
WhatsApp schaltet seit Monaten Kampagnen in Indien. Nicht, um für sich zu werben, denn mehr als 200 Millionen Inder, die meisten weltweit, nutzen hier bereits den Messenger-Dienst. Fast jeder, der ein Smartphone kauft, hat die App bereits vorinstalliert. Es geht darum, Menschen darauf aufmerksam zu machen, dass selbst in den Gruppen der Freunde oder der Familie falsche Nachrichten verbreitet werden. Denn im letzten Jahr waren ganze Dörfer in Indien wegen eines Videos in Panik geraten. Darauf waren mutmaßliche Kindesentführer zu sehen. Jeder Fremde schien plötzlich ein potenzieller Kidnapper zu sein. Wegen falscher Nachrichten haben verschreckte Dorfbewohner rund 20 Männer umgebracht. Gerüchte oder Nachrichten? Dies sei für viele Menschen kaum zu unterscheiden, sagt der Cyber Experte Pawan Duggal:
"In Indien gibt es noch unglaublich viele Menschen, die ungebildet sind. Sie haben ein Smartphone, aber sie können kaum lesen. Dann sehen sie solche Videos auf ihrem eigenen Handy bei WhatsApp, das führt hier zu Massenhysterien oder eben Morden im Land."
Die günstigsten Mobilfunkraten weltweit
Eine halbe Milliarde Menschen sind in Indien mittlerweile online, die meisten erst seit kurzer Zeit. Das Land hat die günstigsten Mobilfunkraten weltweit, viele Anbieter haben in den letzten Jahren Smartphones verschenkt oder sehr günstig angeboten, um einen Platz auf dem heiß begehrten Mobilfunkmarkt zu bekommen, der immer noch wächst. In Indien hat der Messenger-Dienst WhatsApp, der vor gut fünf Jahren von Facebook gekauft wurde, neue Tools getestet, die dann weltweit eingesetzt werden.
Jetzt kurz vor den Wahlen hat das Unternehmen einen sogenannten "Checkpoint" eingeführt. User können dort Videos oder Fotos hinschicken. Eine Antwort bekommen sie allerdings nicht. WhatsApp sagt, es handele sich dem Tool um eine Art Recherche-Projekt. Darüber hinaus können User ihre Nachrichten nur noch an fünf Gruppen oder Menschen auf einmal schicken, außerdem ist zu erkennen, dass diese Nachricht nicht unbedingt vom Sender selbst stammt. Eine gute Initiative, sagt Pratik Sinha, er ist der Gründer der indischen Faktenchecker Webseite altnews. Dennoch bezweifelt er, dass deswegen heute weniger Falschmeldungen im Umlauf seien in Indien.
"Facebook hat bis jetzt noch keinerlei Daten darüber herausgegeben, ob und wie die eingeschränkten Funktionen sich auf die Verbreitung von Nachrichten hier im Land ausgewirkt haben. Die bräuchten wir, um verlässliche Aussagen treffen zu können."
Terroristen und Oben-ohne-Fotos
Zurzeit hat Pratik Sinha besonders viel zu tun. Er entlarvt Falschmeldungen in den sozialen Netzwerken. Im Wahlkampf und in der wochenlangen Wahlphase im Land ist noch mehr Propaganda als sonst unterwegs. Fotos von Spitzen-Kandidaten zusammen mit Terroristen, die Mutter eines Parteichefs angeblich oben ohne am Strand. Das sind nur wenige Beispiele von den zahllosen Videos, Fotos und Behauptungen, die jeden Tag in Indien in die sozialen Netzwerke gespeist werden. In 23 Landessprachen, bis in jede Ecke des Landes. Dazu jede Menge Partei-Propaganda. Denn auch wenn die Unternehmen der sozialen Netzwerke nun mit ihren neuen Tools zeigen wollen, dass sie sich kümmern, haben sie gerade in Indien schon bei den letzten Wahlen erkannt, wie sie auch Politiker unterstützen können. Vor allem die hindu-nationalistische Partei BJP war bereits vor fünf Jahren schon ganz weit vorne im digitalen Wahlkampf. Unzählige freiwillige Helfer posten und verschicken unzählige Male am Tag Partei-Propaganda. Arvind Gupta, der Leiter des Informationsteams der Regierungspartei BJP, nennt seine Helfer "Cyber-Krieger":
"Wir wollen damit unsere freiwilligen Helfer im Netz motivieren und ihnen sagen, dass ihre Arbeit genauso wichtig ist, wie die der Menschen, die von Tür zu Tür gehen. Ich denke, jeder erkennt doch an, wie wichtig eine Unterstützer-Basis in den sozialen Netzwerken ist, so simpel ist das!"
In der sogenannten größten Demokratie der Welt kämpfen sie um die Aufmerksamkeit von mehr als 900 Millionen Wahlberechtigten. Die Parteien verfügen mittlerweile über einen enormen Datenschatz ihrer Wähler, mit ihren Cyber-Kriegern erreichen sie jede Ecke des Landes. Hunderte Profile hat Facebook in den letzten Tagen gelöscht, die Teil eines koordinierten Versuchs waren, die Wahl zu beeinflussen. WhatsApp arbeitet nun auch mit lokalen Organisationen zusammen. Rund vierzig Mitarbeiter sollen die millionenfach gestreuten Gerüchte während der Wahlen aufdecken. Das ist nicht einmal ein kleinster Tropfen auf dem glühenden Stein.