Freitag, 19. April 2024

Nach dem Bundesparteitag in Riesa
Wohin steuert die AfD?

Die Einschätzung der Beobachter ist einhellig: Mit der Wahl des neuen Bundesvorstandes ist die AfD politisch noch weiter nach rechts gerückt. Woran lässt sich das genau festmachen? Und wie will sich die Partei künftig positionieren?

20.06.2022
    Tino Chrupalla (4.v.l.), AfD-Bundesvorsitzender, Alice Weidel (M), AfD-Bundesvorsitzende, sowie die AfD-Ländervorsitzenden stehen auf dem Bundesparteitag der AfD in der Sachsenarena auf der Bühne neben Alexander Gauland (r), Mitgründer und Ehrenvorsitzender der AfD.
    Rückendeckung für die neue AfD-Spitze Tino Chrupalla (4.v.l.) und Alice Weidel (M) am Ende des Parteitags (dpa/Sebastian Kahnert)
    Von einem „Aufbruch“ sprach der neue und alte Co-Vorsitzende Tino Chrupalla nach der Wahl der neuen Doppelspitze, bestehend aus ihm und Alice Weidel. Es sei nun das Ziel, die Vergangenheit und den Streit hinter sich zu lassen. Doch schon auf dem Parteitag, der im Streit endete, wurde deutlich, dass sich die Konfliktlinien lediglich verschoben haben – und die Macht der neuen Parteispitze begrenzt ist. Gestärkt ist ein anderer: Rechtsaußen Björn Höcke.

    Was bedeutete die Wahl der neuen Co-Vorsitzenden Weidel/Chrupalla?

    Tino Chrupalla und Alice Weidel heißt das Führungsduo an der Spitze der Bundespartei. Alice Weidel rückte mit 67,3 Prozent der Stimmen in die Position der gleichberechtigten Co-Vorsitzenden auf. Chrupalla wurde mit 53,5 Prozent im Amt bestätigt und schnitt damit noch schlechter ab, als bei seiner erstmaligen Wahl 2019, bei der er 54,5 Prozent erhielt.
    Die geringen Zustimmungswerte könnten dem schlechten Abschneiden der Partei bei den vergangenen Landtagswahlen geschuldet sein. Sie sind aber auch ein Zeichen dafür, dass Chrupalla keinen übermäßig großen Rückhalt in der Partei genießt – und sicherlich keines für einen Aufbruch.
    Weidel und Chrupalla gelten als ideologisch flexibel, stehen politisch aber deutlich weiter rechts als der ehemalige Co-Chef Jörg Meuthen, der dem „gemäßigten Lager“ zugerechnete wurde. Meuthen war im Januar aus der AfD ausgetreten, nachdem er zuletzt immer wieder den zunehmend radikaleren Kurs der Partei unter Chrupalla kritisiert hatte. In Riesa war der Vertreter der „Gemäßigten“ als Gegenkandidat Chrupallas chancenlos: Norbert Kleinwächter kam auf lediglich 36,3 Prozent.

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    Das Duo Weidel/Chrupalla hat auch den Segen der einflussreichen Rechtsaußen-Strömung um den Thüringer Landes- und Fraktionschef Björn Höcke - auch wenn Höcke und die beiden Vorsitzenden politisch keineswegs immer einer Meinung sind. Das wurde im Verlauf des Parteitags in Riesa an verschiedenen Stellen deutlich. Zum Ende zeigte die Rechtsaußen-Fraktion der neuen Doppelspitze die Grenzen ihrer Macht auf: In der ersten inhaltlichen Debatte nach deren Wahl verweigerten sie sich lange den Vorschlägen des Spitzen-Duos.
    Dadurch und durch den folgenden vorzeitigen Abbruch des Parteitags sind Weidel und Chrupalla schon beschädigt aus dem Parteitag gegangen. Chrupalla bemühte sich zwar noch um Schadensbegrenzung, sprach von einem ordnungsgemäßen Endes des Parteitags „durch Votum der Delegierten“ und dass „nach drei Tagen die Nerven ein bisschen blank liegen“. Doch der Umstand, dass er alleine und nicht mit seiner Co-Vorsitzenden vor die Presse trat, zeigt, dass es selbst der neuen Doppelspitze nicht gelingt, Einigkeit zu demonstrieren.

    Welche Rolle spielt Rechtsaußen Höcke?

    Der vom Verfassungsschutz als Rechtsextremist eingestufte thüringische AfD-Partei- und Fraktionsvorsitzende Björn Höcke hat an Einfluss gewonnen. Wie schon in der Vergangenheit gelang es ihm, durch Netzwerken und das Organisieren von Mehrheit seine Inhalte und Kandidaten für den Bundesvorstand durchzusetzen. Unter anderem brachte er eine Satzungsänderung durch, sodass die Partei künftig von einem einzigen Vorsitzenden geführt werden kann. Anschließend machte er sich dafür stark, es dieses mal nochmal bei einer Doppelspitze zu belassen.
    Wie groß der Einfluss von Höcke und seinem Netzwerk inzwischen ist, zeigte nicht zuletzt eine Abstimmung am Parteitags-Sonntag: Die Mehrheit der Delegierten (rund 60 Prozent) beschloss, den Verein „Zentrum Automobil“ von der sogenannten Unvereinbarkeitsliste der AfD zu streichen. Der Verein versteht sich als Gewerkschaft. Es bestehen aber auch enge Kontakte zur NPD. Auf der Unvereinbarkeitsliste führt die Partei Organisationen und Vereine, deren Mitgliedern ein Zutritt zur AfD verwehrt wird.
    Zwei Mitglieder des Vorstands hatten sich gegen die Streichung ausgesprochen: Marc Jongen verwies darauf, dass Vertreter „Zentrum Automobil“ Veranstaltungen mit der NPD und der Kleinpartei III. Weg machten. Roman Reusch argumentierte, eine Streichung würde dem Verfassungsschutz in die Hände spielen, der inzwischen die gesamte AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall einstuft.

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    Höcke wischte die Argumente von Reusch vom Tisch: Der „sogenannte Verfassungsschutz“ sei ohnehin „Teil dieses Machtinstruments, das unser Deutschland abwickeln will“. Deshalb sollte man sich um die Einschätzungen dieser Behörde nicht weiter kümmern. Man bestimme selbst, „wer Extremist ist und von wem wir uns abgrenzen, das macht keine Regierungsbehörde“, so Höcke. AfD-Chefin Weidel nannte die Entscheidung „natürlich nicht in meinem Sinne und schon gar nicht im Sinne der Partei“.
    Höcke führe die „Partei sozusagen von hinten“, urteilte der Rechtsextremismusexperte David Begrich im Dlf. Der thüringische AfD-Partei- und Fraktionsvorsitzende gehe gestärkt aus dem Parteitag hervor, so die Einschätzung des thüringischen Innenministers Georg Maier. Es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis er die Partei völlig dominiere. „Dann wird er nach dem Vorsitz greifen“, sagte Maier dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Tatsächlich denkt Höcke darüber nach, in Zukunft für die Bundesspitze zu kandidieren, wie er in Riesa verriet: „Vielleicht ist es in ein paar Jahren soweit. Bis dahin bin ich in Thüringen gut aufgehoben.“ Mit der Satzungsänderung für den Parteivorsitz hat er die alleinige Machtübernahme schon vorbereitet.
    Einen anderen Plan Höckes durchkreuzte das vorzeitige Ende des Parteitags: Die Einsetzung einer Kommission für eine Strukturreform der Partei, deren Vorsitz er gerne übernehmen möchte. Damit soll sich nun als erstes der neue Bundesvorstand befassen.

    Woran lässt sich der weitere Rechtsruck der Partei festmachen?

    Auf dem Parteitag in Riesa ist der gemäßigte Teil innerhalb der AfD massiv zurückgedrängt worden. So schaffte es bei den Wahlen keiner seiner Kandidaten in den Bundesvorstand, zum Teil stellten die „Gemäßigten“ gar keine eigenen Kandidaten mehr auf. In weiten Teilen entspricht der 14-köpfige Bundesvorstand den Vorstellungen Chrupallas und Weidels. In den engsten Führungszirkel, als Stellvertreter, wählte der Parteitag drei Kandidaten, für die sich Chrupalla ausgesprochen hatte: die Bundestagsabgeordneten Stephan Brandner, Peter Boehringer und Mariana Harder-Kühnel.
    Auch Höcke brachte drei Vertreter durch, darunter seine langjährige Unterstützerin Christina Baum, die sich gegen einen Kandidaten Chrupallas durchsetzte. In ihrer Bewerbungsrede propagierte sie Geschichtsrevisionismus. Insgesamt lässt sich feststellen: Durch diese Vorstandswahlen ist das gemäßigte bürgerliche Lager einer weiter rechts stehenden Führung gewichen.

    Wie will sich die Partei künftig positionieren?

    Nach Ansicht von Rechtsextremismusforscher Begrich ist die AfD derzeit dringend auf der Suche nach einem Mobilisierungsthema. Das habe man aus der Schlussrede von Weidel heraushören können. Die Partei hoffe, dies „in den Themen Inflation und Wohlstandsverlust gefunden“ zu haben. Doch schon im Kontext der Auseinandersetzungen um die Corona-Beschränkungen habe die AfD nicht so profitiert, wie sie sich das erwartet habe.
    Beobachter trauen der Partei jedoch durchaus zu, durch die Themen Teuerungsrate und Energieversorgung auch überregional wieder Wählerpotenzial zurückzugewinnen. Mehrere richtungsweisende Vorlagen für die Neustrukturierung und inhaltliche Positionierung der Partei blieben liegen, weil der Parteitag nach einem Streit vorzeitig abgebrochen wurde.

    Welch Bruchlinien gibt es innerhalb der Partei?

    Die Hoffnung vieler Parteianhänger auf eine Konsolidierung der AfD nach langem internen Streit erfüllte sich auf dem Parteitag nicht. Der Parteitag endete am späten Sonntagnachmittag (19.06.2022) nach heftigem Streit, der sich an einer EU-kritischen Resolution unter dem Titel "Europa neu denken" entzündetet. Die Auseinandersetzung zeigte, dass sich mit der Entmachtung des „gemäßigten“ Flügels“ lediglich die Konfliktlinien innerhalb der Partei verschoben haben.
    Auch Weidel sprach von sehr „unspezifischen Sätzen“ und forderte eine sprachliche und inhaltliche Überarbeitung des Papiers. Gemeinsam mit Chrupalla plädierte sie dafür, die Resolution in der vorliegenden Form nicht zu beschließen. Höcke und andere Delegierte setzten sich dagegen vehement für eine Verabschiedung ein. Der AfD-Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider aus Sachsen-Anhalt sagte, der Antrag enthalte „genau die Begriffe und die Orientierungen, die wir als Botschaft nach außen schicken müssen. Der Gegensatz zwischen Globalisten und Nationalstaaten - das ist der Weltkampf, in dem wir stehen, und das wird hier klar und deutlich benannt“.
    Im Laufe der gut zweistündigen, hitzig geführten Debatte konnte sich die Parteiführung erst spät mit ihrem Vorschlag durchsetzen, die Vorlage zur weiteren Beratung in den Bundesvorstand zu verweisen. Diese Machtprobe mit dem rechtsextremistischen Flügel gewann die neue Führungsspitze möglicherweise nur deshalb, weil sich die Vorsitzenden von fünf Landesverbänden und der AfD-Ehrenvorsitzende Alexander Gauland auf der Bühne demonstrativ neben und hinter Chrupalla stellten, als der erneut für Überweisung an den Bundesvorstand warb.
    Quellen: Nadine Lindner, Alexander Moritz, dpa, afp, ww