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"Wir werden nicht von außen kolonialisieren"

Die Bevölkerung in Ägypten brauche Hilfe bei der Gründung von Parteien oder bei der Organisation von Wahlen, sagt Entwicklungsminister Niebel. Dabei dürfe jedoch nicht der Anschein erweckt werden, "es würde sich um eine Demokratisierungsbewegung des westlichen Auslandes handeln".

Dirk Niebel im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Jasper Barenberg: Eine schwierige Situation sicherlich auch für Dirk Niebel, den Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Einen schönen guten Morgen auch Ihnen.

    Dirk Niebel: Guten Morgen!

    Barenberg: Herr Niebel, wir haben es gehört: Die Situation ist sehr diffus. Man weiß nicht recht, wer den Ton angibt bei dieser breiten Bewegung. Ägypten verändert sich rasant. Verändert auch die Bundesregierung die Form der Zusammenarbeit?

    Niebel: Ja. Ich habe schon nach den Ereignissen in Tunesien entschieden, dass wir einen Demokratisierungsfonds Nordafrika, haben wir das genannt, auflegen, der erst mal mit Restmitteln, die wir zusammengekratzt haben, gefüllt wurde. Den konnten wir jetzt verstärken, da sind jetzt dreieinviertel Millionen Euro verfügbar für die Unterstützung von Demokratisierungsprozessen und zusätzlich mittelfristig eine Verbesserung der beruflichen Bildung mit weiteren acht Millionen, damit wir Perspektiven schaffen auch für den Mittelbau. Es gibt hier sehr viele sehr gut qualifizierte junge Menschen und sehr viele ganz wenig qualifizierte Menschen, und zwischendrin brauchen wir noch eine Erneuerung der Chance der Bildung. Auf der anderen Seite haben wir natürlich in allen Ländern Nordafrikas, auch in Ägypten, die Situation, dass wir so vorsichtig vorgehen müssen, dass keiner den Anschein erweckt, es würde sich um eine Demokratisierungsbewegung des westlichen Auslandes handeln. Das heißt, wir brauchen Partner, die unsere Unterstützungsangebote auch von sich aus abfragen.

    Barenberg: Sie haben von dem Fonds gesprochen, den Sie eingerichtet haben. Der ist ja, so weit ich weiß, zunächst für Tunesien gedacht. Wann wird er auch den Menschen in Ägypten zugutekommen?

    Niebel: Nein, der Fonds ist für Gesamt-Nordafrika gedacht. Das heißt also, man kann mit diesem Fonds sowohl in Tunesien als auch in Ägypten, oder gegebenenfalls anderswo tätig werden. In Tunesien haben wir die ersten Anfragen. Es gibt dort ein Versöhnungskomitee, das vorbereiten wird den Versöhnungsprozess nach der Diktatur, und diesen werden wir unterstützen mit einer entsandten Fachkraft, weil dort um Unterstützung gebeten worden ist. Wir haben allerdings auch Kontakte zu den politischen Stiftungen, die ja teilweise schon 40 Jahre in Ägypten tätig sind und nicht nur mit politischen Parteien ob im oder außerhalb des Parlaments, sondern auch mit vielen gesellschaftlichen Gruppen langjährige Kontakte haben, sodass hier Anknüpfungspunkte sind, wo man Hilfestellung geben kann, wie gründe ich eigentlich eine Partei, wie nominiere ich eigentlich Kandidaten, oder den Verwaltungen helfen kann, wie organisiere ich eine demokratische freie, gleiche und geheime Wahl, was ja ein sehr komplexer Vorgang ist.

    Barenberg: Herr Lüders hat gerade gesagt, wer Ansprechpartner zurzeit sucht in den Reihen der Jugendbewegung, der Protestbewegung, der Demokratiebewegung, der müsse bei null anfangen. Wie gehen Sie überhaupt da vor? Wie sammeln Sie Informationen? Wie finden Sie Ihre Ansprechpartner?

    Niebel: Das ist hier nicht etwas, was die Bundesregierung direkt macht. Wir nehmen ja jetzt nicht Geld in die Hand und laufen durch Kairo und suchen jemanden, der eine Partei gründen will, sondern wir gehen mit den Strukturen vor, die vorhanden sind. Das sind zum Beispiel die politischen Stiftungen unserer im Bundestag vertretenen Parteien, ein einzigartiges Konstrukt fast weltweit. Hier gibt es auch durch die Parteiverbindungen Jugendorganisationen, die auch heute schon international auch in Nordafrika tätig sind, wo Kontakte vorhanden sind. Darüber hinaus haben wir natürlich durch unsere staatlichen Entwicklungsstrukturen auch Kontakte zu vielfältigen gesellschaftlichen Gruppierungen, nicht nur zu Regierungsstellen, sodass wir durch Dezentralisierungsprogramme schon in der Vergangenheit versucht haben, Bürgerinnen und Bürger mehr einzubeziehen in kommunalpolitische Entscheidungen und auf dieser Basis auch Ansprechpartner haben. Allerdings immer noch einmal ganz deutlich gesagt: Es muss von unseren Partnern aus abgefragt werden. Wir werden nicht von außen kolonialisieren.

    Barenberg: 112 Millionen Euro hat die Bundesregierung in letzter Zeit jährlich für die Entwicklung in Ägypten ausgegeben, vor allem für Infrastrukturmaßnahmen, für Wasserprojekte, Energieprojekte. Ist es jetzt an der Zeit, die Prioritäten neu zu setzen?

    Niebel: Die letzte Zwei-Jahres-Zusage betrug 190 Millionen Euro für Ägypten, wobei der größte Teil Kreditmittel gewesen sind, Kreditmittel zum Beispiel zur Finanzierung des nächsten großen Windparks, der kommerziell eingerichtet wird, weil Energiemangel eines der größten Entwicklungshemmnisse in ganz Nordafrika ist. Ich glaube, das wird auch in Zukunft notwendig sein, im Bereich Energie und Ressourcenschonung zu arbeiten, weil der Mangel an Energie auch den Mangel an Arbeitsplätzen mit sich bringt, was wieder zu Perspektivlosigkeit führt. Also von daher werden wir hier in diesem Segment mit Sicherheit weiter tätig sein müssen. Aber wir verstärken das Engagement im Bereich des Demokratisierungsprozesses, eben halt durch die Unterstützung von gesellschaftlichen Gruppen, aber auch zum Beispiel mit der Deutsche-Welle-Akademie bei der Schulung von Journalisten insbesondere auch in Neuen Medien, denn die Neuen Medien waren ja das, was das Regime im Endeffekt zum Sturz gebracht hat.

    Barenberg: Europa sieht sich ja gerne, Herr Niebel, als Friedensmacht. Machen Sie sich auch stark für eine Art Marshallplan für Ägypten, ein gesamteuropäisches Projekt, eine konzertierte Aktion?

    Niebel: Ich bin bei unserem Engagement schon seit Langem telefonisch im Gespräch mit Kollegen in Europa, insbesondere mit meiner schwedischen Kollegin, habe am vergangenen Freitag mit dem EU-Entwicklungskommissar Piebalgs in Berlin sehr intensiv über das europäische Engagement gesprochen, und wir werden beim informellen Rat der Entwicklungsminister am 21. und 22. Februar in Brüssel auch dieses Thema besprechen. Ich glaube, dass wir ein historisches Fenster von Möglichkeiten haben, das wir als Europäer auch nutzen sollten, um deutlich zu machen, dass uns unsere Werte wichtig sind auch außerhalb Europas.

    Barenberg: Und ein wenig Selbstkritik darf es dann auch sein, dass man in der Vergangenheit mit den eigenen Möglichkeiten durchaus auch das Regime stabilisiert hat?

    Niebel: Ich weiß nicht, was es dem Regime geschadet hätte, wenn wir Trinkwasserprojekte nicht durchgeführt hätten. Das Ergebnis wäre gewesen, dass mehr Menschen kein Trinkwasser gehabt hätten. Und es hat dem Regime mit Sicherheit auch nichts genützt, dass wir die großen Turbinen im Assuan-Staudamm rehabilitiert haben. Die Folge wäre, wenn wir es nicht getan hätten, weniger Strom, weniger Industriearbeitsplätze, weniger Einkünfte, mehr Armut und mehr Nährboden für den Extremismus. Wenn man es so betrachtet, darf man gar keine Entwicklungskooperation betreiben. Das schadet aber in erster Linie den Menschen.

    Barenberg: Der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Vielen Dank für dieses Gespräch, Dirk Niebel.

    Niebel: Gerne.