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Weimarer Verfassung vor 100 Jahren
Als die Demokratie in Deutschland laufen lernte

Am 31. Juli 1919 verabschiedete die Nationalversammlung in Weimar die erste parlamentarisch-demokratische Verfassung Deutschlands. Das Deutsche Reich wurde damit zur Republik. Allerdings waren die Gehversuche der ersten deutschen verfassungsmäßigen Demokratie nicht von langer Dauer.

Von Winfried Sträter | 31.07.2019
    Der Zweite Rat der Volksbeauftragten, die provisorische Reichsregierung nach dem Sturz des Deutschen Kaiserreiches posiert im Januar 1919 in Weimar, Deutschland. V.l.n.r.: Otto Landsberg, Reichsjustizminister, Philipp Scheidemann, Ministerpräsident, Gustav Noske, Reichswehrminister, Friedrich Ebert, Reichspräsident, Reichskanzler und Vorsitzender der SPD und Rudolf Wissel, Reichsarbeitsminister und Reichswirtschaftsminister, alle SPD. (KEYSTONE/IBA-ARCHIV/Str) |
    Wegbereiter der Weimarer Verfassung: Rat der Volksbeauftragten im Januar 1919 (IBA-ARCHIV)
    Zehn Grad minus. Im bitterkalten Februar 1919 waren die Abgeordneten in unbeheizten Zügen nach Weimar gereist, weil Berlin in den Revolutionswirren zu unsicher war. Nach weniger als sechs Monaten Beratung waren sie am Ziel. Mit 262 gegen 75 Stimmen bei einer Enthaltung gaben die Mitglieder der Nationalversammlung am 31. Juli 1919 dem Deutschen Reich eine demokratische Verfassung. Ein historischer Moment nach dem gescheiterten Versuch von 1848.
    Das Land, in dem die Verfassung gelten sollte, war allerdings erheblich kleiner, als die meisten erwartet hatten - eine Republik von Berlin bis Wien:
    "Von ganz links bis ganz rechts, von der USPD bis zur DNVP, und auch in Österreich von links bis rechts gehen alle davon aus, dass jetzt, nachdem Österreich die Landesteile, in denen nicht Deutsch gesprochen wird, allesamt verloren hat als Resultat des Ersten Weltkrieges, dass es jetzt überhaupt keinen Grund gibt, diese künstliche Trennung aufrechtzuerhalten."
    So Michael Dreyer, Leiter der Forschungsstelle "Weimarer Republik" an der Universität Jena.
    "Aber das machen die Alliierten nicht mit, die Idee, Deutschland verliert den Ersten Weltkrieg und kommt dann größer raus als vorher – das war nicht zu vermitteln."
    "Freiheit für alle Volksgenossen"
    Die Verfassung von 1919 katapultierte die deutsche Gesellschaft vom Obrigkeitsstaat des Kaiserreiches in einen der freiheitlichsten Staaten der Welt.
    "Das Wesen unserer Verfassung soll vor allem Freiheit sein. Freiheit für alle Volksgenossen."
    Das erklärte Friedrich Ebert, der erste Reichspräsident, nach seiner Vereidigung auf die Verfassung im August 1919.
    "Es ist eine Verfassung, in der das Volk unmittelbare Rechte hat, Volksinitiative, Volksgesetzgebung, auch das Volk als Schiedsrichter, wenn sich die politischen Gewalten streiten, das ist stärker institutionalisiert als in irgendeiner anderen Verfassung."
    Die Weimarer Verfassung ging da viel weiter als unser Grundgesetz. Partizipation, Bürgerdemokratie: das Regieren sollte nicht allein der politischen Klasse vorbehalten sein. Es war die Verfassung einer liberalen Demokratie, aber man spürt auch den revolutionären Hintergrund, auf dem sie entstanden war:
    "Es gibt einen ganzen Abschnitt in der Verfassung, wo es um wirtschaftliche und soziale Grundrechte geht, das Recht auf einen Arbeitsplatz oder, das Recht auf eine menschenwürdige Wohnung. Das alles sind Grundrechte, die in der Verfassung stehen und die zum Teil weit über das hinausgehen, was wir heute im Grundgesetz haben."
    Es fehlte ein Verfassungsgericht
    Allerdings fehlte die zentrale Institution, um die Rechte einklagen zu können: ein Verfassungsgericht. Trotzdem war die Verfassung von Weimar ein weitreichendes Angebot an die aus monarchischer Untertänigkeit entlassenen Deutschen. Den Entwurf hatte Hugo Preuß verfasst, einer der großen sozialliberalen Rechtsgelehrten seiner Zeit, der als Jude im Kaiserreich keine universitäre Anstellung bekommen hatte, nun aber von Friedrich Ebert für den Verfassungsentwurf herangezogen und zum Innenminister berufen wurde.
    "Jede Freiheit, an der mehrere teilnehmen, muss ihre Satzung haben. Diese haben Sie geschaffen. Gemeinsam wollen wir sie festhalten."
    Doch die Gemeinsamkeit, an die Friedrich Ebert im August 1919 appelliert, bleibt ein frommer Wunsch. Die Republik bewältigt zwar härtere Krisen als die Bonner Demokratie nach 1949. Als aber die größte, die Weltwirtschaftskrise, hereinbricht, rücken die Feinde der demokratischen Ordnung an die Schalthebel der Macht.
    "Wir wollen, meine Herren, eine machtvolle und überparteiliche Staatsgewalt schaffen." So kündigt Franz von Papen, der Reichskanzler, 1932 die Beseitigung der freiheitlich demokratischen Ordnung an. "Die Reform der Verfassung muss dafür sorgen, dass eine solche machtvolle und autoritäre Regierung in die richtige Verbindung mit dem Volke gebracht wird."
    Die Verfassung - das ist unter Historikern heute Gemeingut - war nicht das Problem der Weimarer Demokratie. Sondern die Entschlossenheit der Monarchisten, sie zu beseitigen, notfalls auch mit Hilfe des Demagogen Adolf Hitler und seiner Massenbewegung.
    "Sie ist zerstört worden von Leuten, die ganz genau wussten oder zumindest glaubten zu wissen, was sie da tun."