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"Wenn man aussteigt, muss man das richtig und korrekt machen"

Dieter Wiefelspütz fordert die Bundesregierung auf, das Aussetzen der Laufzeitverlängerung nicht am Bundestag vorbei zu beschließen. Das Parlament sei durchaus in der Lage in kürzester Zeit Gesetze zu verabschieden.

Dieter Wiefelspütz im Gespräch mit Dirk Müller | 16.03.2011
    Dirk Müller: Das Moratorium ist beschlossene Sache, aus Sicht der Bundesregierung jedenfalls. Die Laufzeitverlängerung der deutschen Atommeiler wird ausgesetzt, für 90 Tage zunächst. Sieben Kernkraftwerke gehen jetzt vom Netz. Doch ist das politisch per Koalitionsanordnung einfach so zu machen? Streit über die rechtlichen Folgen der Kanzlerentscheidung in Berlin. Das geht alles nicht so ohne Weiteres, die rechtlichen Bedenken müssen berücksichtigt werden, sagt jedenfalls Dieter Wiefelspütz, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag. Er ist jetzt bei uns am Telefon. Guten Tag!

    Dieter Wiefelspütz: Guten Tag.

    Müller: Herr Wiefelspütz, warum sind Sie jetzt so pingelig?

    Wiefelspütz: Ich bin kein Erbsenzähler. Ich bin leidenschaftlicher Rechtsstaatler. Ich glaube, dass unser Grundgesetz etwas ganz wichtiges ist, und die Bundeskanzlerin und jeder Bundesminister schwört einen Amtseid, dass Gesetze zu beachten sind. Und so geht das jedenfalls nicht. Der Ausstieg aus der Atomenergie, den ich für zwingend erforderlich halte – ich halte Atomenergie für ethisch nicht für verantwortbar seit vielen Jahren, anders als die jetzige Bundesregierung, die ist erst seit 24 Stunden auf der Seite der Atomkraftgegner. Wenn man aussteigt, muss man das richtig und korrekt machen. Das muss auch nicht lange dauern. Diese Kraftwerke, die da jetzt stillzulegen sind, die müssen in geordneter Weise zügig stillgelegt werden. Wenn wir in der Lage sind, innerhalb von wenigen Tagen einen Bankenrettungsschirm im Bundestag per Gesetz zu beschließen über ein Volumen von 600 Milliarden Euro und mehr, dann wird es uns auch gelingen, innerhalb von ein, zwei Tagen - wenn es denn sein muss, arbeiten wir auch nachts – das Ganze rechtsstaatlich unter Respekt vor dem Grundgesetz auch umzusetzen und nicht einfach mal so locker vom Hocker sagen, wir nehmen die Gesetze nicht ernst, die wir selber gemacht haben im Streit gegen die Opposition, die dauernd gewarnt hat. Jetzt will man raus aus der Atomenergie und rücksichtslos, ohne Rücksicht auf Rechtsstaat, auf Grundgesetz und andere wichtige Kriterien.

    Müller: Herr Wiefelspütz, Sie sind kein Erbsenzähler, sagen Sie. Wir hören uns einmal an, was der CDU-Chef von Schleswig-Holstein, Christian von Boetticher, heute Morgen zu dieser Rechtsfrage, zu diesen rechtlichen Bedenken in unserem Sender gesagt hat.

    O-Ton Christian von Boetticher: Also ich glaube, die Bevölkerung hat im Augenblick relative wenig Verständnis dafür, wenn wir uns jetzt um Rechtsgrundlagen streiten. Wir brauchen die Betreiber sicherlich am Tisch. Ich glaube nicht, dass es klug wäre von einem Betreiber, jetzt darauf zu bestehen, ein Kernkraftwerk offen zu haben. Da braucht man eine Verständigung, dann wird die Rechtsfrage auch in den Hintergrund treten. Richtig ist, dass die Regierung jetzt gehandelt hat.
    Das komplette Interview mit Christian von Boetticher

    Müller: Geht jetzt Handeln vor Recht?

    Wiefelspütz: Ich denke, dass man handeln muss im Rahmen von Recht und Gesetz, und das ist kein Gegensatz. Ich finde es abenteuerlich, dass diejenigen, die noch vorgestern für Atomenergie waren, jetzt sagen, auf Gesetze kommt es nicht mehr an, jetzt muss gehandelt werden. Ich finde das abenteuerlich.

    Müller: Aber Sie können sich doch freuen, Herr Wiefelspütz, wenn Sie einen Teilerfolg schon mal erzielt haben.

    Wiefelspütz: Nun gut, dem stimme ich ausdrücklich zu und ich bin auch gerne bereit einzuräumen, dass diese Rechtsstaatsfragen sozusagen an zweiter Stelle zu klären sind. Aber sie müssen geklärt werden. Die Bedenken werden doch jetzt selbst in der Union laut. Man kann doch das Recht nicht einfach übers Knie brechen. Hier geht es doch auch der Bundesregierung erkennbar nicht, wie Herr von Boetticher meint, um die Menschen, sondern es geht um ihre eigene politische Laufzeitverlängerung. Das ist doch der Hintergrund. Sie wollen über die Wahlen hinwegkommen, sie wollen Handlungsstärke vorgaukeln in einer Situation, wo sie im Grunde vor wenigen Monaten gegen alle Bedenken der Opposition, gegen massive Bedenken im Volke die Laufzeitverlängerung durchgepaukt haben, durchgesetzt haben, ohne Rücksicht auf Verluste. Und jetzt soll es auf einmal nicht mehr auf Gesetz und Recht ankommen? Das finde ich schon sehr merkwürdig.

    Müller: Dafür hatte die Bundesregierung ja nun auch eine Mehrheit gefunden im Parlament und hat quasi Recht und Gesetz ja neu definiert und damit auch umgesetzt. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, muss der Bundestag aus Ihrer Sicht absolut jetzt mit von der Partie sein?

    Wiefelspütz: Ja, selbstverständlich! Und dazu sind wir natürlich auch bereit! Das geht auch schnell! Es geht nicht darum, dass wir irgendetwas verwässern wollen. Ganz im Gegenteil: Es geht um eine saubere, klare Rechtsgrundlage für den Ausstieg. Das Erste, was gemacht werden muss: das Gesetz zur Laufzeitverlängerung, was diese Koalition, Schwarz und Gelb durchgesetzt haben, muss sofort außer Kraft gesetzt werden. Das geht nur, indem man ein Gesetz macht, und dieses Gesetz besteht aus zwei, drei Paragrafen. Das ist jetzt kein Verschiebebahnhof oder so etwas. Ich will das nicht verwässern, sondern ich will einen korrekten Weg, der sauber und klar ist, wo das Parlament gefragt wird. Und ich bitte sehr darum: Die Bundesregierung, die sie tragenden Parteien sollen hier im Bundestag in einem klaren, sauberen Verfahren bekennen vor unserem Volke, dass sie vor einem halben Jahr eine grobe Fehlentscheidung getroffen haben, und diese Fehlentscheidung muss hier – das ist auch eine Frage von Respekt gegenüber dem Parlament und gegenüber dem Rechtsstaat -, diese Wende muss hier korrekt im Gesetzesverfahren vollzogen werden und nicht einfach mal so durch Beschluss von der Bundeskanzlerin mit ein paar Ministerpräsidenten.

    Müller: Dieses Bekenntnis, was Sie verlangen, Herr Wiefelspütz, das wird ja vermutlich dann nicht in einem möglichen Gesetzestext eintreffen beziehungsweise eingefügt werden. – Reden wir noch einmal über diese Zeitleiste. Sie haben eben gesagt, beim Rettungsschirm, da waren wir binnen weniger Tage so weit, dass wir es verabschieden konnten. Worauf müsste sich denn auch der Bürger einstellen, mit Blick auf diese Restlaufzeiten, die jetzt angehalten worden sind, bis das unter Dach und Fach ist?

    Wiefelspütz: Also wenn wirklich Not ist – und ich glaube, wir sind in einer besonderen Situation, und ich denke, es ist richtig, dass das Volk von uns Handeln erwartet, von Regierung und Parlament -, dann sind wir dazu auch in der Lage. Das Parlament ist in der Lage, auch in kürzester Zeit, wenn es sein muss, innerhalb von 48 Stunden, Gesetze, zumal wenn sie nur aus wenigen Paragrafen bestehen, zu verabschieden. Das ist nicht das Problem! Und wir werden noch in dieser Woche die Sache auf den Punkt bringen! Wir werden darüber im Parlament namentliche Abstimmungen beantragen. Das Volk soll sehen können – und es wird transparent gemacht -, wer diesen Ausstieg konsequent will und wer das nicht will. Ich denke, das ist wichtig, dass wir eine klare Grundlage haben. Denn im Moment ist es doch so: Die Laufzeitverlängerung wird, soll nur außer Kraft gesetzt werden für drei Monate, ein Moratorium, mit dem Fremdwort. Und danach? Was ist nach der Landtagswahl in Baden-Württemberg und bei anderen Wahlen? Gilt das dann auch noch alles? Wird nicht hier das Volk betrogen? Das ist meine große Sorge.

    Müller: Herr Wiefelspütz, wir haben jetzt nur noch eine halbe Minute. Ich möchte Sie das dennoch fragen. Sie sagen, man kann innerhalb von 48 Stunden sogar so was machen, vielleicht auch 72 Stunden, wie auch immer. Für Sie wäre es schon entscheidend, das noch vor der Landtagswahl zu klären?

    Wiefelspütz: Das sollten wir in dieser Woche noch klären, und zwar in einem ganz sauberen Verfahren. Erster Punkt: Rücknahme des Laufzeitverlängerungsgesetzes. Rückkehr – zweiter Punkt – zum Ausstiegskonsens. Und dann sich zusammensetzen und den beschleunigten Ausstieg, innerhalb von wenigen Jahren muss der Ausstieg dann erfolgen, den beschleunigten Ausstieg diskutieren und dann in einem klaren Gesetzgebungsverfahren beschließen. Das ist unser Ziel.

    Müller: Jetzt warten gleich die Nachrichten auf uns. Bei uns im Deutschlandfunk heute Mittag Dieter Wiefelspütz, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Wiefelspütz: Danke.