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Bulgarien
Vier Wahlen und kein Ende in Sicht

Bei der Parlamentswahl in Bulgarien am 2. Oktober geht es auch um die künftigen Beziehungen zu Russland. Die letzte Regierung war im Streit darüber zerbrochen. Der Umgang mit Russland polarisiert die bulgarische Gesellschaft.

Von Silke Hahne | 01.10.2022
Wahlkampfbus mit Plakat von Kiril Petkow von der Partei „Wir setzen den Wandel fort“
Kiril Petkow von der Partei „Wir setzen den Wandel fort“ war der letzte gewählte Ministerpräsident des Landes, bevor er durch ein Misstrauensvotum gestürzt wurde (Deutschlandradio / Silke Hahne)
Wachwechsel vor dem Präsidentenpalast in Sofia. Die Soldaten in ihren schmucken weiß-roten Paradeuniformen marschieren natürlich nicht zu lauter Rockmusik. Die Musik haben Demonstranten voll aufgedreht, die gegen die aktuelle Übergangsregierung protestieren. Die vom sozialistischen Präsident Rumen Radev eingesetzten Politiker sind ihnen zu russlandfreundlich:

„Ich bin definitiv gegen die aktuelle Regierung. Sie versucht, unsere Verbindung zu Russland noch zu stärken. Meiner Meinung nach ist das moralisch betrachtet nicht das, was wir jetzt tun sollten.“

„Es ist kein Geheimnis, dass unser Präsident pro-russisch ist. Er hat mal gesagt, die Krim sei russisch.“

„Und wir haben auch Angst, dass Bulgarien als Trojanisches Pferd in der EU angenommen wird.“

Der Umgang mit Russland polarisiert die bulgarische Gesellschaft. Es ist eines der Streitthemen, an denen die letzte Regierung im Juni zerbrochen ist, nach nur sieben Monaten im Amt. Und es ist eins der Streitthemen des aktuellen Wahlkampfs. Bulgarien wählt an diesem Sonntag (02.10) zum vierten Mal in nur anderthalb Jahren. Die wichtigsten Parteien sind zerstritten. Eine stabile Mehrheit in der stark zersplitterten Nationalversammlung scheint nahezu unmöglich. Sechs bis acht Parteien werden laut Umfragen ins Parlament einziehen.
Der politische Stillstand sorgt für Frust: Viele Bulgarinnen und Bulgaren fragen sich, wie sie angesichts hoher Gaspreise durch den Winter kommen sollen. Fast schon ein Wahlkampf-Dauerbrenner ist außerdem der Kampf gegen Korruption und Vetternwirtschaft, der nur schleppend vorankommt. 

Kiril Petkow will Dreier-Koalition bilden

Diesen Kampf hat sich Kiril Petkow mit seiner Partei „Wir setzen den Wandel fort“ auf die Fahnen geschrieben. Er war der letzte gewählte Ministerpräsident des Landes, bevor er durch ein Misstrauensvotum gestürzt wurde. 

„Wir sind an einem Scheideweg und es gibt hier keinen Kompromiss: Entweder arbeiten die Institutionen im Land, wie sie sollen. Oder sie beschützen die Geldflüsse, die seit Jahren in diesem Land laufen.“ 
Damit meint Petkow seinen politischen Opponenten Bojko Borissow und dessen Partei, die konservativen „Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens“, kurz GERB. GERB führt aktuell die Umfragen mit rund 24 Prozent der Stimmen an. Vor „Wir setzen den Wandel fort“, die auf knapp 18 Prozent kommen. Es sind Umfragen, an die Kiril Petkow nicht glauben mag. Er gibt sich absolut siegessicher: 

„Aus zwei Gründen. Erstens sagt mir das meine Erfahrung. Bei der letzten Wahl haben die Umfragen uns das gleiche gezeigt: Der Abstand zwischen den Parteien wurde wenige Tage vor der Wahl exakt so beziffert wie jetzt. Und zweitens machen wir unsere eigenen Umfragen. Darin sehen wir zwischen GERB und uns nur sehr kleine Unterschiede. Aber eine große Prozentzahl an Wahlberechtigten, etwa zehn Prozent, die sich noch nicht sicher sind, wen sie wählen. Aber sie wollen definitiv nicht für Borissow stimmen. Beides deutet darauf hin, dass wir eine beachtliche Chance haben, eine Dreier-Koalition zu bilden.

Sozialisten in Bulgarien traditionell pro-russisch 

Petkow will mit dem Wahlbündnis „Demokratisches Bulgarien“ und mit den Sozialisten regieren. Beide waren auch Teil der letzten Regierung. Geplatzt war diese wegen des vierten Koalitionspartners, der populistischen Partei „Es gibt ein solches Volk“, die wegen Streit um den Staatshaushalt und die Beziehungen zum Nachbarland Nordmazedonien die Regierung verlassen hatte. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine zeigten sich jedoch auch deutliche Differenzen unter den restlichen drei Parteien – vor allem in der Haltung gegenüber Russland.
Die Sozialisten sind traditionell pro-russisch und weichen auch jetzt nicht davon ab. Die Politologin Genowewa Petrowa vom zweitgrößten bulgarischen Umfrage-Institut Alpha Research hält es daher für einen schweren Fehler Petkows, mit ihnen regieren zu wollen. 

„Stellen wir uns vor, die Parteien kriegen genug Stimmen, um ihre Dreier-Koalition zu bilden. Die Sozialisten werden darauf beharren, von Gazprom Gas zu kaufen, weil es in ihren Worten das billigste Gas ist. Herr Petkow wird das anders sehen, nach seinen Erfahrungen mit Gazprom. Wie lange soll diese Regierung also halten?“

Unklar, ob Übergangsregierung abgelöst wird

Den Umfragen von Alpha Research zufolge ist es aber ohnehin unwahrscheinlich, dass Petkows Wunsch-Koalition eine Mehrheit im Parlament bekommt. Mit Bojko Borissows GERB will erst recht keine der anderen Parteien regieren: Ihr hängen zahlreiche Korruptionsskandale aus mehr als zehn Regierungsjahren an. Wenn in drei Anläufen keine Regierung gebildet werden kann, könnte der Präsident das Parlament erneut auflösen. Die von ihm eingesetzte Übergangsregierung würde dann wohl bis zum Frühling weitermachen. Viele Politiker sprechen offen an, dass sie dieses Szenario für wahrscheinlich halten. Für die Wähler sei das abschreckend, so die Analyse der Wahlforscherin Petrowa. 

„Ich weiß nicht, was sie damit erreichen wollen. Aber der Effekt ist, dass sich die Leute fragen, warum sie überhaupt wählen gehen sollen.“
Plakat einer Demo gegen dei Übergangsregierung
Plakat einer Demo gegen dei Übergangsregierung (Deutschlandradio / Silke Hahne)
Fehlendes politisches Interesse könne man den Menschen in Bulgarien jedenfalls nicht nachsagen, so Petrowa. Sie erhielten aber seitens der Parteien keine Antworten auf ihre drängendsten Fragen. Zum Beispiel auf die Frage, wie sie im kommenden Winter ihre Wohnungen heizen sollen.  

Politisches Chaos um Gasversorgung

Bulgarien gehört mit Polen zu den ersten Ländern in der EU, denen Russland Ende April komplett den Gashahn zudrehte: wegen ihrer Weigerung, die Rechnungen in Rubel zu zahlen. Ein echtes Problem für Bulgarien, das zu diesem Zeitpunkt mehr als 90 Prozent seines Gasverbrauchs mit russischem Erdgas deckte. Bis Ende des Jahres läuft dieser wichtigste Liefervertrag mit Gazprom noch, so die Chefin des größten bulgarischen Gasimporteurs Bulgargaz, Deniza Slatewa: 

„Wir haben noch einen existierenden Vertrag bis Ende des Jahres. Den wir einhalten, nachdem wir jeden Abend die Aufträge erteilen für den nächsten Tag, nach dem geplanten Tagesmengen-Bedarf. Und wir bekommen als Bestätigung, dass null Megawatt geliefert wird.“ 

Um die Gasversorgung herrscht seit dem Lieferstopp ein heilloses politisches Chaos. Die damals noch amtierende Regierung Petkows zeigte sich zuversichtlich, die relativ geringen Mengen aus anderen Quellen besorgen zu können. In Bulgarien werden im Jahr drei Milliarden Kubikmeter Erdgas verbraucht. In Deutschland sind es 85 Milliarden Kubikmeter. Dreh- und Angelpunkt für die neue bulgarische Einkaufsstrategie: Gas aus Aserbaidschan. Es soll noch im Oktober über einen neuen Pipeline-Anschluss über Griechenland nach Bulgarien fließen. Petkows Plan für den Übergang waren LNG-Lieferungen aus den USA. Ein Plan, den die Übergangsregierung nach Petkows Sturz wieder kassierte. Sie kündigte an, mit Gazprom über die ausstehenden Liefermengen verhandeln zu wollen. Bitten, die allerdings nicht erhört wurden, wie Deniza Slatewa knapp umschreibt: 

„Wir haben einen normalen Briefaustausch, aber wir haben keine Antwort seitens Gazprom auf die Briefe seit Mai erhalten.“

Mehr will Slatewa angesichts eines anstehenden Verfahrens vor einem Schiedsgericht nicht sagen.

Endverbraucher leiden unter steigenden Preisen 

Kein Gas, keine Antworten aus Russland: Aktuell muss Bulgargaz also Gas am Spotmarkt kaufen, was extrem teuer ist. Das Unternehmen musste mittels eines Regierungskredits gestützt werden. Für Endverbraucher wird der Gaspreis zwar gedeckelt. Ganz verschont bleiben aber auch sie nicht von den steigenden Preisen. So wie Familie Sachariew, die in der Kleinstadt Kostinbrod bei Sofia in einem großen Einfamilienhaus lebt. Mario Sachariew bewohnt mit seiner Frau und seiner Tochter das obere Stockwerk. In der Einliegerwohnung im Erdgeschoss lebt seine Mutter. 2007 haben sie ihr Haus gebaut.

„Als wir das Haus gebaut haben, gab es noch kein Gas in Kostinbrod. Erst im darauffolgenden Jahr wurde unser Ort ans Gasnetz angeschlossen. Und unser Haus war eins der ersten. Es war sehr schwierig, überhaupt an Gas zu kommen. Wir haben alles selber bezahlt, sogar die Bauarbeiten für die Gasleitung. Das war eine große Investition, aber sie hat sich gelohnt. Denn die Alternativen wären Brennholz oder Kohle gewesen.“ 

Inzwischen hat sich die Investition allerdings in einen finanziellen Alptraum verwandelt. Schon im vergangenen Winter hätten sich die Gaspreise verdreifacht. Also noch vor dem russischen Angriff auf die Ukraine und vor dem Lieferstopp. Für diesen Winter schwant Sachariew deshalb Böses:

„Natürlich sind wir sehr beunruhigt. Unsere Einkommen sind kaum gestiegen. Es wird erwartet, dass sich der Preis in diesem Winter noch einmal verfünffacht. Ich habe nach einem Ausweg gesucht und letztlich eine Klimaanlage eingebaut.“

Stimmenkauf gilt in Bulgarien als offenes Geheimnis

Und noch etwas treibt den Familienvater um:

„Ich bin der Meinung, dass jeder wählen gehen muss. Wir sind wirklich dazu verpflichtet. Denn es ist bekannt, dass viele Stimmen gekauft werden. Deshalb ist es wichtig, dass die Wahlbeteiligung hoch ist. Damit die gekauften Stimmen keine große Bedeutung haben für das Wahlergebnis. Ich rufe meine Landsleute deshalb dazu auf, wählen zu gehen.“

Dass Parteien Stimmen kaufen, gilt in Bulgarien als offenes Geheimnis. Das Institut für die Entwicklung der Öffentlichkeit, kurz IPED, ist eine kleine, unabhängige Organisation, die sich fairen und freien Wahlen in Bulgarien verschrieben hat. Seit 2011 schickt das IPED Wahlbeobachter ins Feld und wertet die Stimmabgaben systematisch aus. Dabei sind Muster zutage getreten: Wahlkreise zum Beispiel, in denen sich nie das Wahlverhalten ändert, erklärt die Geschäftsführerin von IPED, Iva Lazarova: 

„Wir nennen das die gefährdeten Wahllokale. Dort muss etwas vorliegen, was das Wahlverhalten beeinflusst. Manche liegen etwa in sehr armen Gegenden, zum Beispiel im Nordwesten des Landes. Dort gibt es einen Ort, Vulchedrum, wo 45 Prozent der Menschen unter der Armutsgrenze leben. 33 Prozent sind arbeitslos. Von denen, die Arbeit haben, ist die Hälfte im öffentlichen Dienst angestellt. Beim Bürgermeister oder der Gemeinde-Verwaltung.“ 

Das heißt: Ihr Einkommen ist von der lokalen Politik abhängig. Ihre Stimmen werden also nicht direkt gekauft; die Menschen stehen aber unter Druck, die Parteien zu wählen, die ihnen den Job sichern. Die meisten Gemeinden im Land werden derzeit von Bojko Borissows Partei GERB regiert. Auch in Elendsvierteln der großen Städte ist Wahlbetrug keine Seltenheit.

Schlechte Lebensbedingungen in Stolipinowo

Zum Beispiel in Stolipinowo, einer der größten Roma-Siedlungen in Südost-Europa. Nur 15 Minuten Fahrt sind es hierher vom pittoresken Zentrum der zweitgrößten bulgarischen Stadt, Plowdiw. Der Unterschied könnte jedoch kaum krasser sein. Auch bei gutem Wetter stehen in Stolipinowo die Straßen unter Wasser. Viele Leitungen sind kaputt, denn die Wohnblocks aus sozialistischer Zeit werden seit Jahrzehnten kaum gewartet. Zwischen den Hochhäusern und auf den Brachflächen liegt bergeweise Müll. 
Angesprochen auf die Wahl, bekommt man von den Bewohnerinnen und Bewohnern des Viertels unterschiedliche Antworten. Eine Frau erzählt zunächst freimütig: 

"Wir wissen nicht, wen wir wählen werden. Man wird uns die Listennummer sagen, und wir werden wählen. Woher sollen wir wissen, wen wir wählen werden? Man wird uns noch sagen, wen wir wählen sollen." 

Nach Einzelheiten gefragt, wer ihr das denn sage, schalten sich umstehende Frauen ein: 

"Oh, nein! Keiner gibt uns Geld, keiner. Wir gehen einfach so zur Wahl, wir nehmen kein Geld."
Wahlplakate in Stolipinowo
Wahlplakate in Stolipinowo (Deutschlandradio / Silke Hahne)
Stimmenkauf ist eine Straftat, das steht auf allen Wahlplakaten in Bulgarien. Wahlwerbung macht in Stolipinowo ohnehin nur eine Partei: Die „Bewegung für Rechte und Freiheit“, die Partei der türkischen Minderheit. Auch viele Roma in Stolipinowo identifizieren sich als Türken. Von den meisten Parteien fühlen sie sich hier im Viertel im Stich gelassen, erzählt Assen Karagjosov, von der Stiftung für Roma in Plowdiw. 

„Die Menschen hier vertrauen nur sich selber. Jeder versucht irgendwie zu überleben. Sie sind gut informiert, aber sie haben kein Vertrauen in die Politik. Deshalb gehen viele nicht wählen, denn man sieht ja, dass hier nichts getan wird.“ 
Der Frust über die schlechten Lebensbedingungen in Stolipinowo ist riesig. Kaum eine Ecke gibt es, in der kein Müll liegt, der Ratten und Ungeziefer anzieht, beschweren sich Anwohner: 

"Wir zahlen jeden Monat Miete. Soll es hier so aussehen? Wir können die Fenster nicht aufmachen. Es stinkt! Man kann hier nicht ruhig Kaffee trinken. Man verlangt Miete von uns; wofür zahlen wir die?"
Assen Karagjosov, von der Stiftung für Roma in Plowdiw
Assen Karagjosov, von der Stiftung für Roma in Plowdiw (Deutschlandradio / Silke Hahne )
Korruptionsvorwürfe gegen Bojko Borissow und seine GERB
Die Wohnungen gehören der Gemeinde Plowdiw. Die GERB-regierte Stadtverwaltung hat ein Unternehmen mit der Müllentsorgung beauftragt. Ihr zufolge entsorgen täglich mehrere Müllwagen die Abfälle aus dem Bezirk, in dem Stolipinowo liegt. Der Zustand im Viertel wirft allerdings Fragen auf. Anwohner vermuten, dass es sich um Korruption handelt – dass also Geld für die Müllbeseitigung fließt, die Einhaltung des Auftrags aber nicht überprüft wird.
Das Vertrauen in die öffentlichen Institutionen des Landes ist extrem gering. Im Korruptions-Wahrnehmungs-Index von Transparency International landet Bulgarien im EU-Vergleich seit Jahren auf den hinteren Rängen. Die meisten Parteien, die bei der Parlamentswahl antreten, machen dafür Bojko Borissow und seine GERB verantwortlich. Die Partei selbst hingegen weist solche Vorwürfe von sich. Toma Bikow saß mehrfach für GERB in der Nationalversammlung. Dass Korruption in Bulgarien ein Problem ist, streitet er nicht ab, schränkt aber schulterzuckend ein: 

„Wo gibt es keine Korruption?“

Ganz ernst zu nehmen scheint Bikow das Thema nicht. Auch wenn er betont, dass während der Regierungszeit von GERB viele Schritte gegen Korruption unternommen worden seien. Dazu zählen etwa ein 2018 verabschiedetes Antikorruptionsgesetz, das die Einrichtung einer Agentur für Korruptionsbekämpfung nach sich zog. Dabei spielte jedoch auch eine Rolle, dass Bulgarien bei seinem EU-Beitritt im Jahr 2007 die europäischen Vorgaben zur Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität noch nicht erfüllt hatte. Bulgarien musste sich deshalb dem sogenannten Kooperations- und Kontrollverfahren unterziehen: einer regelmäßigen Kontrolle der Fortschritte in diesem Bereich. Der jüngste Rechtsstaatsbericht der EU attestiert Bulgarien zwar, seine Aktivitäten hochgeschraubt zu haben. Allerdings mangele es bisher an echten Erfolgen bei der Verfolgung von hochrangiger Korruption. Zu den Maßstäben, die an sein Land angelegt werden, sagt Toma Bikow: 

„Denken Sie an uns nicht wie an Deutsche. Denken Sie an uns eher wie an Griechen.“

Keine absolute Mehrheit der GERB erwartet

Es ist diese Haltung und die Weigerung Bojko Borissows, sich aus der Politik zurückzuziehen, die GERB innenpolitisch isoliert haben. Rückendeckung für Borissow kommt hingegen aus der europäischen Volkspartei. Der EVP-Fraktionschef im EU-Parlament Manfred Weber reiste eigens zum Wahlkamp-Endspurt nach Sofia, um Bojko Borissow öffentlich die Unterstützung zuzusagen: 

„In eurem Kampf für ein europäisches Bulgarien habt ihr die volle Unterstützung eurer Freunde in Europa, der größten Partei in Europa: der europäischen Volkspartei. Es war die Regierung von Bojko Borissow, die in den letzten Jahrzehnten Bulgarien zu einem geachteten Partner in Europa gemacht hat. Deswegen: Wenn wir unsichere Zeiten haben, muss man Erfahrung und Stabilität wählen. Und das heißt, man muss GERB wählen, man muss Bojko Borissow wählen.“ 
Ob die prominente Wahlkampfhilfe aus Brüssel Borissow noch hilft, ist allerdings mehr als fraglich. So dürfte GERB zwar stärkste Kraft werden, aber weit hinter ihrem angestrebten Wahlkampfziel zurückbleiben, der absoluten Mehrheit. Das weiß auch GERB-Mann Toma Bikow:  

„Wir sprechen schon seit Monaten darüber, dass nach dieser Wahl eine Krisenregierung gebildet werden sollte. Daran sollten sich alle pro-europäischen Parteien beteiligen. Egal wie zerstritten sie sind.“  

Bikow meint damit durchaus auch die ärgste Konkurrenz, „Wir setzen den Wandel fort“. Ex-Premier Kiril Petkow lehnt jedoch dankend ab: 

„Wenn wir unseren Wählern Reformen der Justiz und die Rückkehr des Rechtsstaats versprechen, können wir das unmöglich mit jemandem tun, der Angst hat ins Gefängnis zu wandern. So einfach ist das.“ 

Russland als Wahlgewinner

Wie es aussieht, könnte es also vor allem einen Wahlgewinner geben: Und das sei Russland, so die Politologin Genowewa Petrowa: 

„Das Ziel Russlands ist ja nicht, dass Bulgarien die EU und die NATO verlässt und sich nach Osten orientiert. Ihnen geht es darum, dass Bulgarien – und auch Ungarn, ganz Zentral- und Osteuropa – dass diese Länder Mitglieder der Europäischen Union und der NATO sind. Aber schwache Mitglieder. Das ist am besten für Putin. Und meiner Meinung nach ist es das, was die sogenannten pro-russischen Agenten in Bulgarien tun. Der oberste ist der Präsident.“

Rumen Radev also, der wahrscheinlich auch nach dieser Wahl in Bulgarien am meisten zu sagen haben wird.