Friedbert Meurer: Die Zeiten ändern sich. Früher wollte der hessische Ministerpräsident Holger Börner (SPD) den Grünen eins mit der Dachlatte überziehen. Hannelore Kraft, die Spitzenkandidatin, hat kürzlich den Grünen in Nordrhein-Westfalen eine kleingemahlene Dachlatte im Plastiksack symbolisch überreicht. Möglicherweise vorbei ist auch die Zeit, als Unionspolitiker schon mal das Gesicht verzogen, wenn die Grünen mit ihrem Multi-Kulti daher kamen. Jetzt hat Christian Wulff in Niedersachsen die türkischstämmige Politikerin Aygül Özkan zur Sozialministerin gemacht. Allerdings sie stolperte schon vor Amtsantritt, musste ihre Forderung, Kruzifixe und Kopftücher aus den Schulen zu verbannen, zurückziehen. – Cem Özdemir ist einer der beiden Parteivorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen und zu Gast bei mir im Studio. Guten Morgen!
Cem Özdemir: Guten Morgen!
Meurer: Sie sind 1994 der erste türkischstämmige Bundestagsabgeordnete gewesen, 2008 wurden Sie der erste türkischstämmige Parteivorsitzende in Deutschland, und jetzt haben wir eine Landesministerin mit Migrationshintergrund. Freuen Sie sich?
Özdemir: Klar! Als Staatsbürger dieser Republik freue ich mich, weil damit ein Stück Normalität einzieht, auch in die Union. Ich wünschte mir, alle Menschen mit Migrationshintergrund wären Grüne, aber ganz so ist es nicht. Auch da gibt es ein paar, die nicht grün sind, wir arbeiten noch daran, und dass der eine oder andere auch konservativ ist, liegt in der Natur der Sache, und dass die Union das jetzt endlich entdeckt und sich um diese Menschen stärker kümmert, ist zu begrüßen. Uns wird der Kritikstoff an der Union schon nicht ausgehen. Da sorgt die Union ja dafür, denn allein die Tatsache, dass eine Ministerin mit Migrationshintergrund jetzt in Niedersachsen Landesministerin wurde, ändert ja noch nichts an deren Bildungspolitik, dass sie die Kinder nach der vierten Klasse trennen.
Meurer: Aber beginnt jetzt vielleicht ein Wettbewerb um die Wählerstimmen, und wer sagt, dass Türkischstämmige immer grün, oder SPD wählen?
Özdemir: Ich würde es begrüßen! Ich würde es gut finden, wenn die Union sich aktiv kümmern würde um Menschen mit Migrationshintergrund, denn das ist ein Teil dieser Gesellschaft. Viele sind eingebürgert, sind Staatsbürger. Seitdem wir das Staatsangehörigkeitsrecht unter Rot-Grün geändert haben, wird eine zunehmende Zahl mit der Geburt deutscher Staatsbürger hier, und sich um die zu kümmern, gehört zu den staatsbürgerlichen Pflichten auch einer Partei. Die soll sich gefälligst darum kümmern, selbstverständlich, aber dann muss sie bitte schön auch sich überlegen, was die Bedürfnisse dieser Menschen sind, und die unterscheiden sich gar nicht so diametral von anderen Menschen, die Probleme in der Gesellschaft haben, mit dem Bildungssystem. Deutsche Arbeiterkinder haben haarscharf dieselben Probleme wie Migrantenkinder, nämlich dass unser Schulsystem eines ist, das leider sozial sehr selektiv ist, das gezielt Leute, die aus Arbeiter- und Migrantenfamilien kommen, auf Hauptschulen schickt und ihnen Zugangsmöglichkeiten auf weiterführende Schulen leider verwehrt. Da liegt eines der wichtigsten Themen, wenn man wirklich etwas erreichen möchte in dieser Gesellschaft an Integration, und ich bin sehr gespannt darauf, ob die neue Sozialministerin, Frau Özkan, sich an das Thema herantrauen wird.
Meurer: Das werden wir sehen, Herr Özdemir. – Sehen Sie sich beide als Vorbilder?
Özdemir: Das weiß ich nicht. Man soll von sich selber nicht sagen, dass man Vorbild ist. Die Tatsache, dass ich damals gewählt worden bin, als Abgeordneter in den Bundestag und jetzt von meiner Partei als Parteivorsitzender, hat sicherlich dazu geführt, dass der eine oder andere oder die eine oder die andere sich vielleicht auch gesagt hat, das kann ich auch, das will ich auch machen, man kann tatsächlich hier etwas verändern. Wenn dem so ist, soll es mir recht sein.
Meurer: Gibt es einen Ratschlag, den Sie als erfahrenerer Politiker für Frau Özkan haben?
Özdemir: Interviews gut autorisieren, gute Pressesprecher sich zulegen und vor allem nicht vergessen, dass sie bei der CDU ist und in Niedersachsen ist und jetzt eben nicht mehr in Hamburg ist bei der CDU, die dort mit den Grünen regiert und eben etwas großstädtischer und liberaler ist.
Meurer: In Teilen der CDU, Herr Özdemir, ist ja früher Multi-Kulti eher als eine Spinnerei und Träumerei abgetan worden. Jetzt immerhin marschiert die Union mit einer Türkin vorne weg. Ist das noch ein Baustein mehr, der CDU und Grüne einander näher bringt?
Özdemir: Na ja, Sie sehen ja an den Reaktionen auf das erste Interview von Frau Özkan, dass die Union sich schon noch sehr schwer damit tut. Manche der Reaktionen kann man auch jetzt mit dem Abstand von ein, zwei Tagen noch nicht ganz nachvollziehen, die auch im Ton und im Inhalt völlig überzogen waren und jede Art von Rationalität vermissen lassen. Ich will jetzt nicht sagen, dass das sehr klug war von Frau Özkan, gleich zu Beginn, noch bevor sie vereidigt ist, mit so einem Interview auf sich aufmerksam zu machen, aber die Reaktionen hielt ich doch zum großen Teil für völlig unangemessen.
Meurer: Aber trotzdem: So etwas wäre früher undenkbar gewesen bei der Union.
Özdemir: Das stimmt! Das stimmt. Dass die Union jetzt überhaupt eine Ministerin türkischer Herkunft hat und davor eine Abgeordnete türkischer Herkunft in Hamburg hatte, ist zu begrüßen und ist ein Zeichen für einen gesellschaftlichen Wandel, so wie ja auch eine Frau von der Leyen Ministerin im Bund werden konnte und sich für Kinderbetreuung einsetzen konnte, für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Da tut sich was! Das freut mich als Grünem, weil das ja Dinge sind, für die wir uns früher haben prügeln lassen müssen.
Meurer: In gut einer Woche haben wir die wichtige Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Nicht ganz auszuschließen, dass wir in zehn Tagen über Schwarz-Grün reden werden, Herr Özdemir. Gibt es irgendein Hindernis, eine Hürde, die wirklich noch unüberwindbar wäre, um CDU und Grüne zueinander zu bringen?
Özdemir: Erst einmal hoffe ich, dass es eine sehr starke Hürde geben wird, nämlich dass wir am 9. Mai hoffentlich um 18 Uhr eine rot-grüne Mehrheit feiern werden, mit starken Grünen, die dann hoffentlich viele Zweitstimmen bekommen haben, und zwei Frauen an der Spitze des Landes. Das wäre doch ein schönes Signal, wenn Frau Kraft und Frau Löhrmann von uns die nächste Landesregierung bestreiten würden. Ich könnte mir das sehr gut vorstellen und man sieht ja auch, dass die SPD dazugelernt hat, ihr Verhältnis zu den Grünen normalisiert, aufhört, wie in Zeiten von Clement mit einer Politik, die auf Krawall setzt, die auf öffentliche Inszenierung von Streit setzt, etwas rationeller, etwas ruhiger geworden ist. Das kann der SPD-Politik nur gut tun. Insofern: Wir kämpfen für eine rot-grüne Mehrheit. Das ist das, was der Landesverband Nordrhein-Westfalen möchte. Wenn es dazu wiedererwartend nicht reicht, indem die Linkspartei leider doch in den Landtag einzieht, dann sind alle anderen Optionen Zweitoptionen. Eine Option haben wir allerdings bewusst ausgeschlossen; das ist die Option mit CDU und FDP, weil wir sagen, mit den beiden gemeinsam können wir das Land nicht verändern.
Meurer: Sie waren bis letztes Jahr im Europaparlament, Herr Özdemir. Im Moment ist die Angst um den Euro groß, in Deutschland vor allen Dingen und die Sorge, dass Griechenland zu einem Fass ohne Boden wird. Man gewinnt ein bisschen den Eindruck: Sind die Grünen schon fast etwas zu schnell dabei, Griechenland bedingungslos helfen zu wollen?
Özdemir: Gar nicht! Griechenland hat einen großen Teil der Krise sich selbst zuzuschreiben, indem sie bestimmte Gesetze, die einfach für alle Länder gelten, außer Kraft gesetzt haben, dass man Haushalt sanieren sollte, wobei wir da auch aktuell nicht gerade ein sehr gutes Vorbild sind. Das nur am Rande. Insofern hat Griechenland jetzt ein sehr schwieriges Programm. Ich finde übrigens, dass man das auch ruhig mal anerkennen kann, dass die Regierung unter Giorgos Papandreou – ich kenne ihn selber noch aus seiner Zeit als stellvertretender Außenminister – ja nun doch etwas macht, was für eine sozialistische Partei nicht gerade einfach ist, Renten zu kürzen, Leute nicht in den Staatsdienst zu übernehmen, denen man das vorher versprochen hatte, Korruption energisch zu bekämpfen. Jetzt könnte man natürlich sagen, das sind ja Selbstverständlichkeiten in Euroländern, aber in Griechenland war es halt nicht so.
Meurer: Das heißt, Sie könnten Ihrer Fraktion empfehlen, schon morgen pro Griechenlandhilfe abzustimmen?
Özdemir: Was heißt "pro Griechenland"? Es geht um pro Europa. Darum geht es doch im Kern. Es geht darum, wenn wir jetzt helfen über KfW-Kredite, dass wir mit fünf Prozent sogar Gewinn machen, weil wir die Finanzierung in Deutschland günstiger bekommen. Das heißt, es geht erst mal darum, dass wir nur eine Ausfallbürgschaft geben für die Kredite der KfW, und wenn Griechenland, was es bislang ja hat, zurückzahlt, dann verlieren wir keinen Cent, sondern machen sogar unterm Strich sogar Gewinn durch die Zinsen. Das finde ich im Prinzip richtig. Ich finde aber auch richtig, dass diejenigen, die die Krise mit verursacht haben, die Banken mit zur Rechenschaft gezogen werden.
Meurer: Auf welche Art und Weise könnte man das tun?
Özdemir: Finanztransaktionssteuer. Wir brauchen die Finanztransaktionssteuer von 0,01 Prozent. Das würde im Jahr ungefähr sieben Milliarden Euro einbringen. Das wäre sicherlich sinnvoll. Unser Vorschlag ist, es macht doch keinen Sinn, jetzt im Vorfeld von NRW zu gucken, schadet es einem, nützt es einem im Wahlkampf, wie es die Frau Merkel macht. Wir verlieren wertvolle Zeit. Frau Merkel soll die Fraktions- und Parteivorsitzenden aller im Bundestag vertretenen Parteien einladen. Wir sind bereit, mitzumachen, mit anzupacken, und dann entwickeln wir eine gemeinsame europäische Position aus Deutschland, die nicht nur auf Griechenland schaut, sondern vor allem darauf schaut, wo warten die nächsten möglichen Risiken für den Euro. Wir brauchen eine europäische Koordination der Finanz- und Wirtschaftspolitik – wir sind dazu bereit -, wir brauchen ein starkes Engagement aus Deutschland für eine Transaktionssteuer. Wir sind bereit dazu, mit der Bundesregierung, mit den anderen Oppositionsparteien. Frau Merkel, worauf warten Sie?
Meurer: Der Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Cem Özdemir, bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Özdemir, herzlichen Dank. Auf Wiedersehen!
Özdemir: Ich danke.
Cem Özdemir: Guten Morgen!
Meurer: Sie sind 1994 der erste türkischstämmige Bundestagsabgeordnete gewesen, 2008 wurden Sie der erste türkischstämmige Parteivorsitzende in Deutschland, und jetzt haben wir eine Landesministerin mit Migrationshintergrund. Freuen Sie sich?
Özdemir: Klar! Als Staatsbürger dieser Republik freue ich mich, weil damit ein Stück Normalität einzieht, auch in die Union. Ich wünschte mir, alle Menschen mit Migrationshintergrund wären Grüne, aber ganz so ist es nicht. Auch da gibt es ein paar, die nicht grün sind, wir arbeiten noch daran, und dass der eine oder andere auch konservativ ist, liegt in der Natur der Sache, und dass die Union das jetzt endlich entdeckt und sich um diese Menschen stärker kümmert, ist zu begrüßen. Uns wird der Kritikstoff an der Union schon nicht ausgehen. Da sorgt die Union ja dafür, denn allein die Tatsache, dass eine Ministerin mit Migrationshintergrund jetzt in Niedersachsen Landesministerin wurde, ändert ja noch nichts an deren Bildungspolitik, dass sie die Kinder nach der vierten Klasse trennen.
Meurer: Aber beginnt jetzt vielleicht ein Wettbewerb um die Wählerstimmen, und wer sagt, dass Türkischstämmige immer grün, oder SPD wählen?
Özdemir: Ich würde es begrüßen! Ich würde es gut finden, wenn die Union sich aktiv kümmern würde um Menschen mit Migrationshintergrund, denn das ist ein Teil dieser Gesellschaft. Viele sind eingebürgert, sind Staatsbürger. Seitdem wir das Staatsangehörigkeitsrecht unter Rot-Grün geändert haben, wird eine zunehmende Zahl mit der Geburt deutscher Staatsbürger hier, und sich um die zu kümmern, gehört zu den staatsbürgerlichen Pflichten auch einer Partei. Die soll sich gefälligst darum kümmern, selbstverständlich, aber dann muss sie bitte schön auch sich überlegen, was die Bedürfnisse dieser Menschen sind, und die unterscheiden sich gar nicht so diametral von anderen Menschen, die Probleme in der Gesellschaft haben, mit dem Bildungssystem. Deutsche Arbeiterkinder haben haarscharf dieselben Probleme wie Migrantenkinder, nämlich dass unser Schulsystem eines ist, das leider sozial sehr selektiv ist, das gezielt Leute, die aus Arbeiter- und Migrantenfamilien kommen, auf Hauptschulen schickt und ihnen Zugangsmöglichkeiten auf weiterführende Schulen leider verwehrt. Da liegt eines der wichtigsten Themen, wenn man wirklich etwas erreichen möchte in dieser Gesellschaft an Integration, und ich bin sehr gespannt darauf, ob die neue Sozialministerin, Frau Özkan, sich an das Thema herantrauen wird.
Meurer: Das werden wir sehen, Herr Özdemir. – Sehen Sie sich beide als Vorbilder?
Özdemir: Das weiß ich nicht. Man soll von sich selber nicht sagen, dass man Vorbild ist. Die Tatsache, dass ich damals gewählt worden bin, als Abgeordneter in den Bundestag und jetzt von meiner Partei als Parteivorsitzender, hat sicherlich dazu geführt, dass der eine oder andere oder die eine oder die andere sich vielleicht auch gesagt hat, das kann ich auch, das will ich auch machen, man kann tatsächlich hier etwas verändern. Wenn dem so ist, soll es mir recht sein.
Meurer: Gibt es einen Ratschlag, den Sie als erfahrenerer Politiker für Frau Özkan haben?
Özdemir: Interviews gut autorisieren, gute Pressesprecher sich zulegen und vor allem nicht vergessen, dass sie bei der CDU ist und in Niedersachsen ist und jetzt eben nicht mehr in Hamburg ist bei der CDU, die dort mit den Grünen regiert und eben etwas großstädtischer und liberaler ist.
Meurer: In Teilen der CDU, Herr Özdemir, ist ja früher Multi-Kulti eher als eine Spinnerei und Träumerei abgetan worden. Jetzt immerhin marschiert die Union mit einer Türkin vorne weg. Ist das noch ein Baustein mehr, der CDU und Grüne einander näher bringt?
Özdemir: Na ja, Sie sehen ja an den Reaktionen auf das erste Interview von Frau Özkan, dass die Union sich schon noch sehr schwer damit tut. Manche der Reaktionen kann man auch jetzt mit dem Abstand von ein, zwei Tagen noch nicht ganz nachvollziehen, die auch im Ton und im Inhalt völlig überzogen waren und jede Art von Rationalität vermissen lassen. Ich will jetzt nicht sagen, dass das sehr klug war von Frau Özkan, gleich zu Beginn, noch bevor sie vereidigt ist, mit so einem Interview auf sich aufmerksam zu machen, aber die Reaktionen hielt ich doch zum großen Teil für völlig unangemessen.
Meurer: Aber trotzdem: So etwas wäre früher undenkbar gewesen bei der Union.
Özdemir: Das stimmt! Das stimmt. Dass die Union jetzt überhaupt eine Ministerin türkischer Herkunft hat und davor eine Abgeordnete türkischer Herkunft in Hamburg hatte, ist zu begrüßen und ist ein Zeichen für einen gesellschaftlichen Wandel, so wie ja auch eine Frau von der Leyen Ministerin im Bund werden konnte und sich für Kinderbetreuung einsetzen konnte, für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Da tut sich was! Das freut mich als Grünem, weil das ja Dinge sind, für die wir uns früher haben prügeln lassen müssen.
Meurer: In gut einer Woche haben wir die wichtige Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Nicht ganz auszuschließen, dass wir in zehn Tagen über Schwarz-Grün reden werden, Herr Özdemir. Gibt es irgendein Hindernis, eine Hürde, die wirklich noch unüberwindbar wäre, um CDU und Grüne zueinander zu bringen?
Özdemir: Erst einmal hoffe ich, dass es eine sehr starke Hürde geben wird, nämlich dass wir am 9. Mai hoffentlich um 18 Uhr eine rot-grüne Mehrheit feiern werden, mit starken Grünen, die dann hoffentlich viele Zweitstimmen bekommen haben, und zwei Frauen an der Spitze des Landes. Das wäre doch ein schönes Signal, wenn Frau Kraft und Frau Löhrmann von uns die nächste Landesregierung bestreiten würden. Ich könnte mir das sehr gut vorstellen und man sieht ja auch, dass die SPD dazugelernt hat, ihr Verhältnis zu den Grünen normalisiert, aufhört, wie in Zeiten von Clement mit einer Politik, die auf Krawall setzt, die auf öffentliche Inszenierung von Streit setzt, etwas rationeller, etwas ruhiger geworden ist. Das kann der SPD-Politik nur gut tun. Insofern: Wir kämpfen für eine rot-grüne Mehrheit. Das ist das, was der Landesverband Nordrhein-Westfalen möchte. Wenn es dazu wiedererwartend nicht reicht, indem die Linkspartei leider doch in den Landtag einzieht, dann sind alle anderen Optionen Zweitoptionen. Eine Option haben wir allerdings bewusst ausgeschlossen; das ist die Option mit CDU und FDP, weil wir sagen, mit den beiden gemeinsam können wir das Land nicht verändern.
Meurer: Sie waren bis letztes Jahr im Europaparlament, Herr Özdemir. Im Moment ist die Angst um den Euro groß, in Deutschland vor allen Dingen und die Sorge, dass Griechenland zu einem Fass ohne Boden wird. Man gewinnt ein bisschen den Eindruck: Sind die Grünen schon fast etwas zu schnell dabei, Griechenland bedingungslos helfen zu wollen?
Özdemir: Gar nicht! Griechenland hat einen großen Teil der Krise sich selbst zuzuschreiben, indem sie bestimmte Gesetze, die einfach für alle Länder gelten, außer Kraft gesetzt haben, dass man Haushalt sanieren sollte, wobei wir da auch aktuell nicht gerade ein sehr gutes Vorbild sind. Das nur am Rande. Insofern hat Griechenland jetzt ein sehr schwieriges Programm. Ich finde übrigens, dass man das auch ruhig mal anerkennen kann, dass die Regierung unter Giorgos Papandreou – ich kenne ihn selber noch aus seiner Zeit als stellvertretender Außenminister – ja nun doch etwas macht, was für eine sozialistische Partei nicht gerade einfach ist, Renten zu kürzen, Leute nicht in den Staatsdienst zu übernehmen, denen man das vorher versprochen hatte, Korruption energisch zu bekämpfen. Jetzt könnte man natürlich sagen, das sind ja Selbstverständlichkeiten in Euroländern, aber in Griechenland war es halt nicht so.
Meurer: Das heißt, Sie könnten Ihrer Fraktion empfehlen, schon morgen pro Griechenlandhilfe abzustimmen?
Özdemir: Was heißt "pro Griechenland"? Es geht um pro Europa. Darum geht es doch im Kern. Es geht darum, wenn wir jetzt helfen über KfW-Kredite, dass wir mit fünf Prozent sogar Gewinn machen, weil wir die Finanzierung in Deutschland günstiger bekommen. Das heißt, es geht erst mal darum, dass wir nur eine Ausfallbürgschaft geben für die Kredite der KfW, und wenn Griechenland, was es bislang ja hat, zurückzahlt, dann verlieren wir keinen Cent, sondern machen sogar unterm Strich sogar Gewinn durch die Zinsen. Das finde ich im Prinzip richtig. Ich finde aber auch richtig, dass diejenigen, die die Krise mit verursacht haben, die Banken mit zur Rechenschaft gezogen werden.
Meurer: Auf welche Art und Weise könnte man das tun?
Özdemir: Finanztransaktionssteuer. Wir brauchen die Finanztransaktionssteuer von 0,01 Prozent. Das würde im Jahr ungefähr sieben Milliarden Euro einbringen. Das wäre sicherlich sinnvoll. Unser Vorschlag ist, es macht doch keinen Sinn, jetzt im Vorfeld von NRW zu gucken, schadet es einem, nützt es einem im Wahlkampf, wie es die Frau Merkel macht. Wir verlieren wertvolle Zeit. Frau Merkel soll die Fraktions- und Parteivorsitzenden aller im Bundestag vertretenen Parteien einladen. Wir sind bereit, mitzumachen, mit anzupacken, und dann entwickeln wir eine gemeinsame europäische Position aus Deutschland, die nicht nur auf Griechenland schaut, sondern vor allem darauf schaut, wo warten die nächsten möglichen Risiken für den Euro. Wir brauchen eine europäische Koordination der Finanz- und Wirtschaftspolitik – wir sind dazu bereit -, wir brauchen ein starkes Engagement aus Deutschland für eine Transaktionssteuer. Wir sind bereit dazu, mit der Bundesregierung, mit den anderen Oppositionsparteien. Frau Merkel, worauf warten Sie?
Meurer: Der Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Cem Özdemir, bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Özdemir, herzlichen Dank. Auf Wiedersehen!
Özdemir: Ich danke.