Sonntag, 19. Mai 2024

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WTA-Rückkehr nach China
"Im Weltsport kommt tatsächlich Geld vor Menschenrechte"

Eigentlich hatte die WTA die Turniere in China aussetzen wollen, bis der Fall der chinesischen Tennis-Spielerin Peng Shuai geklärt ist. Jetzt kehrt die WTA doch nach China zurück. Kein gutes Signal, findet Wenzel Michalski von Human Rights Watch.

Wenzel Michalski im Gespräch mit Maximilian Rieger | 16.04.2023
Wenzel Michalski, Direktor von Human Rights Watch Deutschland
Wenzel Michalski, Direktor von Human Rights Watch Deutschland, fordert ein Umdenken im Weltsport. (imago/jürgen heinrich)
Wo ist Peng Shuai? Diese Frage stellt Ende 2021 nicht nur die Tenniswelt.
Die chinesiche Tennisspielerin hatte im sozialen Netzwerk Weibo einem hochrangigen Funktionär der kommunistischen Partei vorgeworfen, sie zu Sex gezwungen zu haben. Kurz darauf verschwindet der Post aus dem Internet, genauso wie Peng Shuai aus der Öffentlichkeit.
Eine Klärung ihrer Vorwürfe gab es bisher nicht. Bis heute ist unklar, wie frei sie leben kann. Aus Protest am Umgang mit der chinesischen Tennisspielerin hatte die WTA im Dezember 2021 angekündigt, keine Turniere mehr in China auszutragen. Jetzt kehrt die WTA doch nach China zurück.
„Das ist sehr enttäuschend, dass die WTA da einknickt. Es zeigt auch, dass die WTA dabei, finde ich, alleine auf weiter Flur war. Wenn es hier um Fairness und Gleichberechtigung und Solidarität gegangen wäre, hätten sich andere Weltverbände auch der WTA angeschlossen“, beurteilt Wenzel Michalski, Deutschland-Direktor bei Human Rights Watch, das Vorgehen der WTA.

Geld vor Menschenrechte

Eigentlich hatten Menschenrechtsorganisationen die WTA für ihren Mut, China als Austragungsstätte zu boykottieren und unter Druck zu setzen, gelobt und großen Respekt vor dem Verband gehabt, gerade auch wegen der finanziellen Konsequenzen. Doch:
„Wir sehen ja im organisierten Weltsport immer wieder, dass da tatsächlich Geld vor Menschenrechte kommt.“
Das würden auch die großen Sportereignisse der letzten Jahre zeigen: Olympische Spiele in Peking, die Fußball-WM in Katar, bald die Klub-Meisterschaften in Saudi-Arabien, zählt Michalski auf.
Eigentlich unterstehen große Sportorganisationen wie das IOC und die FIFA auch den UN-Richtlinien für Wirtschaft und Menschenrechte - heißt: In ihrem Geschäftsumfeld dürfen keine Menschenrechtsverletzungen stattfinden. Eigentlich.
„Wir sehen immer wieder, wie die Größen des Weltsports, wie zum Beispiel IOC-Boss Bach oder FIFA-Boss Infantino, sich ankuscheln an die Herrscher, an Diktatoren, an autoritäre Führer von Staaten. Das ist ganz widerlich", so Michalski.

Druck auf Sportorganisationen steigt

Dennoch sei es positiv zu bewerten, dass der Druck auf die Sportorganisationen durch die Medien, die Öffentlichkeit und auch durch die Politik steige. Gerade aus Deutschland käme viel Kritik an FIFA und IOC, Konsequenzen werden bisher aber noch nicht gezogen:
„Man ist noch nicht so weit, zu sagen: Okay, da machen wir bei euch nicht mit. Das wäre ein Riesenschritt, dass wäre letztendlich die logische Konsequenz“, erklärt Michalski.
Protest sei zumindest schon der erste Schritt: „Aber wenn man betrachtet, wie sehr der Sport benutzt wird als Propagandamittel für Staaten, die ihre eigene Bevölkerung mit Füßen treten und auch sonst für Unheil in der Welt sorgen. Wir sehen das jetzt in Russland: Ein anderes Land angreifen, dort Zivilbevölkerung mit Kriegsverbrechen übersähen. Oder aber auch das Säbelrasseln von China Taiwan gegenüber. Da bleibt eigentlich gar nichts anderes übrig, als zu sagen: 'So hier Schluss, jetzt nicht mehr weiter.'“

Sport muss Gigantismus hinterfragen

Sportevents in autokratischen Ländern zu boykottieren, würde in der Konsequenz aber auch bedeuten, dass die Sportorganisationen auf Geld verzichten müssten.
„Dann muss der Sport gucken, wo er neue Einkommensquellen herholt, wenn er denn tatsächlich so viel Geld überhaupt nötig hat. Das ist ja auch immer die Frage. Wir haben ja jetzt die Tatsache, dass die letzten großen Sportveranstaltungen alle in Autokratien stattgefunden haben, wo eben sehr viel Geld reingebuttert wird, weil man dort den propagandistischen Mehrwert sieht.“
In demokratischen Staaten gebe es eher Kritik am Gigantismus der Sportevents, so Michalski: „Also die Frage ist: Will der Sport sich weiter leisten, so gigantisch aufzutreten, wie er es gerade tut?“