ausgerüstet mit einer Harpune in einem schmalen Kanu mit sieben Mann hat er damals seinen ersten Wal erlegt. Es sollten noch viele folgen. Mit Motorbooten wurden die Kanus ein Stück aufs Meer hinausgeschleppt. Um den Wal aber nicht mit dem Motorengeräusch zu vergraulen, paddelten sie das letzte Stück. Dass sie überhaupt wussten, wo genau der Wal sich befand, verdankten die Walfänger einen ausgeklügelten Ortungssystem.
    Später dann wurde per Funk weitergegeben, wo die Männer im Walausguck die Wale gesichtet hatten. Manchmal war der Walfang schon nach anderthalb Stunden beendet, manchmal dauerte es acht Stunden bis sie einen Wal erlegt und an Land geschleppt hatten.

    Der Kommandant, ein erfahrener Walfänger, gab die Kommandos. Unwillkürlich kommt einem dabei Captain Ahab in den Sinn, muss ich an "Moby Dick" denken, doch die Abenteuer zwischen zwei Buchdeckeln von Herman Melville sind für den echten Walfänger Antonio eine einzige Legende. Er erzählt viel nüchterner: Der Kampf mit dem Wal sei lange nicht so dramatisch gewesen. Hatte die erste Harpune die Lunge getroffen, war das Tier betäubt und ließ sich relativ einfach erlegen. Dennoch: Es gab auch gefährliche Situationen.

    Der Walfänger Antonio war am Ende Kommandant auf dem Schiff José Maria. Dieses Schiff oder besser gesagt Kanu ist heute im Walmuseum in Madalena auf Pico zu sehen, unweit der ehemaligen Walfabrik in Lajes. Auch eine Art Museum, schließlich wurde hier seit 1987 kein Pottwal mehr in seine Bestandteile zerlegt. Fast alles wurde von ihm verwertet: Das Fleisch wurde zu Tiermehl verarbeitet, die Haut wurde für Cremes verwendet, der Lebertran war wichtiges Exportgut, aber auch das Walfischöl wurde für Motoren und für Lampen in aller Welt genutzt.

    Bis zur Einführung der Elektrizität leuchteten die Straßenlaternen in Lissabon, Paris oder London mit Hilfe dieser Flüssigkeit. Nuno Garcia führt uns durch die ehemalige Walfischfabrik und erklärt uns die weitere Verarbeitung der Wale u.a. an einer riesigen Holzpresse.

    Harpunen und Lanzen hängen an den Wänden und dokumentieren die Entwicklung des Walfangs. Außerdem Fotos von Walfängern, die ihr Handwerk auf amerikanischen Walfangschiffen gelernt haben, die die Azoren durchquerten. Für die Walfänger auf dem Archipel war der Walfang in der Regel ein Nebenerwerb, sie waren hauptberuflich meistens Bauern oder Handwerker. Als die Reblaus viele Weinstöcke auf Pico zerstört hatte, brach ein wichtiges Exportgut weg und der Walfang war eine Alternative für die ohnehin recht armen Inselbewohner.

    Schon von Kindesbeinen an sahen sie, wie die gigantischen Meeressäuger an Land gezogen wurden, wie die Häfen blutdurchtränkt waren und der Geruch von Lebertran überall in der Luft hing. Auf Fotos sind Kinder zu sehen, die helfen, die Haut der Wale abzuziehen. Erst als der Pottwal wirtschaftlich nicht mehr lukrativ war und der Walfang verboten wurde, entwickelten sich Walfänger auf den Azoren zu Walbeobachtern, erklären heute Meeresbiologen auf Whalewatching-Touren, wie man Wale versucht zu schützen.

    Auf Pico will man die Erinnerung an den Walfang wachhalten und gleichzeitig das Bewusstsein und den Respekt für die Meeressäuger fördern.

    Die Walfabrik liegt idyllisch am Meer, umgeben von satten grünen Wiesen, nicht weit entfernt von den Weinstöcken, die wieder neu kultiviert worden sind. Seit 2004 gehören sie zum Weltkulturerbe. Sie sind von Lavabrocken eingezäunt, die die Wärme speichern und den Trauben ein besonderes Aroma geben. Die Weinanbaugebiete liegen zu Füßen des Picos, des majestätischen Berges, der der Azoreninsel ihren Namen gegeben hat. Mit seinen 2351 Metern ist der Pico die höchste Erhebung Portugals und für viele Kletterer eine Herausforderung. Auch für Tobias und Silke, die wir zufällig im Café neben dem Walfangmuseum treffen hieß es irgendwann: der Berg ruft.

    "Es ist schon für Leute, die nicht alpine Erfahrung haben eine Herausforderung. Man schafft's vielleicht in drei Stunden oben zu sein. Als Tipp vielleicht sollte man besser abends hochsteigen, dann den Sonnenuntergang beobachten, übernachten oben im Krater. Dann gibt es da so Guides mit denen man den Berg besteigen kann und das ist dann schon das Nonplusultra, so einen Sonnenaufgang in der Frühe dann auch zu sehen. Bei diesem dreiwöchigen Urlaub, wo wir hier waren, haben wir jeden Morgen rausgeschaut, weil wir im Reiseführer gelesen haben, es sollte wolkenfrei sein, weil es eben sehr schnell zuziehen kann. Und dann auch nicht ungefährlich ist, weil die Sichtweite sehr gering ist. Und Tobias ist jeden Morgen aufgestanden um halb vier und hat rausgeschaut und ich muss gestehen, ich habe gedacht, hoffentlich legt er sich wieder hin. Und irgendwann war es dann soweit, da hat er die Tür aufgemacht und gesagt: Aufstehen, keine Wolken am Himmel und dann sind wir losmarschiert, sind zur Bergstation hochgefahren und dann losmarschiert drei Stunden. Oben sind dann die Wolken gekommen, aber das ist natürlich gigantisch der Rundumblick um die Insel. Es war fantastisch. Und dann sind wir relativ schnell wieder abgestiegen, weil dann tatsächlich Wolken kamen. Aber wir wollen auf jeden Fall, jetzt haben wir ja die Möglichkeit, nochmal hoch und oben übernachten, das wollen wir uns auf jeden Fall nochmal antun."

    Anders als die Azoreaner, die ihre kleine Inselgruppe im Atlantik verlassen haben und heute in aller Welt zu Hause sind, gibt es auch immer wieder Menschen, die sich bewusst hier niederlassen wie Silke und Tobias aus Baden-Württemberg. 42 km lang und 15 km breit ist ihre neue Welt inmitten des Atlantiks.

    Das Anziehende ist offensichtlich: die sattgrünen Wiesen, die kleinen Dörfer mit ihren Häusern aus dunklen Lavasteinen, die üppige Vegetation, die, je höher man hinaufkommt immer gespenstischer wirkt und ein wenig an Mittelerde erinnert. Oder das Farbspiel von Sonne und Wolken, das milde Klima, die auch im Winter noch recht warme Meeresbrise oder die kleinen Naturschwimmbecken im Atlantik, eine Art Swimmingpool umgeben von Lavafelsen.

    Ein wenig zu beneiden sind die beiden Deutschen schon, die sich gerade ein Haus auf der Insel und Ferienwohnungen bauen. Sie lernen inzwischen portugiesisch, aber da alle Insulaner so gut englisch sprechen, ist das meistens die Sprache der Wahl. Besser als das Portugiesische haben sie die Lebensgewohnheiten der Menschen auf Pico kennengelert, ihren anderen Umgang mit der Zeit und ihre Feste:

    "Die Azoreaner verstehen es wirklich Feste zu feiern. Und da komischerweise funktioniert da auch alles. Vom Aufbau bis zum Abbau, es gibt keine Terminverzögerungen, es passiert alles genau nach Plan. Und das Schöne, es läuft alles sehr friedlich ab. Es sind unterschiedliche Generationen von jung bis alt, stehen auf dem Dorfplatz, es spielt irgendeine Band und es wird sich kunterbunt unterhalten. Es wird dann Jamarita gespielt, also eine Folkloreband, hinterher kommt eine etwas rockigere Band und am Abend spielt dann ein DJ, es ist sehr ungezwungen und leger. Da haben wir schon einige mitgemacht. Was auch sehr interessant ist, ist Espirito Santo. Obwohl wir schon öfters auf Pico waren, haben wir es in diesem Jahr zum ersten Mal in der Dorfgemeinschaft mitbekommen: Da ist es dann so, dass eine Familie, die den Imbadore stellt, einlädt zu Suppe und Brot. Und da kommen 300 Leute, und die Einladung muss aber auch ausgesprochen sein. Und wir waren dieses Jahr auch eingeladen und durften es zum ersten Mal miterleben. Ich glaube es waren 150 Leute in Breinja, es wurde gekocht, Fleisch, Suppe und Brot und da sitzen 150 Leute beisammen und es ist ein ganz großes heiliges Fest hier auf der Insel oder auf den Azoren generell. Das war auch ein sehr schönes Erlebnis."

    Letze Etappe unseres Inselhoppings auf den Azoren: Sao Miguel. Damit nähern wir uns schon wieder ein wenig dem portugiesischen Festland, eine Stunde dauert der Flug von Pico zur Hauptstadt der Insel nach Ponta Delgado. Hier ist der Sitz der Provinzregierung. Die Stadt mit ihren 40.000 Einwohnern wirkt nach den beschaulichen kleinen Dörfern und Ortschaften auf Pico wie eine Megacity. Auch touristisch ist hier das größte Treiben auf der Azoreninsel, aber je weiter man sich davon entfernt, umso überraschender ist die Vielseitigkeit der Insel.

    Tief eingebettet in die Vulkanlandschaft sind die blau und grün funkelnden Kraterseen, der Lago Azul und der Lago Verde in direkter Nachbarschaft. Der unterschiedliche Algenbewuchs sorgt für die verschiedenen Farben. Nicht weniger malerisch ist der Fogo, auch ein Kratersee in 600 Metern Höhe, umgeben von Moosen, Wiesen und Wäldern. Ein schmaler Pfad führt hinunter bis an den kleinen Sandstrand. Nicht sehr weit von hier befindet sich die einzige Teeplantage Europas. Auch besonders aromatische Orangen und Ananas gedeihen auf Sao Miguel. Betörend ist der Duft der gelben Ingwerlilien, aber nicht überall auf der Insel sind die Gerüche so reizvoll.

    Das Schmoren in der Hölle - so ähnlich muss es sich anhören und anfühlen: das Zischen und Brodeln der stinkenden Fumarole. Blau-grau-orangene Blasen steigen dampfend aus der Erde auf und verbreiten intensiven Schwefelgeruch. Wir befinden uns nur wenige Meter entfernt vom Ufer des Lagoa das Furnas, einem Kratersee des Vukans, der vor über 300 Jahren zuletzt aktiv war. Und dessen Hitze heute kulinarisch genutzt wird, wie Eduado da Silva erklärt.

    Wir kosten natürlich vom Nationalgericht, das so lange in der Vulkanerde vor sich hinschmorte und dem Gemüse und Fleisch ein rauchiges Aroma verleiht.

    Eine völlig andere Welt erwartet uns oberhalb von Ribera Grande. Nach einer Wanderung wie durch tropischen Regenwald mit riesigen Farnen, bemoosten Bäumen und gelben Ingwerlilien erreichen wir ein neues Naturschauspiel: Von einer Felswand plätschert ein wohltemperierter Wasserfall, eine herrliche warme Dusche, die in ein natürliches Thermalbecken, umgeben von Felsen. Hier lässt es sich noch viel länger aushalten, doch wir sind leider nicht die einzigen Besucher, die es darauf abgesehen haben. Ein Grund mehr, noch einmal hierhin zurückzukehren, um die Vulkane zu genießen, solange sie auf den Azoren friedlich vor sich hin schlummern.