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Weihnachtsvorlesung mit Witzerklärung

Sie sind ein Klassiker und für viele Studierende der ersten Semester das Highlight: An fast allen deutschen Unis befassen sich Dozenten in der letzen Vorlesung vor Weihnachten mit besonderen Themen. "Anatomie der Akademie" war das Thema der launigen Vorlesung in Frankfurt.

Von Bianca von der Au |
    Schon ab viertel vor zwei müssen sich die ersten Studierenden einen Platz auf der Treppe suchen. Der Hörsaal an der Frankfurter Uni-Klinik ist rappelvoll.

    "Obwohl wir heute gar nix mehr haben, bin ich gekommen. Die ist berühmt-berüchtigt diese Vorlesung. Höhere Semester haben sie empfohlen, die Vorlesung, und das wollte ich mir mal anschauen."

    "Herr Wicht ist eine Institution bei uns an der Uni und wenn der Herr Wicht was erzählt, kann man davon ausgehen, dass man auf jeden Fall was Neues lernt."

    Pünktlich um viertel nach zwei geht's los. Auftritt des Anatomie-Dozenten Helmut Wicht, mit Totenkopf-Shirt, spitzen Stiefeln in Kroko-Optik und roter Weihnachtsmannzipfelmütze.

    "Von der Akademie will ich ihnen also erzählen, von der Universität, was sie ist, was sie war, von ihrer Größe, aber auch von ihrem Elend."

    Die über 300 Erstsemester folgen gespannt den Ausführungen ihres Anatomie-Dozenten, der sie mit zum Teil zünftigen Anekdoten durch die Universitätsgeschichte leitet. Da geht es um Hippokrates, den Übervater der Mediziner, um die alten Griechen und um die Entstehung des Begriffs Akademie - gespickt mit einem etwas derben Mediziner-Humor:

    "Der Plato hätte ja auch auf die Idee kommen können, sich mit seinen Leuten zum Philosophieren im Peristyl eines Tempels zu treffen, dann hießen wir heute nicht Akademiker, sondern Peristaltiker. Nur auf die Gefahr hin, dass Sie den Witz nicht kapiert haben: Perestaltik, das heißt bei den Medizinern Darmtätigkeit."

    Und so kalauert sich Dr. Wicht knappe 45 Minuten durch Freud und Leid des universitären Lebens. Die aktuellen Probleme der Uni lässt er bei seiner elften Weihnachtsvorlesung außen vor, trotzdem ist er sich ihrer sehr bewusst.

    "Das aktuelle Elend sehen Sie hier in Form der Vermassung und Überfüllung. Das war jetzt sehr erfreulich, dass der Hörsaal pickepackevoll war, aber wir lesen unter ähnlichen Bedingungen auch unsere normalen Vorlesungen. Die Leute finden keinen Sitzplatz mehr. Und das ist meiner Ansicht nach einer der zentralen Elendspunkte der Akademie, die Vermassung. Die Relation zwischen Lehrenden und Studierenden verschiebt sich zu Ungunsten der Lehrenden, wir sind zu wenige für die Massen, die wir hier abfertigen müssen."

    Darüber können die 45 Minuten Weihnachtsvorlesung natürlich nicht hinwegtäuschen, doch für die Studierenden ist es eine Gelegenheit, den stressigen Uni-Start für kurze Zeit zu vergessen.

    "Weil es ging ja schon los mit den Vorlesungen und parallel haben wir noch nach was zu wohnen gesucht. Und wir haben beide ziemlich lange gebraucht, hatten erst was zur Untermiete und dann erst in die richtige Wohnung. Und das parallel zu den Vorlesungen war schon viel am Anfang."

    Für Helmut Wicht, der seit über 20 Jahren in der Wissenschaft arbeitet, ist die Weihnachtsvorlesung ein Freiraum abseits des Unibetriebs, den er sich und seinen Studierenden gönnt.

    "Ich träum' von dieser pathetischen Gemeinschaft der Lehrenden und Studierenden, das mehr von einem Vertrauensverhältnis als von dieser Prüfungsmentalität geprägt ist."

    "So, das war's. Das war meine Liebeserklärung an die Alma Mater. Ich danke allen."

    Und die Studenten verlassen strahlend den Hörsaal. Draußen gibt's Glühwein für alle, den haben sie sich nach den Anstrengungen der letzten Monate verdient.

    "Für uns war das auch schon ein Ziel vor ein paar Wochen, da haben wir gedacht: Dann ist die Weihnachtsvorlesung und an dem Tag werden wir es alle geschafft haben. Da haben wir uns schon länger drauf gefreut, das ist auf jeden Fall ein schöner Abschluss."

    "Wir haben grad die erste Anatomieprüfung geschafft und jetzt ist Weihnachten."