Dienstag, 14. Mai 2024

Archiv

Wowereits Rücktritt
"Das ist natürlich nicht freiwillig"

Klaus Wowereit sei für eine weitere Amtszeit als Regierender Bürgermeister von Berlin nicht mehr durchsetzbar, sagte Daniel Friedrich Sturm, Hauptstadtkorrespondent der "Welt", im DLF. Er gehe unter Druck. Die SPD sei nun erodiert und habe keinen Nachfolger aufgebaut. Aber in seiner Amtszeit habe er auch gewisse Leistungen gezeigt.

Daniel Friedrich Sturm im Gespräch mit Dirk Müller | 26.08.2014
    Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit nimmt Platz im Rechtsausschuss des Abgeordnetenhauses.
    "Er verkörperte auch so ein bisschen eine Modernität, eine Urbanität", sagte Daniel Friedrich Sturm über Wowereit. (picture alliance / dpa / Florian)
    Dirk Müller: Ebenfalls in Berlin verbunden sind wir nun mit Daniel Friedrich Sturm, Berlin-Korrespondent für die Zeitungsgruppe "Die Welt". Guten Tag.
    Daniel Friedrich Sturm: Guten Tag.
    Müller: Herr Sturm, ist der Party-Bürgermeister jetzt so richtig müde?
    Sturm: Ja offenbar, und ein berühmtes Wort von Klaus Wowereit, nämlich der Satz "und das ist auch gut so" scheint, so ein bisschen die Stimmungslage jetzt wiederzugeben, nicht nur bei seinen vielen Gegnern, die er immer gehabt hat, sondern auch im eigenen Laden, wo doch die Erleichterung groß ist, dass er jetzt endlich seinen Rücktritt angekündigt hat.
    Müller: Frank Capellan hat uns das ja eben auch gesagt. Wowereit sagt, ich gehe freiwillig. Glauben Sie ihm?
    Sturm: Nein, das stimmt nicht. Das ist natürlich nicht freiwillig. Die Amtszeit geht ja noch weiter. Er ist ja bis 2016 als Regierender Bürgermeister gewählt. Es war völlig klar, dass er nicht mehr für eine weitere Amtszeit kandidieren wird. Das wäre politisch nicht mehr durchsetzbar gewesen. Das war also nichts Neues, damit hat er ja gerade seine Erklärung angesetzt. Nein, er geht unter Druck und er hinterlässt im wahrsten Sinne des Wortes eine Baustelle, nämlich diesen Flughafen. Der ist einfach zum Malus von Wowereit geworden. Aber es werden auch weitere Defizite erkennbar. Dieser Politiker, der doch mit sehr viel Fortune begonnen hat und auch mit sehr viel Macht und Machtwillen und Machiavellismus, hat im Grunde doch auch seine Partei ziemlich erodiert. Er hat auch keinen Nachfolger aufgebaut. Der SPD hier in Berlin stehen jetzt schwierige Wochen bevor.
    Müller: Wir haben eben von unserem Korrespondenten Günter Hellmich gehört, in der ersten Reaktion kurz nach zwölf Uhr, das kann nur jetzt der amtierende Parteichef machen, Jan Stöß. Ist das so?
    Sturm: Na ja, es gibt ja auch noch den Fraktionsvorsitzenden, Herrn Saleh, der anders als Herr Stöß eben im Abgeordnetenhaus sitzt. Herr Stöß hat kein parlamentarisches Mandat inne, ist auch nicht Senator. Die haben beide Interesse. Und das wird jetzt die spannende Frage sein, wer das wird. Wenn ich es richtig einschätze, steht die Fraktion auf der Seite von Herrn Saleh. Herr Stöß hat es in der Partei schwer. Ich vermute, er wird auf eine Urwahl der Mitglieder setzen, so wie die SPD ja kürzlich auch ein Mitgliedervotum über den Koalitionsvertrag im Bund gemacht hat. Das könnte dann die Stärke von Stöß sein, weil er an der Basis doch ziemlich präsent ist.
    Müller: Reden wir noch einmal über Klaus Wowereit. Ich habe eben etwas despektierlich Sie gleich zu Beginn gefragt: Hat der Party-Löwe – nein: Party-Bürgermeister, habe ich gesagt – ausgedient, ist er müde geworden. Wenn wir uns jetzt ganz sachlich noch mal um Klaus Wowereit bemühen und lassen Berlin vielleicht, den Flughafen mal außen vor. Können diese vielen, vielen Jahre an der Spitze dieser Berliner Politik auch ein Produkt des reinen Verschleißes sein, zu sagen, das ist anstrengend genug, es reicht jetzt, ich kann nicht mehr?
    Sturm: Ja, vielleicht, und ich meine, er ist ja der dienstälteste deutsche Ministerpräsident. Er hat jetzt gut 13 Jahre hier an der Spitze der Stadt gestanden. Nur Eberhard Diepgen hat das länger geschafft. Er war, glaube ich, 15 Jahre im Amt. Wowereit hat länger Berlin geführt, als einst Willy Brandt Westberlin geführt hat. Und das waren natürlich schon auch sehr aufreibende Jahre. Und bei allem Spott und bei aller Häme, die Wowereit jetzt, wie ich finde, zu Recht begegnet, muss man auch sagen: Er hat gewisse Leistungen gezeigt. Er hat zum Beispiel eine doch ziemlich extreme Haushaltskonsolidierung betrieben. Da lautete das Stichwort damals "Sparen bis es quietscht". Und er hat ja einen Finanzsenator Thilo Sarrazin hier gehabt, übrigens zusammen mit der Linkspartei im Boot in einer Regierung, der doch sehr stark den öffentlichen Dienst abgebaut hat, den öffentlichen Dienst, den damals die CDU hier in Berlin ziemlich aufgebaut hatte.
    Müller: Das heißt, er war durchaus mutig?
    Sturm: Ja! Er war mutig und er war anfangs ja doch auch eine sehr, sehr große Hoffnung. Er war ja irgendwie auch so eine Kultfigur. Das hing viel zusammen mit diesem berühmten Satz, "ich bin schwul und das ist auch gut so". Er verkörperte auch so ein bisschen eine Modernität, eine Urbanität. Er war vielleicht nicht so bieder wie Eberhard Diepgen, der vorherige Bürgermeister. Und er weckte, glaube ich, gewisse Hoffnungen. Frank Capellan hatte vorhin in seinem Beitrag angesprochen, dass er immer verortet wurde als ein Linker innerhalb der SPD. Das habe ich immer für falsch gehalten, weil er das zwar für sich in Anspruch genommen hat. Das hat ihm auch politisch geholfen. Aber eigentlich war er gar nicht links. Diese Haushaltspolitik, die er zum Beispiel betrieben hat, war jetzt nun nicht das, was man links nennt. Und das, was Linke oft haben, nämlich einen politischen und programmatischen oder vielleicht sogar einen ideologischen Überbau, ein Bild von einer Stadt, ein Gesellschaftsbild, das habe ich bei Wowereit eigentlich nie wahrgenommen.
    Müller: Vielen Dank nach Berlin an den Korrespondenten der "Welt"-Zeitungsgruppe, Daniel Friedrich Sturm. Ihnen noch einen schönen Tag.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.