Ein Viertel der Deutschen hat eine Zuwanderungsbiografie. Einer von ihnen ist der 31-jährige Mazlum Alptekin aus Nordrhein-Westfalen: "Ich bin seit ein paar Jahren berufstätig und habe vor einiger Zeit das juristische Studium abgeschlossen."
Schon als kleines Kind kam Mazlum Alptekin mit seiner Familie aus der Türkei nach Deutschland. Mit seinen Eltern spricht er kurdisch, sonst meistens Deutsch. Auch sein Medienkonsum ist mehrsprachig: Über sein Hobby Computertechnik informiert der Jurist sich auf Englisch, über sein Herkunftsland und den Mittleren Osten liest er ergänzend kurdischsprachige Artikel. Ganz überwiegend nutzt er aber Kanäle und Online-Medien auf Deutsch. Vor allem die Berichterstattung der Öffentlich-Rechtlichen gefällt ihm.
Mazlum Alptekin findet aber auch, "dass es sehr wichtig ist, auch bei der Berichterstattung mal die deutsche Perspektive zu verlassen und so eine andere Sicht einzunehmen, vielleicht auch überhaupt das Denken in nationalen Gefügen hintenanzustellen. Personen mit beispielsweise anderer Zugehörigkeit oder anderer Geschichte würden natürlich bestimmte Informationen, auch wenn sie in Deutschland leben, aus einer anderen Perspektive darstellen und den Diskurs dadurch bereichern."
Junge Menschen mit Zuwanderungsgeschichte bevorzugen deutsche Angebote
Mit diesem Wunsch nach mehr Vielfalt ist der 31-Jährige nicht allein. Der WDR hat untersucht, welche Medien junge Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in NRW nutzen. Die Befragten, die zum Großteil in Deutschland geboren und zweisprachig aufgewachsen sind, bevorzugen demnach deutsche Angebote und vertrauen vor allem den Öffentlich-Rechtlichen.
Darin unterschieden sie sich kaum von Gleichaltrigen ohne Migrationshintergrund, stellt WDR-Medienforscher Erk Simon klar. Er sagt über die Befragten aber auch: "Sie haben eine eigene Erfahrung, einen eigenen kulturellen Hintergrund, der auch bei dieser Generation noch eine große Rolle spielt. Es werden zum Beispiel oft Online-Medien genutzt, auch fremdsprachige Medien aus dem Herkunftsland, gemeinsam meinetwegen mit der 'Tagesschau' oder mit 'WDR aktuell'. Auch um Meldungen zu verifizieren, um Hintergrund sich noch zu besorgen."
Mehrsprachige Mediennutzung: Weiter Blick statt schlecht integriert
In der Forschung gab es lange die Annahme, wer Medien aus dem Herkunftsland nutze, sei schlechter integriert. Das sei überholt, betont Iva Krtalic, beim WDR Beauftragte für Integration und kulturelle Vielfalt. Die Nutzung ausländischer Medien stehe für einen weiten Blick, nicht für die Isolation in einem Paralleluniversum.
Auch Ferda Ataman, Vorsitzende der Neuen Deutschen Medienmacher*innen, kennt solche Vorurteile. Sie sieht die WDR-Studie mit gemischten Gefühlen: "Ich bin bei solchen Studienergebnissen gespalten, weil ich mich einerseits total freue, dass es die Studie gibt, dass in den Blick genommen wird: 'Ach, guck mal, in unserem Publikum sind auch Menschen aus Einwandererfamilien, gucken wir uns doch mal an, was die so konsumieren.' Auf der anderen Seite ist es natürlich schräg, wenn im Jahr 2020 immer noch so ein bisschen exotisierend dezidiert auf eine Gruppe geguckt wird."
Genau darum ging es den Studienautoren nicht, sagen sie. Migrantinnen und Migranten spielten im gesellschaftlichen Wandel in den nächsten Jahren eine entscheidende Rolle und müssten in unserer postmigrantischen, also von Einwanderung geprägten Gesellschaft als Zielgruppe berücksichtigt werden.
Iva Krtalic hebt vor allem die Forderungen der Befragten hervor: "Es gab so Aussagen wie 'Wir finden es cool' oder 'Wir sind stolz', wenn eine Moderatorin mit Migrationshintergrund moderiert oder eine eigene Sendung hat oder sowas. Das ist ein sehr wichtiger Punkt, der für die Medienhäuser natürlich Handlungsoptionen öffnet."
Befragte wünschen sich Abbildung der Diversität in den Medien
Handlungsoptionen: Das heißt, mehr Vielfalt in Programm und Redaktionen. Die fordert auch Ferda Ataman: Bei der Frage, wer journalistisch arbeitet, hätten die Medien in den letzten zehn Jahren krasse Fortschritte gemacht. In Straßenumfragen würden Menschen aus Einwandererfamilien aber oft nur gefragt, wenn es um Themen wie Migration, Integration und Rassismus gehe.
Dass es auch anders geht, zeige der Blick in Länder wie Großbritannien, Frankreich und die USA, so Ataman: "Da merkt man einfach, dass das ein ganz anderes Level von Diversität schon erreicht hat. Und wir in Deutschland fangen da gerade erst an. Man muss die Leute wirklich noch oft daran erinnern: Hey, es geht einfach nicht, wenn ihr mehr als zwei Leute da habt, dass die alle weiß sind."
Die WDR-Befragung zeigt, dass Diversität für die Jüngeren zum Alltag gehört – und dass die Herkunft dabei nur eines von vielen Kriterien für Vielfalt ist. Von den Medien erwarten die Befragten, diese Realität abzubilden.