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Was Geisteswissenschaftler leisten

Der Wissenschaftsrat plant ein Forschungsranking - auch für die Geisteswissenschaften. Nicht die Anzahl der Publikationen soll dabei entscheidend sein, sondern nach der Qualität der wissenschaftlichen Arbeit, erklärt der Ex-Vorsitzende des Wissenschaftsrat, Peter Strohschneider.

Peter Strohschneider im Gespräch mit Sandra Pfister | 01.07.2011
    Sandra Pfister: Diese Philosophen, was leisten die überhaupt? Diese Frage hat diesmal kein notorischer Kritiker aus der Naturwissenschaftlerecke gestellt, es war der Wissenschaftsrat. Und der meint das absolut ernst. Der Wissenschaftsrat sucht nach Kriterien, was Geisteswissenschaftler in der Forschung so alles leisten. Wie soll man das messen? Gute Frage! Und die gebe ich gleich weiter an Peter Strohschneider, der ist nämlich selbst Mediävist, also Experte für deutsche Literatur des Mittelalters, und die Idee, dass auch die Geisteswissenschaften ihre Leistungen messbar machen sollten, die stammt unter anderem von ihm. Peter Strohschneider war nämlich bis vor Kurzem Vorsitzender des Wissenschaftsrates. Herr Strohschneider, in den Geisteswissenschaften war doch von jeher klar in jedem Fachbereich, wo die Koryphäen sitzen, da brauchte es gar kein Ranking oder Ähnliches. Warum ist das auf einmal nicht mehr genug?

    Peter Strohschneider: Das ist jedenfalls wichtig, das würde ich unter dem Stichwort Reputation, disziplinäre Kenntnis, Kenntnis des Feldes und so weiter zusammenfassen. Und das ist ein wichtiges Steuerungsmedium von Wissenschaft und wird es auch ganz gewiss bleiben. Es ist aber ein Steuerungsmedium, das sozusagen immer auf der Kommunikation unter Kennern beruht, wenn ich das mal so sagen darf. Nach außen, das heißt, in die Wissenschaftsadministration und in die Wissenschaftspolitik ist aber Reputation schwer kommunizierbar. Und sie ist außerdem ein Steuerungsmedium, das sozusagen Eigentümlichkeiten hat. Es gibt Leute, die ganz wenig Reputation haben, obwohl sie die künftigen reputationsbegründenden Forschungsleistungen heute schon erbracht haben. Das sind Sonderbedingungen.

    Pfister: Sie haben das gerade schon erwähnt, Wissenschaftspolitik. Dieses Stichwort fiel auch. Hängt diese Suche nach Kriterien, die Leistungen der Geisteswissenschaften genau erfassen, auch damit zusammen, dass Geisteswissenschaftler ein Rechtfertigungsproblem haben heute?

    Strohschneider: Nein, sie haben kein anderes Rechtfertigungsproblem im Wissenschaftssystem als alle anderen Fächer. Sie sind - das ist so eine Formel des Wissenschaftsrates aus einer wichtigen Empfehlung von 2006 - Wissenschaften unter Wissenschaften.

    Pfister: Nun glaubt man ja bislang, so ein Kriterium zu haben zur Bewertung des wissenschaftlichen Outputs der Geisteswissenschaften - das war die Anzahl der Veröffentlichungen. Da entwickelt sich so eine gewisse Eigendynamik, dass das selbe Thema in scheinbar neuen Fassungen in 20 Aufsätzen verwurstet wird und jeder Zwischenstand auch noch mal als Neuigkeit verkauft wird.

    Strohschneider: Salamitaktik!

    Pfister: Ist das einer der Gründe, warum Sie sagen: Wir brauchen bessere Kriterien?

    Strohschneider: Das ist eine Salamitaktik, die in allen Wissenschaften, also in allen Fächergruppen, in allen Disziplinen verfolgt wird, und die gewissermaßen durch eine Quantifizierung des Publikationsoutputs erzeugt wird als Fehleffekt gewissermaßen. Diese Differenz zwischen bewerten - also ein fachliches Urteil formulieren - und zählen - also aufaddieren -, diese Differenz zwischen zählen und bewerten, ist für die Überlegung des Wissenschaftsrates zum Forschungsrating von fundamentaler Bedeutung.

    Pfister: Klasse statt Masse, das ist sehr plausibel! Welche Ideen haben Sie, wie wir stattdessen Forschung messen können oder bewerten können, wie Sie sagen?

    Strohschneider: Im Wissenschaftsrat wird diskutiert über ein Verfahren - und zwar seit Jahren diskutiert -, wie man zu dem kommen kann, was die Fachleute "informed peer review" nennen: Eine Bewertung der Forschungsleistungskraft und Leistungshöhe einer wissenschaftlichen Einrichtung durch eine Gruppe von "Peers", also durch Fachvertreter. Und dass man die Deutungsmacht - um das mal so zu sagen - über die Leistungshöhe einer Einrichtung Fachkollegen - also nicht irgendwelchen Wissenschaftsadministratoren zum Beispiel oder Wissenschaftspolitikern oder Fachfremden zumutet, sondern Fachkollegen!

    Pfister: Die Geisteswissenschaftler stöhnen ja auch wie andere Fachgruppen darüber, dass sie allein schon durch die Exzellenzinitiative, durch die zahlreichen Forschungsanträge, durch Drittmittelbeantragung zusammenbrechen.

    Strohschneider: Das ist aber eine andere Frage!

    Pfister: Ja, vollkommen klar, aber sie brechen zusammen, vor zu erbringenden Leistungen, die gar nichts mehr mit Forschung zu tun haben. Jetzt wollen Sie noch mehr Peer-Review einführen - noch mehr Bewertungskriterien! Ist es eigentlich Konsens unter den Geisteswissenschaftlern, dass sie das überhaupt noch schultern können?

    Strohschneider: Jetzt stellen Sie die Frage nach dem Verhältnis von Aufwand und Ertrag. Und ich würde sofort einräumen, dass diese Frage offen ist, auch im Hinblick auf das Forschungsrating des Wissenschaftsrates. Es ist der Versuch, sozusagen die Evaluitis, die grassierende Flut der Rankings ein wenig einzudämmen dadurch, dass man ein Verfahren wählt, das methodisch sehr viel valider ist, sehr viel anspruchsvoller, aber auch sehr viel aufwendiger. Und ob das dann so balanciert werden kann, dass man sagt, der Aufwand und der Ertrag stehen in einem vernünftigen Verhältnis, das wird man erst beurteilen können, wenn diese Pilotstudie abgeschlossen ist.

    Pfister: Kurze Frage zum Schluss: Wird es dazu führen, dass Geisteswissenschaftler mehr Drittmittel abgreifen können, wenn sie mehr wissenschaftlich dokumentierbaren Erfolg vorweisen können?

    Strohschneider: Nein, das glaube ich nicht. Eine solche einfache Koppelung sehe ich nicht zwischen Drittmittelerfolgen und Forschungsbewertung. Und die Probleme, die Finanzierungsprobleme insbesondere der Geisteswissenschaften liegen gar nicht so sehr im Bereich der Forschungsfinanzierung als im Bereich der Organisation von freier Forschungszeit und einer auskömmlichen Finanzierung der akademischen Lehre, insbesondere dort, wo die Betreuungsrelationen nach wie vor und in wachsendem Maße in einer inakzeptablen Weise schlecht sind.

    Pfister: Peter Strohschneider, ehemaliger Vorsitzender des Wissenschaftsrates, der auf sein Anraten hin jetzt nach Rezepten fahndet, wie man geisteswissenschaftliche Forschung messen kann. Danke!