Stefan Heinlein: Die Wirtschaft boomt wie seit Jahren nicht mehr. Trotz der drohenden Mehrwertsteuererhöhung hinterlässt der Aufschwung Blüten. Die Zeit der großen Wünsche hat begonnen, nicht nur zur Vorweihnachtszeit. Nach vielen Jahren der Enthaltsamkeit fordern die Gewerkschaften nun deutlich mehr für die Lohntüte. Fünf bis sieben Prozent sind für manche Branchen in der Diskussion. Vorsichtig zurückhaltend das Echo der Kanzlerin, deutlicher dagegen die Töne von Seiten der Sozialdemokraten. Die Genossen sind ebenfalls für ein Ende der Bescheidenheit.
Andrea Ypsilanti ist die SPD-Landesvorsitzende in Hessen und frisch gekürte Spitzenkandidatin ihrer Partei für die Landtagswahl Anfang 2008. Guten Morgen, Frau Ypsilanti!
Andrea Ypsilanti: Schönen guten Morgen!
Heinlein: Wann wir schreiten Seit an Seit? Warum singen SPD und Gewerkschaften jetzt wieder gemeinsam das alte Lied von den kräftigen Lohnerhöhungen?
Ypsilanti: Na ja, die SPD und die Gewerkschaften hatten ein historisches Bündnis. Und ich habe immer dafür plädiert, dieses historische Bündnis nie auf die Probe zu stellen. Wir haben das in Hessen auch immer so gehalten und haben uns in vielen Politikbereichen, nicht nur was die Frage des Lohnes ist, miteinander abgestimmt und ich finde es ist jetzt mal Zeit, dass nach der jahrelangen Lohnzurückhaltung die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen kräftigen Schuss nehmen. Ich sage Ihnen auch ganz ehrlich: Ich weiß, dass Politik eigentlich sich dort in erster Linie nicht einzumischen hat, aber es geht hier auch um mehr. Wir wissen, dass wir große Probleme in der Binnenkonjunktur immer noch haben. Gerade im nächsten Jahr, wenn die Mehrwertsteuer kommt, muss man ja die Luft anhalten, dass das nicht wieder auf die Konjunktur schlägt, und dann ist es gut, die Binnenkonjunktur anzukurbeln. Und das kann man nur, wenn man Geld in der Tasche hat.
Heinlein: Wenn ich, Frau Ypsilanti, den ersten Teil Ihrer Antwort richtig verstanden habe, geht es auch darum, mit dieser populären Forderung das Verhältnis zu den Gewerkschaften zu kitten, zu verbessern, denn unter Gerhard Schröder war das Klima ja deutlich abgekühlt?
Ypsilanti: Das ist richtig. Das war nicht das beste Verhältnis. Das kam immer darauf an, wo man hingeguckt hat. Wie ich schon sagte, in Hessen haben wir das immer sehr gut miteinander hinbekommen, aber die Gewerkschaften waren auf unsere Partei nicht so gut zu sprechen. Ich habe immer dafür plädiert, uns in der Tat auf die Seite derjenigen zu stellen, die lohnabhängig sind, und das ist die Mehrheit der Bevölkerung. Die brauchen vor allem unsere Unterstützung. Da ist das Bekenntnis, dass man glaubt, dass jetzt die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein bisschen mehr Geld in der Tasche brauchen, eine gute Antwort.
Heinlein: Und dieses enge Verhältnis zu den Gewerkschaften, das Sie nach eigenen Worten in Hessen immer gepflegt haben, dieser Wunsch ist jetzt auch bei der SPD-Spitze gereift?
Ypsilanti: Ja, wie ich schon sagte: Man muss erkennen, dass wir ein historisches Verhältnis miteinander haben, die SPD und die Gewerkschaften. Wir müssen uns ja auch mal fragen, warum haben sich denn so viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch bei den Wahlen von unserer Partei abgewandt. Da müssen wir uns Gedanken drüber machen. Da gibt es jetzt neue Verbindungen zu den Gewerkschaften, bessere Gespräche, und das ist gut so.
Heinlein: Lohnabschlüsse, Sie haben es selber gesagt, sind die Sache der Tarifparteien. Ist es denn richtig, dass sich jetzt Kurt Beck und Franz Müntefering zum jetzigen Zeitpunkt schon so deutlich in diese Lohndebatte eingemischt haben?
Ypsilanti: Na ja, sie haben sich nicht in die Lohndebatte eingemischt. Sie haben gesagt, dass sie Verständnis für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben, und das finde ich als politisches Signal durchaus richtig.
Heinlein: Aber ist das nicht, Frau Ypsilanti, eine Debatte zur Unzeit? Die meisten Tarifverträge enden ja erst im Frühjahr kommenden Jahres. Dann stehen die Verhandlungen an.
Ypsilanti: Die Politik kann eine Aussage dahin machen, wo sie glaubt, dass der Weg hingehen könnte und hingehen sollte, und stärkt den Gewerkschaftern und den Arbeitnehmern den Rücken. Das ist gut, weil: Sie brauchen auch Rückenstärkung, weil: Schauen Sie, wir haben eine hervorragend große Unternehmenssteuerreform. Die war nicht in allen Teilen unstrittig, auch nicht in meiner eigenen Partei. Da wurden die Unternehmen wirklich um Milliarden entlastet. Die Unternehmen haben immer gesagt, die Gewinne von heute sind die Investitionen von morgen und die Arbeitsplätze von übermorgen. Das hat sehr lange auf sich warten lassen und hat jetzt endlich einen Effekt, den ich aber noch als ziemlich leicht einstufe. Es ist jetzt mal Zeit, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch etwas davon haben.
Heinlein: Wie groß soll denn der Schluck aus der Pulle sein? Sie haben es erwähnt. Halten Sie persönlich diese Forderungen von fünf bis sieben Prozent für angemessen?
Ypsilanti: Das geht mir jetzt zu weit. Da möchte ich der Tat wirklich keine Prozentzahl ins Schaufenster hängen.
Heinlein: Welche Forderungen - dennoch die Frage - liegen denn außerhalb der Realität? Die acht Prozent der bayerischen IG Metall?
Ypsilanti: Wie gesagt das ist eine Sache der Tarifparteien. Ich finde, es sollte ein guter Zuschlag sein, aber das würde jetzt zu weit gehen, wenn ich jetzt auch noch eine Prozentzahl nenne.
Heinlein: Die andere Seite der Tarifparteien, nicht die Gewerkschaften, sondern die Arbeitgeber, warnen jetzt ja davor. Wenn man zu viel fordert, dann sind Arbeitsplätze in Gefahr, ist die Konjunktur in Gefahr. Sehen Sie auch diese Möglichkeit, diese Gefahr?
Ypsilanti: Ich glaube die Konjunktur ist in Gefahr, wenn die Binnenkonjunktur nicht angekurbelt wird. Das müssten sich die Arbeitgeber auch mal auf die Fahne schreiben. An wen wollen sie denn die Produkte, die produziert werden, verkaufen, wenn es nicht die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind, die aber das Geld in der Tasche brauchen, um die Produkte auch wirklich zu kaufen?
Heinlein: Ein Thema, das derzeit unter anderem auf dem Markt ist, unter anderen, Thema Investivlohn. Seit über 30 Jahren wird darüber diskutiert. Warum wird denn dieser alte Ladenhüter jetzt wieder hervorgekramt?
Ypsilanti: Ich muss Ihnen wirklich sagen, zu dem Thema Investivlohn habe ich noch keine wirklich abgeschlossene Meinung. Es geht darum, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stärker an den Unternehmen zu beteiligen. Mein Problem dabei ist: Es muss wirklich das, was Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dann in die Firma investieren, irgendwo geschützt sein, und es darf auch kein Lohnersatz sein. Sonst ist bei einem Konkurs einer Firma dann beides weg: das Kapital und auch der Job. Ich bin da ein bisschen zurückhaltend, wie gesagt. Darüber kann man nachdenken. Man muss dann überlegen, wie das steuerlich bewertet wird. Man muss auch darüber nachdenken, wie dann das Kapital der Arbeitnehmer auch geschützt wird, wie das sozusagen versichert werden kann, aber ich würde es schlecht finden, wenn das ein Lohnersatz sein sollte. Das kann nur ein Zusatz sein zum Beispiel für die Altersvorsorge.
Heinlein: Was hat denn für Sie Vorrang, für die SPD, die Erhöhung der Tariflöhne, über die wir gerade gesprochen haben, oder die Einführung von Investivlöhnen?
Ypsilanti: Ich würde auf jeden Fall erst mal für die Erhöhung der Tariflöhne plädieren. Wenn man das mit den Investivlöhnen überlegt, muss man aber auch gleichzeitig sagen, wie man die Mitbestimmung in den Firmen festlegt, denn da sollten doch diejenigen, die in den Firmen sich mit Kapital beteiligen, auch ein Wörtchen mitzureden haben.
Heinlein: Frau Ypsilanti, parallel zu dieser Lohndebatte diskutiert Ihre Partei gegenwärtig ja auch ein neues Grundsatzprogramm. Ihrem Parteichef Kurt Beck macht diese Diskussion nach eigenen Worten "so richtig Freude". Ihnen auch?
Ypsilanti: Ja. Das war auch nötig, weil unser Grundsatzprogramm, das wir hatten, war kein schlechtes, aber über manche Teile ist die Zeit hinweggegangen. Ich finde, gerade wenn man in einer Großen Koalition ist, wo doch die Konturen der Partei, wenn man im Tagesgeschäft ist, auch mal verwischt werden, muss eine Partei ihre politischen Grundsätze stark machen. Das ist eine gute Gelegenheit, das jetzt zu tun mit dem Grundsatzprogramm.
Heinlein: Was sind denn die politischen Grundsätze der SPD, die sich nicht überholt haben, Stichwort demokratischer Sozialismus?
Ypsilanti: Ich denke, was ein ganz wichtiger Punkt in der Programmdebatte sein wird, ist die Frage der Verteilung von Arbeit, aber auch die Frage, die ja jetzt überall diskutiert wird, des vorsorgenden Sozialstaates. Wir müssen als Partei aufpassen, dass wir nicht in Verruf geraten, am Abbau vom Sozialstaat beteiligt sein zu wollen. Deshalb muss unsere Diskussion in der Partei sein: Wir bekennen uns zu dem Sozialstaat. Wir bekennen uns auch zu einem vorsorgenden Sozialstaat. Aber der Umbau muss dazu dienen, ihn zu erhalten und ihn nicht abzuschaffen.
Heinlein: Sind denn in diesem und anderen Punkten tatsächlich in Ihrer Partei alle einer Meinung? Laut Kurt Beck gibt es ja keine Flügelstreitigkeiten mehr. Ist das nicht langweilig, kein links und rechts mehr in der SPD?
Ypsilanti: Nein, das ist überhaupt nicht langweilig. Vielleicht tragen wir die Diskussionen. Wissen Sie, es wird immer so als Streit hingestellt, wenn wir diskutieren. Ich finde, es gibt nichts Besseres für eine Partei, als in eine produktive Auseinandersetzung einzutreten und um die besten Konzepte auch innerhalb einer Partei zu ringen. Das tun wir. Vielleicht tragen wir es nicht mehr so sehr nach außen, weil Kurt Beck da in der Tat eine sehr versöhnliche Rolle spielt, eine sehr moderierende Rolle, wo es keinen Zweifel an seiner Führungsstärke gibt. Das machen wir jetzt intern in den Diskussionen um das Grundsatzprogramm, und da ist diese Diskussion gut aufgehoben. Natürlich sind wir da nicht an jeder Stelle einer Meinung.
Heinlein: Und intern werben Sie und andere dann aber auch für ein linkes Profil Ihrer Partei?
Ypsilanti: Ja, wie ich schon sagte. Ich finde, dass die Sozialstaatsdiskussion für meine Partei essenziell ist. Ich gehöre auch zu denen, die sagen, der vorsorgende Sozialstaat darf nicht den fürsorgenden Sozialstaat aufheben. Wir werden immer auch den fürsorgenden Sozialstaat brauchen für Menschen, die sich nicht allein und selbst in jeder Lebenslage um sich kümmern können. Das kann Vorsorge und Prävention nicht in jedem Fall aufheben.
Heinlein: Die hessische SPD-Landesvorsitzende Andrea Ypsilanti heute Morgen im Deutschlandfunk. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.
Ypsilanti: Vielen Dank.
Andrea Ypsilanti ist die SPD-Landesvorsitzende in Hessen und frisch gekürte Spitzenkandidatin ihrer Partei für die Landtagswahl Anfang 2008. Guten Morgen, Frau Ypsilanti!
Andrea Ypsilanti: Schönen guten Morgen!
Heinlein: Wann wir schreiten Seit an Seit? Warum singen SPD und Gewerkschaften jetzt wieder gemeinsam das alte Lied von den kräftigen Lohnerhöhungen?
Ypsilanti: Na ja, die SPD und die Gewerkschaften hatten ein historisches Bündnis. Und ich habe immer dafür plädiert, dieses historische Bündnis nie auf die Probe zu stellen. Wir haben das in Hessen auch immer so gehalten und haben uns in vielen Politikbereichen, nicht nur was die Frage des Lohnes ist, miteinander abgestimmt und ich finde es ist jetzt mal Zeit, dass nach der jahrelangen Lohnzurückhaltung die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen kräftigen Schuss nehmen. Ich sage Ihnen auch ganz ehrlich: Ich weiß, dass Politik eigentlich sich dort in erster Linie nicht einzumischen hat, aber es geht hier auch um mehr. Wir wissen, dass wir große Probleme in der Binnenkonjunktur immer noch haben. Gerade im nächsten Jahr, wenn die Mehrwertsteuer kommt, muss man ja die Luft anhalten, dass das nicht wieder auf die Konjunktur schlägt, und dann ist es gut, die Binnenkonjunktur anzukurbeln. Und das kann man nur, wenn man Geld in der Tasche hat.
Heinlein: Wenn ich, Frau Ypsilanti, den ersten Teil Ihrer Antwort richtig verstanden habe, geht es auch darum, mit dieser populären Forderung das Verhältnis zu den Gewerkschaften zu kitten, zu verbessern, denn unter Gerhard Schröder war das Klima ja deutlich abgekühlt?
Ypsilanti: Das ist richtig. Das war nicht das beste Verhältnis. Das kam immer darauf an, wo man hingeguckt hat. Wie ich schon sagte, in Hessen haben wir das immer sehr gut miteinander hinbekommen, aber die Gewerkschaften waren auf unsere Partei nicht so gut zu sprechen. Ich habe immer dafür plädiert, uns in der Tat auf die Seite derjenigen zu stellen, die lohnabhängig sind, und das ist die Mehrheit der Bevölkerung. Die brauchen vor allem unsere Unterstützung. Da ist das Bekenntnis, dass man glaubt, dass jetzt die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein bisschen mehr Geld in der Tasche brauchen, eine gute Antwort.
Heinlein: Und dieses enge Verhältnis zu den Gewerkschaften, das Sie nach eigenen Worten in Hessen immer gepflegt haben, dieser Wunsch ist jetzt auch bei der SPD-Spitze gereift?
Ypsilanti: Ja, wie ich schon sagte: Man muss erkennen, dass wir ein historisches Verhältnis miteinander haben, die SPD und die Gewerkschaften. Wir müssen uns ja auch mal fragen, warum haben sich denn so viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch bei den Wahlen von unserer Partei abgewandt. Da müssen wir uns Gedanken drüber machen. Da gibt es jetzt neue Verbindungen zu den Gewerkschaften, bessere Gespräche, und das ist gut so.
Heinlein: Lohnabschlüsse, Sie haben es selber gesagt, sind die Sache der Tarifparteien. Ist es denn richtig, dass sich jetzt Kurt Beck und Franz Müntefering zum jetzigen Zeitpunkt schon so deutlich in diese Lohndebatte eingemischt haben?
Ypsilanti: Na ja, sie haben sich nicht in die Lohndebatte eingemischt. Sie haben gesagt, dass sie Verständnis für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben, und das finde ich als politisches Signal durchaus richtig.
Heinlein: Aber ist das nicht, Frau Ypsilanti, eine Debatte zur Unzeit? Die meisten Tarifverträge enden ja erst im Frühjahr kommenden Jahres. Dann stehen die Verhandlungen an.
Ypsilanti: Die Politik kann eine Aussage dahin machen, wo sie glaubt, dass der Weg hingehen könnte und hingehen sollte, und stärkt den Gewerkschaftern und den Arbeitnehmern den Rücken. Das ist gut, weil: Sie brauchen auch Rückenstärkung, weil: Schauen Sie, wir haben eine hervorragend große Unternehmenssteuerreform. Die war nicht in allen Teilen unstrittig, auch nicht in meiner eigenen Partei. Da wurden die Unternehmen wirklich um Milliarden entlastet. Die Unternehmen haben immer gesagt, die Gewinne von heute sind die Investitionen von morgen und die Arbeitsplätze von übermorgen. Das hat sehr lange auf sich warten lassen und hat jetzt endlich einen Effekt, den ich aber noch als ziemlich leicht einstufe. Es ist jetzt mal Zeit, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch etwas davon haben.
Heinlein: Wie groß soll denn der Schluck aus der Pulle sein? Sie haben es erwähnt. Halten Sie persönlich diese Forderungen von fünf bis sieben Prozent für angemessen?
Ypsilanti: Das geht mir jetzt zu weit. Da möchte ich der Tat wirklich keine Prozentzahl ins Schaufenster hängen.
Heinlein: Welche Forderungen - dennoch die Frage - liegen denn außerhalb der Realität? Die acht Prozent der bayerischen IG Metall?
Ypsilanti: Wie gesagt das ist eine Sache der Tarifparteien. Ich finde, es sollte ein guter Zuschlag sein, aber das würde jetzt zu weit gehen, wenn ich jetzt auch noch eine Prozentzahl nenne.
Heinlein: Die andere Seite der Tarifparteien, nicht die Gewerkschaften, sondern die Arbeitgeber, warnen jetzt ja davor. Wenn man zu viel fordert, dann sind Arbeitsplätze in Gefahr, ist die Konjunktur in Gefahr. Sehen Sie auch diese Möglichkeit, diese Gefahr?
Ypsilanti: Ich glaube die Konjunktur ist in Gefahr, wenn die Binnenkonjunktur nicht angekurbelt wird. Das müssten sich die Arbeitgeber auch mal auf die Fahne schreiben. An wen wollen sie denn die Produkte, die produziert werden, verkaufen, wenn es nicht die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind, die aber das Geld in der Tasche brauchen, um die Produkte auch wirklich zu kaufen?
Heinlein: Ein Thema, das derzeit unter anderem auf dem Markt ist, unter anderen, Thema Investivlohn. Seit über 30 Jahren wird darüber diskutiert. Warum wird denn dieser alte Ladenhüter jetzt wieder hervorgekramt?
Ypsilanti: Ich muss Ihnen wirklich sagen, zu dem Thema Investivlohn habe ich noch keine wirklich abgeschlossene Meinung. Es geht darum, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stärker an den Unternehmen zu beteiligen. Mein Problem dabei ist: Es muss wirklich das, was Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dann in die Firma investieren, irgendwo geschützt sein, und es darf auch kein Lohnersatz sein. Sonst ist bei einem Konkurs einer Firma dann beides weg: das Kapital und auch der Job. Ich bin da ein bisschen zurückhaltend, wie gesagt. Darüber kann man nachdenken. Man muss dann überlegen, wie das steuerlich bewertet wird. Man muss auch darüber nachdenken, wie dann das Kapital der Arbeitnehmer auch geschützt wird, wie das sozusagen versichert werden kann, aber ich würde es schlecht finden, wenn das ein Lohnersatz sein sollte. Das kann nur ein Zusatz sein zum Beispiel für die Altersvorsorge.
Heinlein: Was hat denn für Sie Vorrang, für die SPD, die Erhöhung der Tariflöhne, über die wir gerade gesprochen haben, oder die Einführung von Investivlöhnen?
Ypsilanti: Ich würde auf jeden Fall erst mal für die Erhöhung der Tariflöhne plädieren. Wenn man das mit den Investivlöhnen überlegt, muss man aber auch gleichzeitig sagen, wie man die Mitbestimmung in den Firmen festlegt, denn da sollten doch diejenigen, die in den Firmen sich mit Kapital beteiligen, auch ein Wörtchen mitzureden haben.
Heinlein: Frau Ypsilanti, parallel zu dieser Lohndebatte diskutiert Ihre Partei gegenwärtig ja auch ein neues Grundsatzprogramm. Ihrem Parteichef Kurt Beck macht diese Diskussion nach eigenen Worten "so richtig Freude". Ihnen auch?
Ypsilanti: Ja. Das war auch nötig, weil unser Grundsatzprogramm, das wir hatten, war kein schlechtes, aber über manche Teile ist die Zeit hinweggegangen. Ich finde, gerade wenn man in einer Großen Koalition ist, wo doch die Konturen der Partei, wenn man im Tagesgeschäft ist, auch mal verwischt werden, muss eine Partei ihre politischen Grundsätze stark machen. Das ist eine gute Gelegenheit, das jetzt zu tun mit dem Grundsatzprogramm.
Heinlein: Was sind denn die politischen Grundsätze der SPD, die sich nicht überholt haben, Stichwort demokratischer Sozialismus?
Ypsilanti: Ich denke, was ein ganz wichtiger Punkt in der Programmdebatte sein wird, ist die Frage der Verteilung von Arbeit, aber auch die Frage, die ja jetzt überall diskutiert wird, des vorsorgenden Sozialstaates. Wir müssen als Partei aufpassen, dass wir nicht in Verruf geraten, am Abbau vom Sozialstaat beteiligt sein zu wollen. Deshalb muss unsere Diskussion in der Partei sein: Wir bekennen uns zu dem Sozialstaat. Wir bekennen uns auch zu einem vorsorgenden Sozialstaat. Aber der Umbau muss dazu dienen, ihn zu erhalten und ihn nicht abzuschaffen.
Heinlein: Sind denn in diesem und anderen Punkten tatsächlich in Ihrer Partei alle einer Meinung? Laut Kurt Beck gibt es ja keine Flügelstreitigkeiten mehr. Ist das nicht langweilig, kein links und rechts mehr in der SPD?
Ypsilanti: Nein, das ist überhaupt nicht langweilig. Vielleicht tragen wir die Diskussionen. Wissen Sie, es wird immer so als Streit hingestellt, wenn wir diskutieren. Ich finde, es gibt nichts Besseres für eine Partei, als in eine produktive Auseinandersetzung einzutreten und um die besten Konzepte auch innerhalb einer Partei zu ringen. Das tun wir. Vielleicht tragen wir es nicht mehr so sehr nach außen, weil Kurt Beck da in der Tat eine sehr versöhnliche Rolle spielt, eine sehr moderierende Rolle, wo es keinen Zweifel an seiner Führungsstärke gibt. Das machen wir jetzt intern in den Diskussionen um das Grundsatzprogramm, und da ist diese Diskussion gut aufgehoben. Natürlich sind wir da nicht an jeder Stelle einer Meinung.
Heinlein: Und intern werben Sie und andere dann aber auch für ein linkes Profil Ihrer Partei?
Ypsilanti: Ja, wie ich schon sagte. Ich finde, dass die Sozialstaatsdiskussion für meine Partei essenziell ist. Ich gehöre auch zu denen, die sagen, der vorsorgende Sozialstaat darf nicht den fürsorgenden Sozialstaat aufheben. Wir werden immer auch den fürsorgenden Sozialstaat brauchen für Menschen, die sich nicht allein und selbst in jeder Lebenslage um sich kümmern können. Das kann Vorsorge und Prävention nicht in jedem Fall aufheben.
Heinlein: Die hessische SPD-Landesvorsitzende Andrea Ypsilanti heute Morgen im Deutschlandfunk. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.
Ypsilanti: Vielen Dank.