Samstag, 20. April 2024

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Woodstock-Buch
Wie Michael Lang die Ursprünge (v)erklärt

„Woodstock: Die wahre Geschichte“, verspricht Michael Lang, Co-Organisator des Festivals, in seinem nun auf Deutsch erschienenen Buch. Garniert mit vielen Bildern will es einen „schonungslosen Blick hinter die Kulissen“ von 1969 bieten - es erklärt aber auch das Aus des Jubiläums "Woodstock 50".

Dennis Kastrup im Gespräch mit Fabian Elsäßer | 15.08.2019
Michael Lang, US-amerikanischer Musikproduzent und Mitorganistor des Woodstock-Festivals
"Vor mir lag das Feld meiner Träume": Michael Lang, US-amerikanischer Musikproduzent und Mitorganistor des Woodstock-Festivals, über den Acker in Bethel (Invision / AP Invision / Evan Agostini)
Fabian Elsäßer: Was war das für ein Typ, dieser Michael Lang, der die Idee zu Woodstock hatte?
Dennis Kastrup: Lang war wirklich ein waschechter 26-jähriger Hippie, der von Weltfrieden träumte und sich in dieser Zeit einfach ein bisschen treiben ließ. Er veranstalte 1968 bereits das Miami Pop-Festival und besuchte dann 1968 den kleinen Ort Woodstock, ungefähr 150 Kilometer nördlich von New York City. Ein Zufluchtsort für Musiker und Künstler, wie zum Beispiel Bob Dylan. Dort fühlte er sich sofort so wohl, dass er sich niederließ. In dieser Umgebung entstand dann die Idee eines Festivals; und zwar bei den so genannten Sound-Outs, kleinen Happenings vor Ort. Michael Lang dazu im Buch:
"Drei bis vier Acts traten auf einer behelfsmäßigen, nur knapp fünfzehn Zentimeter hohen Bühne auf, die auf einem brachliegenden Kornfeld errichtet worden war. (...) Zwischen den einzelnen Sets hörte man Zikaden und Vögel musizieren. Auf der angrenzenden Kuhweide stellten Leute Zelte oder Campingwagen auf. 'Wäre es nicht cool, wenn man ein großes Konzert veranstalten würde, wo alle wie hier campen könnten, und das ein ganzes Wochenende lang?'"
Menschen auf matschigen Boden, schwarz-weiß Foto
1969 fand das legendäre Open-air-Festival Woodstock in der kleinen Gemeinde Bethel westlich von New York statt. (imago images / United Archives)
Elsäßer: Wie beschreibt Michael Lang den Umsetzungsprozess von dieser Idee bis es dann zum Festival kam?
Kastrup: Total unhippiemäßig erst einmal: Natürlich brauchten sie Geld. Da kommen die Geschäftspartner Joel Roseman und John Roberts ins Spiel, die Lang überzeugen konnte, zu investieren. Beide waren junge Unternehmer, die so ein bisschen auf der Suche nach dem großen Ding waren, was sie noch reicher machen würde - und da der "Summer of Love" zwei Jahre vorher bereits Hunderttausende Menschen in seinen Bann gezogen hatte, sahen sie das große Potential und natürlich auch die vielen Dollars. Zusammen mit Artie Kornfeld - Produzent, Promoter und Freund von Lang - gründeten alle die "Woodstock Ventures", zu denen auch ein Musikstudio in Woodstock gehörte.
Dann wurde begonnen, Pläne auszuarbeiten: Es geht im Buch um Verhandlungen mit Bands und deren Manager, Ticketverkäufe, die Umsetzung der Essens- und Getränkestände, die sanitären Einrichtungen, Security, Absperrungen und so weiter. Man könnte sagen, dass es das reinste Chaos war, denn - und das erinnert stark an den Versuch der diesjährigen Ausgabe - es gab zwei Wochen davor noch kein Festivalgelände, und es waren schon 100.000 Karten verkauft. Alle vorherigen Acker und Pläne scheiterten an der Bevölkerung in den kleinen Orten um Woodstock: Sie wollten die Hippies nicht haben! In einer Stadt namens Wallkill fanden sogar schon vier Wochen vor dem Termin die Vorbereitungen auf dem Gelände statt.
Nackte Hippie-Pärchen auf dem Woodstock-Festival
Nackte Hippie-Pärchen auf dem Woodstock-Festival (imago stock&people)
Elsäßer: Letztendlich haben sie ja dann doch ein Festivalgelände gefunden. Wie kam es dazu?
Kastrup: Michael Lang ist mit einem Freund die Gegend um Woodstock abgefahren. Plötzlich schrie er: "Anhalten!"
"Vor mir lag das Feld meiner Träume – wie ich es mir von Anfang an vorgestellt hatte. Und natürlich habe ich gleich den tieferen Sinn begriffen, dass wir aus Wallkill vertrieben worden waren nur um in Bethel, dem biblischen "Haus Gottes" zu landen. Ich stieg aus dem Wagen und näherte mich dieser perfekten grünen Senke. Ganz unten im Tal war eine kleine Erhebung, der ideale Ort für unsere Bühne."
Das Land gehörte dem Milchbauer Max Yasgur. Der legte den Machern keine Steine in den Weg, verpachtete das Feld, die Genehmigungen wurden eingeholt und so konnte dann am 16. August 1969 das legendäre Festival stattfinden. Doch die wenigen Tage davor waren noch einmal eine Mammutaufgabe, wie Michael Lang in dem Buch sehr offen beschreibt und es auch die Bilder eindrücklich zeigen, schließlich musste schnell, wirklich wahnsinnig schnell alles aufgebaut werden. Die Kassenhäuschen konnten nicht installiert werden. Die Bühne und der Zaun, der das Festival umschließen sollte, waren halb fertig, was dazu führte, dass am Ende das Festival sogar kostenlos war. Die Stromkabel wurden teilweise so verlegt, dass es lebensgefährlich war.
Das Festival musste aber beginnen, und das sollte es laut Vertrag mit einem Akustikset von Jimi Hendrix, der war aber nicht da, steckte im Stau. Lang suchte verzweifelt hinter der Bühne, Tim Hardin wollte nicht raus, er hatte zu große Angst. Am Ende konnte er Richie Havens überreden:
"Um 17:07 Uhr ging Richie Havens schließlich raus auf diese große Bühne. Und dann sprach er mit der Menge genauso, als säße er auf der Bühne des Café Wha: "Wisst ihr was? Wir haben es endlich geschafft! Dieses Mal haben wir es geschafft. Jetzt werden sie uns nicht länger ignorieren können."
WOODSTOCK, Richie Havens, 1969 
Sänger Richie Havens eröffnete 1969 Woodstock (picture alliance / Everett Collection)
Elsäßer: Was hat denn Michael Lang als Festivalveranstalter von diesen "3 days of peaqce and music" überhaupt mitbekommen?
Kastrup: Er betreute die Künstler vor Ort und ging natürlich auch über das Festivalgelände, um sich ein Bild vor Ort zu machen. Dabei versuchte zu organisieren, was noch ging, musste aber irgendwann erkennen, dass er sich und seine Partner total verschuldet hat, da er sich verkalkuliert hat, weil viele Zuschauer eben kostenlos auf dem Gelände waren. Die Manager von The Who und Greatful Dead wollten deswegen plötzlich auch ihre Gage in bar vor dem Auftritt haben, weil sie Angst hatten, am Ende gar nichts zu bekommen.
Lang sah auch den Regen kommen, der das Festival am Samstag unterbrach, den Sturm, der über alle hinweg fegte. Danach ist dann das berühmte Foto mit dem Pärchen im Matsch eingehüllt in einer verschlammten Decke entstanden.
Elsäßer: Es ist also doch ein ganz schönes Katastrophenfestival gewesen, aber es hat heute ja unbestritten Legendenstatus. Gibt es da im Buch von Michael Lang Erklärungsversuche - oder vielleicht sogar die Erklärung?
Kastrup: Ja, es war der gemeinsame Glaube, das gemeinsame Gefühl, die Welt doch mit Liebe und Musik verändern zu können, oder kurz: Hippies! Denn es ist ein Wunder, dass bei all den Problemen keine größere Katastrophe passiert ist. Dieses Gemeinschaftsgefühl ist auch auf die Künstler übergeschwappt: Sie haben wohl alle gemerkt, dass es ein einzigartiger Moment ist. Und so bleiben am Ende eben die unvergesslichen Auftritte von Janis Joplin, The Who, Joe Cocker, der schwangeren Joen Baez und vielen weiteren. Vor allem Jimi Hendrix mit seiner legendären Star-Spangled-Banner-Gitarrensolo-Version der US-Hymne. Santana, der auch einen legendären Auftritt hatte, sagte nachher über das Festival:
"Woodstock war in meinen Augen ein kollektives Abenteuer, das etwas zum Ausdruck brachte, dem wir heute noch begegnen: Als die Berliner Mauer fiel, war ein Stück Woodstock dabei. Als Mandela freigelassen wurde, war ein Stück Woodstock dabei. Als wir die Jahrtausendwende feierten, war ein Stück Woodstock dabei. Auch heute erleben wir jeden Tag ein Stück Woodstock."
Diese Worte von 2009 konnte der deutsche Herausgeber aber nicht so stehen lassen, er fügte hinzu: "Das Fazit wurde vor zehn Jahren gezogen. Heute würde es völlig anders ausfallen: Seit Anfang 2017 ist Donald Trump der Präsident der Vereinigten Staaten."
Jimi Hendrix bei seinem zweistündigen Auftritt auf dem Woodstock-Festival am 18. August 1969
Jimi Hendrix bei seinem zweistündigen Auftritt auf dem Woodstock-Festival am 18. August 1969 (imago stock&people / Peter Tarnoff)
Elsäßer: Man kann also sagen, was dem Buch fehlt, ist eine Perspektive aus der Gegenwart. Wie lesenswert ist es dennoch?
Kastrup: Ja, es macht trotzdem Spaß, die vielen Zitate anderer Musiker und Mitwirkender zu lesen und alles aus der Sicht von Michael Lang zu sehen. Die erste Hälfte zog sich zwar ein bisschen, es ging um die Organisation und die vielen involvierten Menschen, das waren mir zu viele Fakten. Aber als es dann hin zum Festival ging, hat es mich schon sehr fasziniert, mit welcher Gelassenheit und auch Überzeugung Lang dieses Event durchziehen wollte.
Kritiker erwähnen in dem Zusammenhang ja auch gerne, dass das Monterey Festival zwei Jahre vorher eigentlich für die damalige Kultur prägender war. Das stimmt wohl für die Musik, aber dass 400.000 Menschen unter chaotischen Zuständen, teilweise ohne Essen, drei Tage lang friedlich auf einem Festival ausgeharrt haben, das bleibt wohl einzigartig und war auch ein großes politisches Statement gegen das Establishment. Diese damalige Naivität strahlt durch jede Zeile des Buches, auch mit dem Wissen, dass die nostalgische Sicht von heute natürlich viel positiver besetzt ist.
Michael Lang und Holly George-Warren: "Woodstock: Die wahre Geschichte. Vom Macher des legendären Festivals"
Edel Books Hamburg, 2019. 384 Seiten, 24,95 Euro.