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Zählung der Unsichtbaren

Meeresforschung. – Der groß angelegte Zensus des Meereslebens umfasst jetzt auch die Mikroorganismen. Im Teilprojekt soll eine Bestandsaufnahme des einzelligen Lebens in den Weltmeeren gemacht werden. Bis zum Jahr 2010 soll das Projekt abgeschlossen sein.

Von Michael Lange |
    Für die Meeresmikrobiologen beginnt ein neues Zeitalter der Entdeckung. In den nächsten fünf Jahren wollen sie sich einen Überblick verschaffen über das Leben unter Wasser. Dabei interessieren sie sich für alles, was klein ist. Klaus Amann, Molekularökologe am Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie in Bremen, ist mit dabei.

    "”Die große Mehrheit der Organismen im Meer ist unsichtbar. Das sind die kleinen Mikroorganismen. Sie finden in einem Liter Meerwasser eine Milliarde Bakterien.""

    Sechs Liter Meerwasser, nicht einmal ein Eimer voll, beinhaltet genau so viele einzelne Organismen, wie Menschen auf der Erde leben. Die kleinen Zellen einzeln unter dem Mikroskop zu zählen, würde, bei einem Mikroorganismus pro Sekunde und acht Arbeitsstunden am Tag, 570 Jahre dauern. Aber darum geht es nicht beim Zensus, der Volkszählung aller Meeres-Mikroorganismen. Die existierenden Schätzungen über die Zahl der Organismen reichen den Wissenschaftlern völlig aus. Sie wollen wissen, welche Bakterien und andere Kleinstorganismen, wo und wann vorkommen, und was sie für das Ökosystem leisten. Amann:

    "”Wir müssen in der mikrobiologischen Welt so weit kommen, dass wir unser Wissen prognostisch einsetzen können. Wir wollen verstehen, dass auf diesem Breitengrad der Erde, zu dieser Jahreszeit diese Hauptpopulationen vorhanden sind, die folgende für uns wichtige Umsetzungen machen.""

    Die Bakterien Art für Art im Labor zu vermehren, um sie dann zu bestimmen und ihre Stoffwechselleistungen zu untersuchen, das ist die klassische Methode der Mikrobiologen. Sie wäre viel zu aufwändig. Die Vermehrung im Labor ist bislang ohnehin nur bei wenigen Arten gelungen. Deshalb setzen die Meeresökologen verstärkt auf molekularbiologische Methoden. Das bedeutet: Genforschung und Bioinformatik. Amann:

    "”Die Diversität ist zwar sehr groß; aber die wirklich wichtigen Organismen wird man vermutlich in den nächsten fünf bis zehn Jahren mit den molekularbiologischen Methoden gefunden haben. Man wird auch die Genome kennen und damit eine wesentlich bessere Grundlage haben für ein Verständnis der Ökologischen Zusammenhänge.""

    Alles beginnt mit einer Wasserprobe. Schon auf hoher See filtern die Forscher die Organismen aus dem Meerwasser und isolieren daraus das Erbmaterial: die DNA. Denn die Forscher interessieren sich zunächst nur für das Erbgut der Mikroorganismen: das Genom. Es macht ihnen nichts aus, dass sie zunächst gar nicht wissen, welche Erbmoleküle von welcher Art stammen. Die Zuordnung der Genomdaten zu einzelnen Arten erfolgt dann später mit Hilfe des Computers. Das ist eine Aufgabe des Bioinformatikers Frank-Oliver Glöckner:

    "”Wir nehmen die Erbsubstanz der Organismen und bestimmen die Abfolge der Basen. Und diese Bausteine sind spezifisch für jeden Organismus. Und diesen Fingerabdruck können wir erstellen aus den Organismen und dann in Datenbanken abspeichern.""

    200.000 dieser genetischen Fingerabdrücke stecken bereits in den Datenbanken verschiedener meeresbiologischer Institute. Mit ihnen lassen sich die verschiedenen Bakterienarten voneinander abgrenzen. Außerdem verraten die Informationen aus dem Erbgut eine Menge darüber, welche Stoffe die Bakterien verwerten und welche Rolle sie im Ökosystem spielen. Am Ende des Projektes soll eine digitale Weltkarte stehen. Wer auf einen bestimmten Punkt auf der Karte klickt, erfährt welche Lebensbedingungen dort herrschen, welche Mikroorganismen dort vorkommen, und wie Umwelt und Lebewesen einander beeinflussen.