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Welthungerhilfe rät zur Unterstützung von Bauern

Hans-Joachim Preuß, Generalsekretär der Welthungerhilfe, warnt vor einer künstlichen Verbilligung von Lebensmitteln als Reaktion auf die Nahrungsmittelkrise. Das würde dazu führen, dass der kleine Anreiz verloren geht, der von höheren Lebensmittelpreisen auf die Landwirtschaft ausgeht, sagte Preuß.

Moderation: Jochen Spengler | 14.04.2008
    Jochen Spengler: Und jetzt, um zehn vor sieben, begrüße ich am Telefon Hans-Joachim Preuß, den Generalsekretär der Welthungerhilfe, mit dem ich über die Ursachen, die Folgen und mögliche Abhilfe der Lebensmittelknappheit sprechen möchte. Guten Morgen, Herr Preuß!

    Hans-Joachim Preuß: Guten Morgen, Herr Spengler!

    Spengler: Herr Preuß, auf unserer Erde ist im letzten Jahr alle fünf Sekunden ein Kind unter zehn Jahren verhungert. Jeder sechste Mensch ist unterernährt. Hunger ist also nun wahrlich kein neues Phänomen, sondern leider Alltag. Was ist neu an der jetzigen Situation?

    Preuß: Neu an der jetzigen Situation ist, dass die Nahrungsmittelpreise erheblich angestiegen sind, so dass selbst diejenigen Menschen, die sich bisher ihr täglich Brot kaufen konnten, nun vor fast unerreichbaren Lebensmitteln sitzen. Das heißt, sie haben aufgrund der gestiegenen Preise überhaupt nicht mehr das Geld, sich diese Nahrungsmittel zu kaufen, mit dem Effekt, dass sie hungern, dass ihre Kinder hungern, dass sie weniger produktiv werden.

    Spengler: Das heißt, wenn wir jetzt schon sagen müssen, alle fünf Sekunden stirbt ein Kind an Hunger, dann wird sich in diesem Jahr diese Zeit verkürzen?

    Preuß: Es wird mehr Tote geben aufgrund von Hunger, das ist ja kein unmittelbarer Prozess, sondern das sind ja lange Prozesse, die zur Schwächung der Konstitution führen, so dass dann Infektionskrankheiten quasi reiche Ernte halten.

    Spengler: Ja. Nun spüren auch wir hier im wohlhabenden Westen, dass die Lebensmittel teurer werden. Das ist für Familien, für viele Familien, hart. Aber es ist nicht vergleichbar?

    Preuß: Nein. In Entwicklungsländern geben ja gerade arme Menschen bis zu 80 Prozent ihres Familieneinkommens für Nahrungsmittel aus. Und da sind selbst kleine Erhöhungen so massiv, dass die Existenz infrage gestellt wird. Bei uns sind es vielleicht 15 bis 16 Prozent. Das ist für Menschen, die nicht viel Geld zur Verfügung haben, sicherlich auch hart, aber überhaupt nicht vergleichbar mit der Situation von über 800 Millionen Armen auf der Welt.

    Spengler: Rechnen Sie damit auch, dass sich die Hungeraufstände ausweiten?

    Preuß: Wir haben solche Bewegung, wie wir sie gerade im Augenblick in Haiti feststellen, auch in anderen Ländern festgestellt. Meist ist ja der Kampf um Lebensmittel, oder höhere Lebensmittelpreise sind ja nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Es ist nie nur ein Grund, der zu solchen Revolten führt. Aber wenn es eben in vielen Ländern mehr hungrige Menschen gerade in Städten gibt, wo ja viele zusammenkommen, dann wird noch manche Regierung um ihr Überleben zittern müssen.

    Spengler: Heißt das auch für Sie, für die Helfer, die vor Ort versuchen, den Hunger zu lindern, dass es gefährlicher wird?

    Preuß: Das würde ich so nicht sagen. Nach wie vor, es gibt wenige Ausnahmen, aber nach wie vor gelten ja Menschen aus Europa, aus den westlichen Ländern, die zur Unterstützung der jeweiligen Ökonomien und der Menschen da sind, nicht als Zielscheibe, nicht als diejenigen, auf die sich der Zorn konzentriert. Nein, aber wir werden unsere Arbeit verändern müssen. Wir werden weniger in den Bereichen tun, beispielsweise im Bereich der Bildung oder im Bereich der städtischen Infrastruktur. Und wir werden mehr investieren müssen in die Landwirtschaft.

    Spengler: Ist der Kampf gegen den Hunger verloren?

    Preuß: Nein, er ist nicht verloren. Wir haben es in den vergangenen 50 Jahren geschafft, die Landwirtschaft insgesamt produktiver zu machen, gemeinsam in Entwicklungsländern und in Industrieländern. Nur wir haben es in den letzten 20 Jahren darauf ankommen lassen, dass sich das alles schon selber entwickelt, und das war ein Trugschluss. Von 20 Prozent Anteil an den Entwicklungsausgaben für Landwirtschaft sind im Augenblick noch 3 oder 4 Prozent übrig geblieben. Das ist viel zu wenig, um diese Quelle der Ernährung vieler, vieler Menschen voranzubringen. Und deswegen brauchen wir hier eine Trendwende. Es müssen mehr Mittel für Landwirtschaft, für ländliche Entwicklung zur Verfügung gestellt werden, damit Straßen gebaut werden können, damit landwirtschaftliche Beratung erfolgen kann, damit Bewässerungssysteme gebaut werden. Und wenn diese Desinvestition in die Landwirtschaft nicht umgekehrt wird, dann könnte dieser Prozess, den Sie andeuten, eintreten.

    Spengler: Das sind langfristige Maßnahmen, die Sie ansprechen. Was kann man denn kurzfristig tun. Die Weltbank sagt, es seien 320 Millionen Euro nötig, um die Lage rasch zu entspannen. Würde man das wirklich schaffen, die Lage rasch zu entspannen?

    Preuß: Das sind manchmal auch Wunschträume, dass man innerhalb von wenigen Tagen oder wenigen Wochen etwas umdrehen könnte, was man in den letzten 10 oder 20 Jahren hat schleifen lassen. Aber kurzfristig müssen Menschen über Beschäftigungs- und Sozialprogramme in die Lage versetzt werden, sich Lebensmittel zu kaufen. Ich rate davon ab, Lebensmittel jetzt künstlich zu verbilligen. Das führt nämlich dazu, dass der kleine Anreiz, der von höheren Lebensmittelpreisen auf die Landwirtschaft ausgeht, der auch die Regierungen zum Umdenken zwingt, dass dieser Anreiz jetzt verloren geht. Aber Menschen müssen sich etwas kaufen können. Und es gibt so viele Projekte, es gibt so viele Maßnahmen, die unternommen werden müssten, so dass wir viele Menschen in Arbeit und Brot bringen könnten in diesen Ländern. Solche Programme hätten eine kurzfristige Wirkung.

    Spengler: Sind denn überhaupt genug Nahrungsmittel vorhanden weltweit?

    Preuß: Weltweit sind nach wie vor genügend Nahrungsmittel vorhanden. Zwar sind die Gesamtvorräte auf einen Bestand von etwa vier bis sechs Wochen Nachfrage gesunken, aber durch den Nachfrageschub könnte man in mehreren Ländern doch wesentlich auch mehr erzeugen, so dass es dann um die Frage von Umverteilung geht. Zurzeit ist die Situation noch nicht so, dass es nicht genügend Nahrungsmittel gibt, allerdings die Vorräte schrumpfen.

    Spengler: Wenn man kurzfristig helfen will, wenn jetzt jeder einzelne, nicht nur die Weltbank und die Staaten, sondern jeder einzelne Mensch kurzfristig helfen will, dann hilft es nach wie vor zu spenden?

    Preuß: Zu spenden ist eine Sache. Ich kann da durchaus pro domo sprechen, wenn natürlich viele Nichtregierungsorganisationen dem Kurs der Regierungen, die Landwirtschaft zu vernachlässigen, nicht gefolgt sind. Es gibt eine ganze Reihe solcher privaten Organisationen, die weiterhin in ländlichen Räumen engagiert sind. Aber man muss das ganz ehrlich sagen, Nichtregierungsorganisationen werden das nicht alleine neu konstituieren können. Dazu brauchen wir auch die Regierungen sowohl im Norden wie im Süden, und da ist das große Geld. Ich hoffe, dass die Worte des Weltbankpräsidenten, des IWF-Präsidenten, hier auf fruchtbaren Boden fallen und dass auch hier die Regierungen entsprechend umsteuern.

    Spengler: Kommen wir noch mal zu den Strukturen, zu dem, was langfristig hilft. Müssen wir weg, wir Europäer, von dem Konzept des Biosprits?

    Preuß: Die hohen Beimischungsquoten haben dazu geführt, dass die Nachfrage auf den Weltagrarmärkten nach Nahrungsrohstoffen gestiegen ist. Sie sind daher mitverantwortlich für den gegenwärtigen Preisanstieg, wenn auch nicht alleine. Und ich glaube, dass auch aus Klimaschutzgründen diese Strategie nicht ganz aufgeht. Insofern, aus entwicklungspolitischer Sicht, sehe ich hier eine Gefahr für Entwicklungsländer, wenn mehr und mehr Nahrungsmittel in Biosprit verwandelt werden. Ich glaube, dass das ein Irrweg ist, auch ein Irrweg in manchen Entwicklungsländern, auch wenn es hier und da die eine oder andere Form von Bioenergie geben mag, die sinnvoll ist.

    Spengler: Nun hat Jean Ziegler, der streitbare linke UNO-Sonderberichterstatter, vor wenigen Tagen hier im Deutschlandfunk (Text/ MP3-Audio ) Weltbank und IWF kritisiert, weil die in vielen verschuldeten Ländern durchgesetzt hätten, dass Nahrungsmittel angebaut werden zum Export. Das sei eine Ursache der Misere. Stimmen Sie da zu, oder sagen Sie, nein, da irrt Herr Ziegler, solange immer noch drei von vier Entwicklungsländern mehr Lebensmittel einführen müssen, als sie exportieren können, ist die Weltbankstrategie genau richtig?

    Preuß: Ich habe gerade schon gesagt, dass es nicht eine Frage von Produktion alleine ist, sondern insbesondere nach der Nachfrage nach Nahrungsmitteln. Wenn Arme sich Nahrungsmittel nicht leisten können, dann haben sie Hunger, nicht weil in den Ländern viel erzeugt wird. Es nützt ihnen ja, wenn sie einen leeren Geldbeutel haben, nichts, wenn überall große Weizenfelder oder Kartoffelfelder sind. Sie können sich diese Produkte nicht beschaffen. Es ist nicht eine Frage der Produktion, das ist der eine Punkt. Der andere ist, dass es viele Länder gibt, in denen bestimmte Produkte wachsen wie beispielsweise Baumwolle, die man auf dem Weltmarkt verkaufen kann und dadurch durchaus Einkommen erzielt. Für einen kleinen Bauern, der 1000 Kilometer von der Hauptstadt entfernt lebt, der 1000 Kilometer vom nächsten Hafen entfernt ist, für den ist es vollkommen egal, ob er für den Weltmarkt oder für den nächstgelegenen Hauptstadtmarkt produziert. Für ihn ist alles Agrarexport. Das ist kein Punkt.

    Spengler: Das war Hans-Joachim Preuß, der Generalsekretär der Welthungerhilfe. Herr Preuß, Danke für das Gespräch.