Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

VW-Skandal
"Da steckt System dahinter"

Der stellvertretende Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses im Bundestag, Klaus Barthel (SPD), fordert im VW-Abgasskandal auch eine Überprüfung der Kontrollsysteme in Deutschland. Er schließt einen Betrug auch bei anderen Unternehmen nicht aus: "Womöglich gehen die Dimensionen weit über den Konzern VW hinaus," sagte er im DLF.

Klaus Barthel im Gespräch mit Bettina Klein | 22.09.2015
    Der SPD-Politiker Klaus Barthel, Close-Up, weißer Hintergrund, sprechend
    SPD-Politiker Klaus Barthel: "Hier müssen Leute persönlich verantwortlich gemacht werden" (imago / Hendrik Rauch)
    Bettina Klein: Die Abgasregelungen für Diesel sind in den USA weitaus schärfer als in Deutschland und vielleicht lag es da aus Sicht des Unternehmens Volkswagen nahe, seine Betrugssoftware gerade dort einzusetzen, die die Werte bei Kontrollen automatisch schönte. Vielleicht liegt es aber auch an den Justizbehörden dort selbst, die auch in anderen Fragen besonders hartnäckig Regelverstöße verfolgen, dass die ganze Geschichte nun in den USA hochgekommen ist. Und diese Eilmeldung würden wir Ihnen gerne noch zur Kenntnis bringen: Die Software zur Manipulation der Abgaswerte ist nach Angaben von Volkswagen in weiteren Dieselfahrzeugen eingebaut. Insgesamt, so das Unternehmen, seien elf Millionen Fahrzeuge weltweit betroffen. Mitgehört am Telefon hat Klaus Barthel. Er gehört der SPD an und ist stellvertretender Vorsitzender vom Wirtschaftsausschuss des Deutschen Bundestages. Ich grüße Sie, Herr Barthel.
    Klaus Barthel: Ich grüße Sie, Frau Klein.
    Klein: Sie haben es gerade gehört, eine erste Einschätzung dessen, wie Aufsichtsratsmitglieder, die Ihrer Partei angehören, wie Wirtschaftsminister Lies heute Morgen zum Beispiel, sich im Augenblick verhalten. Unterstützen Sie das, dass man jetzt so tut, als habe man damit nichts zu tun?
    Barthel: Nun, er hat ja nicht gesagt, er hat nichts damit zu tun, sondern wir müssen erst mal wirklich jetzt abwarten, was die Prüfungen ergeben, wer verantwortlich ist, welche Strukturen im Konzern auch dahinter stecken, und das ist jetzt viel wichtiger als jetzt sofort viele Rufe nach Konsequenzen, weil womöglich gehen die Dimensionen und die Konsequenzen, die wir ziehen müssen, weit über den Konzern VW hinaus.
    Klein: Das heißt, Sie wollen erst mal abwarten. Worauf wollen Sie denn warten?
    Barthel: Nun, es muss geklärt werden, wer die Verantwortung trägt. Es ist völlig klar, dass man das nicht abschieben kann auf einzelne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, einzelne Gruppen, sondern da steckt ja ein System dahinter und da gibt es mit Sicherheit eine Verantwortung im Management, und das muss jetzt geklärt werden. Da sind auch die US-Behörden hinterher, aber da haben wir auch in der Bundesrepublik eine eigene Aufklärungspflicht.
    "Wie kann es sein, dass über Jahre hinweg solche Kontrollsysteme versagt haben?"
    Klein: Die Frage nach der Unternehmenskultur - Sie haben es auch gerade angesprochen -, wo solche Dinge umgesetzt werden, die wollte der Wirtschaftsminister von Niedersachsen heute Morgen auch nicht so ganz deutlich beantworten. Er sprach vor allen Dingen vom Image, das er wiederherstellen möchte und um das er sich sorgt. Führt dieser Aufsichtsrat eigentlich Aufsicht?
    Barthel: Na ja. Ich glaube, dass es ein bisschen viel verlangt wäre von einem Aufsichtsrat, jetzt irgendwelche Abgasnormen selber zu überprüfen, sondern der Aufsichtsrat hat jetzt die Pflicht, dafür zu sorgen, dass Aufsicht funktioniert und dass Aufklärung passiert.
    Klein: Aber all das ist ja passiert unter Aufsicht dieses Aufsichtsrates. Die Aufsicht hat ja nichts gebracht.
    Barthel: Na gut. Aber ich meine, von welchem Aufsichtsrat wollen Sie verlangen, dass er Abgasnormen überprüft, wenn nicht einmal zuständige Behörden, weder bei uns noch in den USA, das bemerkt haben, in welchen Dimensionen es hier Manipulationen gibt? Jetzt zu versuchen, womöglich noch der niedersächsischen Landesregierung dafür eine Verantwortung in die Schuhe zu schieben, das halte ich in der Tat für verfehlt und das würde uns auch von dem Weg abbringen, der jetzt wirklich konsequent gegangen werden muss. Weil da geht es zum Beispiel um die Frage: Wie kann es überhaupt sein, dass über Jahre hinweg solche Kontrollsysteme wie in den USA, aber auch wie bei uns versagt haben? Und da hat Ihr Korrespondent gerade einen wichtigen Punkt genannt. All diese Kontrollsysteme, sowohl in der Bundesrepublik wie in den USA, machen ja im Grunde Simulationstests. Sie finden unter Laborbedingungen statt und nicht im tatsächlichen Betrieb. Und es fängt damit an, dass jeder Autokäufer weiß, dass zum Beispiel der DIN-Verbrauch, der angegeben wird für sein Fahrzeug, dass der eigentlich meilenweit davon entfernt ist, was dieses Auto dann tatsächlich im alltäglichen Straßenverkehr verbraucht. Da fängt es an. Das eine sind Labortests, da kann man alles Mögliche simulieren und vortäuschen, und das andere ist das richtige Leben und da haben sich...
    Klein: Herr Barthel, aber Volkswagen hat ja schon eingeräumt. Wir müssen hier ja nicht über Abgaswerte sprechen, sondern Volkswagen hat schon eingeräumt, dass es da Mist gebaut habe. Es liegt ja offenbar nicht nur unethisches Verhalten vor, sondern man hat gegen strafrechtliche Regelungen verstoßen, und zwar planmäßig und vorsätzlich. Und die Frage ist: Wie kann das eigentlich sein, dass sich dort Gruppen von Mitarbeitern so sicher fühlen in diesem Unternehmen, dass sie damit durchkommen und das praktizieren?
    Barthel: Das ist allerdings eine sehr berechtigte Frage und der Konzernchef in den USA hat ja selbst von Betrug gesprochen, und dieser Betrug und die kriminellen Machenschaften, die müssen aufgedeckt werden, das ist völlig richtig, und hier müssen auch Leute persönlich verantwortlich gemacht werden und nicht am Ende das so abgewickelt werden, dass dann die Aktionäre und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor allen Dingen am Ende die Zeche bezahlen. Denn es gibt ja zum Beispiel jetzt in den USA ein anderes Beispiel mit den Zündschlössern bei General Motors; da kaufen die sich einfach frei.
    "Überprüfen, ob es ähnliche Praktiken auch in der Bundesrepublik gab"
    Klein: Ich würde jetzt gerne noch kurz bei dem Beispiel Volkswagen bleiben, weil das ist die aktuelle Krise und das Thema, über das wir jetzt hier sprechen. Was soll denn jetzt in Deutschland unternommen werden, um weitere Aufklärung zu forcieren? Denn bisher hat man den Eindruck, das wird dem Konzern überlassen.
    Barthel: Na gut, einmal ist das Sache des Aufsichtsrates und des Vorstands und des Unternehmens, und natürlich müssen auch bei uns Behörden überprüfen, staatsanwaltschaftlich gegebenenfalls überprüfen, inwieweit hier Verantwortung liegt für diese Praktiken, denn es geht ja wohl auch nicht nur um Fahrzeuge, die in den USA verkauft werden, sondern die womöglich weltweit verkauft werden, die womöglich auch in Europa oder in Deutschland verkauft werden. Das muss man sich alles ganz genau anschauen. Da haben Sie völlig recht, das ist nicht nur Sache des Unternehmens, sondern da müssen sich hier auch die Behörden einschalten. Und wir müssen vor allen Dingen auch überprüfen, ob es ähnliche Praktiken auch in der Bundesrepublik gab und ob es sie womöglich auch von anderen Unternehmen aus gibt.
    Klein: Wir sprechen jetzt über weltweit elf Millionen betroffene Fahrzeuge. Das hat Volkswagen selbst eingeräumt. Welche Behörde sehen Sie jetzt am Zuge hier in Deutschland?
    Barthel: Einmal das Bundesverkehrsministerium. Minister Dobrindt hat ja auch selber angekündigt, man muss jetzt auch in Deutschland das überprüfen, ob hier die Abgaswerte eingehalten werden, oder ob hier auch nur Labortests gemacht werden. Und dann ist im Zweifelsfall die Justiz gefordert, um zu schauen, ob es sich hier um betrügerische Praktiken handelt. Und zum dritten müssen wir dann sehen, ob die Regeln der Zulassung und Kontrolle von Abgasnormen, aber auch von anderen technischen Normen, ob die eigentlich in der Bundesrepublik und in Europa noch der Realität entspricht, oder ob die im Grunde geradezu dazu einlädt, da zu manipulieren.
    Klein: Klaus Barthel (SPD), der stellvertretende Vorsitzende vom Wirtschaftsausschuss im Deutschen Bundestag, zu den Entwicklungen rund um Volkswagen. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Barthel.
    Barthel: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.