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Westbalkankonferenz ohne Griechenland
"Wir sollten kein Schwarze-Peter-Spiel beginnen"

Der österreichische Sozialdemokrat Josef Weidenholzer hat die Westbalkankonferenz der österreichischen Regierung kritisiert. Dass Deutschland, Griechenland und die EU-Kommission daran nicht teilnehmen dürfen, hält er für falsch. Es sei notwendig, dass alle Beteiligten an einen Tisch kommen, sagte er im DLF.

Josef Weidenholzer im Gesprächmit Dirk-Oliver Heckmann |
    Der österreichische Europaabgeordnete Josef Weidenholzer (SPÖ).
    Der österreichische Europaabgeordnete Josef Weidenholzer (SPÖ). (imago / Eibner)
    Die Situation in Europa sei schon jetzt sehr verworren und emotional aufgeladen. Er plädiere dafür, kein Schwarze-Peter-Spiel in Europa zu beginnen, so der SPÖ-Politiker. Gespräche für eine Lösung der Flüchtlingskrise seien notwendig, aber dazu müssten alle an einen Tisch. Griechenland, weil es Außengrenzen habe und auch Deutschland, weil es eine wichtige Rolle spiele.
    Weidenholzer hofft, dass es bei einem EU-Gipfel Anfang März zu einer Entscheidung der EU-Staaten in der Flüchtlingskrise kommt. Sein Wunsch sei eine europäische Lösung, aber selbst wenn dies nicht gelinge, müsse nun eine Entscheidung fallen.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Der österreichische Außenminister Kurz, er hat für heute nach Wien zu einer Balkan-Konferenz eingeladen. Thema natürlich die Flüchtlingssituation auf dem Balkan, die sich erneut zuspitzt. Mazedonien beispielsweise hat seine Grenze für Afghanen geschlossen. Dort spielen sich zum Teil erschütternde Szenen ab. Gut, wenn da international über Lösungen gesprochen wird, könnte man meinen. Doch die Einladung zur Balkan-Konferenz hat massive Kritik ausgelöst. Zur Balkan-Konferenz ist weder Griechenland eingeladen noch Berlin, noch die EU-Kommission. Griechenland spricht von einer einseitigen und keinesfalls freundlichen Aktion, die EU-Kommission von einem Alleingang. Was sagen Sie zu dieser Kritik? Das habe ich vor der Sendung Josef Weidenholzer gefragt, Mitglied der SPÖ, der österreichischen Sozialdemokraten, und Mitglied im Europaparlament.
    Josef Weidenholzer: Ich glaube, wenn man das von einer europäischen Perspektive sieht, ist es natürlich notwendig, dass alle Beteiligten an einen Tisch kommen. Diese Verfahren haben sich eigentlich immer bewährt. Ich kann verstehen, dass es Nervosität gibt und dass es vielen schon zu lange dauert, dass Lösungen gefunden werden. Das ist alles richtig. Aber wenn ich ein Ergebnis haben will, dann muss ich versuchen, alle einzuladen, und gerade Griechenland gehört mit an den Tisch, weil ja das Problem an den Außengrenzen zu lösen ist und wir nicht anfangen sollten, quasi ein Schwarzer-Peter-Spiel in Europa zu beginnen, wo immer gerade dann der nächste den schwarzen Peter bekommt.
    "Alle Beteiligten an einen Tisch setzen"
    Heckmann: Das heißt, Herr Weidenholzer, Sie schließen sich der Kritik an? Es war ein Fehler, zu dieser Balkan-Konferenz nicht auch Griechenland, nicht auch die EU-Kommission und nicht auch Deutschland einzuladen, das ja von der Flüchtlingskrise auch massiv betroffen ist?
    Weidenholzer: Die Situation ist eigentlich jetzt schon sehr verworren und sehr emotional hochgeladen. Da sollte man auch jetzt vorsichtig sein, von Fehlern zu reden und Schuld zuzuweisen. Ich glaube nur, es wäre wichtig, jetzt einen Schritt zu setzen, wo man versucht, das Problem zu lösen, auch wenn es lange gedauert hat, aber nicht einzelne Länder auszugrenzen, und ich würde meinen, dass gerade auch Berlin eine zentrale Rolle dabei spielt. Die Deutschen haben ja eigentlich - ich kann das sagen, weil ich selber aus einer Grenzregion komme und ich mich mehrfach auch überzeugt habe von der Übertrittssituation an der österreichisch-deutschen Grenze und mit der Bundespolizei in Kontakt bin; ich habe auch gesehen, wie professionell, wie gut die Deutschen diese ganzen Kontingente bewältigt haben. Und dann einfach irgendwas zu tun ohne Berlin, halte ich auch nicht für richtig. Man sollte wirklich versuchen, zurückzukehren zu einer vernünftigen Lösung der Probleme, und wie gesagt, auch wenn man schon sehr ungeduldig ist. Es gibt keine andere Alternative, weil alle anderen Aktivitäten, einseitige Schritte zu setzen, ja nur die anderen brüskieren. Und vor allem: Die anderen sind nicht dabei und damit weiß man nicht einmal, was die anderen machen. Ich bin wirklich ein überzeugter Verfechter einer europäischen Lösung, und diese heißt, dass alle beteiligten Staaten mit am Tisch sitzen.
    Heckmann: Okay. Ihre Kritik an der österreichischen Regierung ist angekommen, Herr Weidenholzer. Beim EU-Gipfel, da ist ja beschlossen worden, dass die Grenzen für Afghanen, Iraker und Syrer erst mal offen bleiben. Griechenland behauptet jetzt, Mazedonien habe die Grenze auf Druck Österreichs für die Afghanen geschlossen. Ist an dieser Behauptung etwas dran?
    Weidenholzer: Das kann ich natürlich nicht beurteilen, weil ich selber nicht dabei war. Ich werde nächste Woche in Skopje sein und werde mir dann auch die Situation am Grenzübergang anschauen und dann vielleicht auch mehr in Erfahrung bringen. Es ist noch einmal ein Argument: Der Schutz der Grenzen muss an den Außengrenzen passieren. Da gibt es den Merkel-Plan oder den Samson-Plan, wie immer man das dann nennt. Mit Recht, muss man sagen, dauert das viel zu lange. Auch diese viel gerühmten Hotspots sind nicht passiert. Das heißt, die ganze Registrierung ist alles unvollständig. Davon habe ich mich selber auch am österreichisch-bayerischen Grenzübergang überzeugen können, dass das alles nicht funktioniert hat. Das ist das Problem dahinter. Aber wenn ich die Kontrollen an den Außengrenzen habe, dann komme ich auch nicht in Verlegenheit, solche Beschuldigungen hin- und herzuwälzen.
    "Dublin hat nie funktioniert"
    Heckmann: Dann kommen wir mal auf die Politik Österreichs selber. Wien hat ja angekündigt, in Zukunft nur noch 80 Asylanträge am Tag anzunehmen und bis zu 3.200 Flüchtlinge am Tag nach Deutschland durchzulassen. Österreich und fünf Balkan-Länder, die haben in der vergangenen Woche beschlossen, dass Flüchtlinge direkt von Mazedonien nach Deutschland gebracht werden sollen, per Zug sozusagen. Sollte die Politik des Durchwinkens nicht eigentlich längst beendet sein?
    Weidenholzer: Noch einmal: Ich glaube, ganz generell muss man sagen, Dublin hat nie funktioniert. Dieses ganze Verfahren ist zustande gekommen, weil man sich nicht auf eine gemeinsame europäische Asyl- und Migrationspolitik geeinigt hat. Jetzt können wir natürlich sagen, na ja, jetzt haben wir den Salat, das nützt nichts, wir müssen nach vorne schauen. Die Kommission wird Anfang März ihre Vorschläge vorlegen. Im Parlament sind schon die Berichterstatter ausgewählt für die unterschiedlichen Asylpakete. Dann sind wir hoffentlich am Ende da, eine europäische Lösung zu finden. Das ist, glaube ich, das Wichtigste. Wenn wir dies nicht haben, dann kommt es immer wieder zu solchen Fragen. Die Diskussion über die Obergrenzen, das kennen Sie aus Deutschland auch. Die ist eigentlich auch aus Deutschland importiert worden. In Österreich hat man sich zunächst sehr dagegen gewehrt. Schließlich hat man dann umgeschwenkt, hat es dann Richtwerte genannt und so weiter, und das Ganze ist auch mittlerweile eine sehr verworrene Geschichte, weil ich bis gestern davon ausgegangen bin, dass diese 80 Tageskontingente alle Grenzübertritte betreffen, und gestern hat der Verteidigungsminister erklärt, das würde nur auf den Grenzübergang Spielfeld zutreffen.
    "Mein Wunsch ist, dass es zu einer europäischen Lösung kommt"
    Heckmann: Herr Weidenholzer, um noch mal auf das Problem des Durchwinkens zurückzukommen. Wie gesagt: 3.200 Flüchtlinge will Wien am Tag nach Deutschland durchlassen, obwohl es jetzt in der vergangenen Woche ja einen erneuten Beschluss gegeben hat, diese Politik des Durchwinkens zu beenden. Weshalb hält sich Wien nicht an den eigenen Beschluss?
    Weidenholzer: Ich kann das einerseits nur mit Nervosität erklären. Man hat irgendwie die Geduld verloren. Das ist eine Geschichte. Das erklärt auch die Enttäuschung, warum jetzt Wien gerade plötzlich das umdreht, wenn Sie das so bezeichnen wollen. Es ist eine fremdenfeindliche Stimmung, der man Rechnung trägt. Das kennen Sie aus Deutschland auch. Und es gibt einen Minister, der gemerkt hat, dass er durch solche Maßnahmen seine Popularitätswerte steigern kann. Das Ganze zusammen ist dann ein sehr verhängnisvoller Mechanismus, der dann ganz andere Dinge nach sich zieht, die man vielleicht eigentlich gar nicht gewollt hätte. In dieser schwierigen Situation stehen wir und da sage ich noch mal: Wir sollten zurückkommen zu den Dingen, da haben Sie völlig recht, die vereinbart wurden. Die muss man einhalten. Da wird es wahrscheinlich auch unterschiedliche Interpretationen geben, aber die muss man dann am Tisch gemeinsam diskutieren und ausreden. Wenn nicht alle beisammen sind und wenn dort nur ein Teil eine Koalition da macht und eine Koalition der Willigen dort und die Visegrád-Länder das und so weiter, dann kommt es soweit, wo wir jetzt sind. Ich fürchte, dass das so weitergeht, und darum hoffe ich sehr, dass der Gipfel am 5. März eine endgültige Entscheidung bringt, so oder so. Mein Wunsch ist, dass es zu einer europäischen Lösung kommt, und wenn nicht, dann muss man sich damit abfinden und dann muss man andere Maßnahmen setzen. Das möchte ich aber nicht, dass Europa zerfällt. Nur der Mechanismus wird dann einsetzen: Die Grenzen bedeuten ja nicht nur Probleme für die Flüchtenden, sondern das ist ja auch ein wirtschaftliches Problem. Wir haben gerade heute im Europäischen Parlament eine Studie des Verbraucherschutzausschusses bekommen, wo die Konsequenzen von Nicht-Schengen sehr dramatisch beschrieben wurden.
    Heckmann: Herr Weidenholzer, Ihr Bundeskanzler Faymann, der auch Ihrer Partei angehört, der hat jetzt gesagt, wenn Deutschland damit nicht einverstanden sei, dass da am Tag über 3.000 Flüchtlinge nach Deutschland durchgelassen werden sollen, dann soll doch Berlin sagen, wie viele Flüchtlinge es aufnehmen will. Schließen Sie sich diesem Appell an?
    Weidenholzer: Ich glaube, es geht darum, dass wir den Schutz der Außengrenzen endlich zustande bringen, dass wir gemeinsame Standards haben, und ich glaube, es ist nicht sinnvoll, dass wir anderen Ländern irgendetwas ausrichten, sondern dass wir, nachdem wir in einer Union sind, dass wir diese Dinge gemeinsam lösen.
    Heckmann: Der SPÖ-Politiker Josef Weidenholzer war das hier im Deutschlandfunk. Herr Weidenholzer, danke Ihnen für das Gespräch. Und die schlechte Tonqualität, die bitten wir zu entschuldigen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.