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"Wer nahe dran ist an der Gefahr, der nimmt die nicht mehr so wahr"

Die Arbeiter im AKW Fukushima setzen ihr Leben aufs Spiel - warum laufen sie nicht einfach weg? Laut Michael Kastner liegt die Antwort im japanischen Arbeitsethos. Es gehöre in Japan zum Verhaltensrepertoire, "dass man sich opfert, dass man hoch diszipliniert seine Aufgabe erfüllt".

Michael Kastner im Gespräch mit Manfred Götzke | 15.03.2011
    Manfred Götzke: Mit allen Mitteln versuchen die Arbeiter im Atomkraftwerk Fukushima den Supergau noch zu verhindern, mittlerweile sind es aber nur noch rund 50. 750 Arbeiter haben die Betreiber abgezogen, weil das, was die Menschen da tun, ganz einfach lebensgefährlich ist wegen der hohen Strahlenbelastung. Warum setzen diese Arbeiter ihr Leben aufs Spiel? Darüber möchte ich mit Michael Kastner sprechen, er ist Arbeitspsychologe an der Technischen Universität Dortmund. Herr Kastner, wer jetzt noch im AKW Fukushima arbeitet, der hat quasi sein eigenes Todesurteil unterschrieben. Warum gehen diese Menschen in den Reaktor und laufen nicht einfach weg?

    Michael Kastner: Das hat viele Gründe. Der Mensch ist ja hochkomplex und hoch dynamisch, und wir versuchen es immer zu strukturieren. Das eine ist die Körperwelt, also das, was ich anfassen kann. Da fühlen die sich halt relativ fit und haben das Gefühl von Kraft und Können. Man muss ja auch bedenken, auch die Amerikaner sind ja da und löschen, man darf ja nicht nur an die Japaner denken. Dann haben wir die Geisteswelt der Kognition, der Wahrnehmungsdenkprozesse, und da ist ziemlich viel zu verzeichnen. Also erstens sind die gewöhnt, die sind gewöhnt an Erdbeben beispielsweise, das ist da gar nichts Besonderes. Was hier eine irre Angst auslösen würde, Erdbeben am laufenden Band über sechs, da lachen die eigentlich nur drüber. Und die sind auch an AKWs gewöhnt, und das wird auch gar nicht hinterfragt. Dann hängt natürlich sehr damit zusammen, inwieweit ich technikgläubig bin – die Japaner sind, glaube ich, im Prinzip noch technikgläubiger als wir. Dann hängt damit zusammen, wie gut die informiert sind. Ich glaube, im Prinzip sind die Leute relativ schlecht informiert, so wie wir auch. Dann spielt eine Rolle die Risikowahrnehmung. Das kennen Sie vielleicht: Wer nahe dran ist an der Gefahr, der nimmt die nicht mehr so wahr. Es gibt Ärzte, die haben eben noch den Krebs rausgenommen aus dem Patienten und stecken sich dann die Zigarette an, oder ein Rennfahrer, dem machen 300 überhaupt nichts aus, wo wir vor Angst vergehen.

    Götzke: Gehört das auch so ein bisschen zum Arbeitsethos, das dann auch zu tun, wenn es notwendig ist?

    Kastner: Ja, das habe ich auch hier unter dem Stichwort Disziplin, Arbeitsethos. Japan ist bekannt für seine früheren Kamikazeflieger im Zweiten Weltkrieg, das ist in deren Verhaltensrepertoire, dass man sich opfert, dass man hoch diszipliniert seine Aufgabe erfüllt. Ich habe meine Zweifel, ob bei einem gleichen Geschehen in Deutschland wir auch so viele tapfere Leute finden würden, die ohne mit der Wimper zu zucken sich da reinstürzen.

    Götzke: Sind das denn in der Regel Freiwillige, oder entscheidet die Geschäftsleitung, du, du, du musst da jetzt reingehen?

    Kastner: Das kann ich von hier aus gar nicht beurteilen. Ich vermute mal, das sind einfach Befehlsstrukturen, das wird gar nicht hinterfragt, und die anderen machen das, dann mach ich das auch, ich will ja auch die Kameraden nicht im Stich lassen. Unter Umständen steckt dahinter auch der Glaube an eine höhere Aufgabe. Es gibt ja nun Terroristen, die binden sich eine Bombe um den Bauch, weil sie an was Höheres glauben. Es ist alles im menschlichen Verhaltensrepertoire drin. Und dann kommt natürlich die Lebenswelt, das ist die Welt der Emotionen, da steckt natürlich Angst mit drin, die werden auch Angst haben, aber sie sind auch mutig. Mut und Tollkühnheit unterscheiden sich dadurch, dass der Mutige Angst hat, es aber trotzdem tut. Der Tollkühne, der hat gar keine Angst und tut es.

    Götzke: Sind Menschen, die in solchen Risikoanlagen arbeiten, sich dieser Gefahr bewusst, dass so etwas immer mal passieren kann?

    Kastner: Ja, aber sie sind dran gewöhnt, sie haben es damit ausgeblendet, sie sind nicht mehr drauf fokussiert. Das ist, wie wenn so ein – ich habe das Rennfahrerbeispiel gebracht –, wenn ein Rennfahrer eben dauernd so schnell Auto fährt, das macht ihm nichts mehr aus, da ist er dran gewöhnt und kann überhaupt nicht verstehen, dass andere da so eine Angst haben.

    Götzke: Wobei die Strahlung im Normalfall ja einfach nicht besteht, wenn man im Kraftwerk arbeitet.

    Kastner: Wir sind in Deutschland natürlich auch besonders empfindlich, wir haben ja schon Angst, wenn eine Oberleitung über unser Haus geht, und vermuten da Leukämie hinter. Das ist, glaube ich, in Japan alles ein bisschen anders. Was wir vielleicht übertreiben an Angst, untertreiben die. Und dann gehört es ja zu dieser konfuzianischen Kultur und diesem Shintoismus wohl, dass man das Gesicht wahren muss unbedingt und auch eher fatalistisch eingestellt ist, als wir das sind.

    Götzke: Das heißt, es gibt eine größere Bereitschaft, sich für die Gemeinschaft zu opfern in Japan, größer als in Deutschland?

    Kastner: Davon gehe ich aus. Und ich habe mich damals in Tschernobyl schon gewundert, wie da 15.000 Soldaten einfach hinbefohlen wurden, und die sind ja auch alle sofort gestorben, die den Dreck weggeschippt haben. Die waren einfach uninformiert und wurden da hingeschickt und waren auch mutig. Das spielt alles eine Rolle. Und dann spielt natürlich auch eine Rolle die Sorge um andere Menschen. Das heißt, ich bin vielleicht bereit, für meine Kinder oder was auch immer oder meine Verwandten unter Umständen Risiken auf mich zu nehmen, die ich alleine niemals tragen würde.

    Götzke: Sagt der Arbeitspsychologe Michael Kastner. Vielen Dank!