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Zehn Jahre Deutsche Islamkonferenz
An der Realität vorbei

Vor zehn Jahren rief der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble die Deutsche Islamkonferenz ins Leben. Heute sind dort vor allem konservative Islamverbände vertreten - obwohl sie gerade einmal 25 Prozent der Muslime in Deutschland repräsentieren. Islamkritiker und liberale muslimische Stimmen fehlen.

Von Kemal Hür | 27.09.2016
    Ein Gruppenfoto deutscher Politiker und Vertretern der Islamkonferenz.
    Ein Gruppenfoto der Deutschen Islamkonferenz im vergangenen Jahr (imago sto/ Christian Thiel)
    "Mir sagt der Name schon etwas. Aber bisher habe ich von denen nicht so viel gehört."
    Auf einem Kinderspielplatz in Berlin-Kreuzberg sitzt diese türkisch-muslimische Mutter auf einer Bank, während ihr Mann das gemeinsame Kind schaukelt. "Deutsche Islamkonferenz" – diesen Namen habe sie schon mal gehört, ja. Mehr wisse sie aber nicht darüber. Als Muslima ist sie klar zu erkennen: Sie trägt ein Kopftuch und knöchellange Kleidung. Das sei so vorgeschrieben, sagt sie. Sie sei aber in keinem islamischen Verein organisiert. Zum Beten gehe sie in verschiedene Moscheen. Ihr Sohn besuche regelmäßig einen Korankurs in einer Moschee, die dem größten Verband DITIB angehöre.
    Die Frau möchte ihren Namen im Radio nicht nennen; auch nicht ihr Mann, der das Kind im Sandkasten allein spielen lässt und sich zu seiner Frau auf die Bank setzt. Es sei gut, dass die Bundesregierung mit Vertretern der Muslime spreche, aber die Verbände würden nur eine kleine Minderheit vertreten, sagt der gläubige Gartenlandschaftsbauer.
    "Ich fühle mich nicht vertreten. Ob es jetzt DITIB ist, Milli Görüs oder sonst was. Ich fühle mich vernachlässigt. Aber sie müssen uns auch vertreten, ob wir jetzt in den Verbänden drin sind oder nicht."
    Verbände vertreten nur Bruchteil der deutschen Muslime
    Der 34-jährige Kreuzberger spricht damit ein Hauptproblem der muslimischen Verbände und der Deutschen Islamkonferenz an. Die Verbände vertreten gemeinsam nur einen Bruchteil der in Deutschland lebenden Muslime. Die große Mehrheit ist nicht organisiert. Der Staat braucht aber Ansprechpartner, um die Belange der Muslime wie etwa islamischen Religionsunterricht, Ausbildung von Imamen, Bestattungen, Seelsorge in Gefängnissen und vieles mehr zu regeln.
    Als die Konferenz vor 10 Jahren vom damaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble ins Leben gerufen wurde, nahmen neben den Muslimverbänden auch Einzelpersonen und Islamkritiker teil. Sie sind nun nicht mehr dabei. Auch die liberalen Muslime fühlen sich nicht vertreten. Die Publizistin Sineb El Masrar gehörte der Konferenz bis 2013 drei Jahre lang als Einzelteilnehmerin an. In der aktuellen Zusammensetzung sitzen auf der muslimischen Seite nur noch Verbandsvertreter. Liberale Stimmen fehlen komplett, kritisiert Sineb El Masrar.
    Sineb El Masrar: "Liberale Stimmen fehlen komplett"
    "Das Muslimische Forum Deutschland ist nicht vertreten, der Liberalislamische Bund ist nicht vertreten. Wenn die Islamkonferenz weitergeführt wird, oder eine andere Form gefunden wird, dann müssen diese Stimmen definitiv mit eingebunden werden, schon allein als Impulsgeber, um der Lebensrealität von allen Muslimen in Deutschland, die sehr vielfältig ist, die in Transformation ist, die ganz viele Themen diskutiert, die diese Verbände nicht diskutieren und sich auch gar nicht damit befassen wollen, weil sie damit ja auch ihre eigene Grundlage zum Teil zunichtemachen. Das muss man auch ganz klar so sehen."
    Die Herausgeberin der Frauenzeitschrift "Gazelle" möchte aber nicht so weit gehen, die Islamkonferenz als gescheitert zu bezeichnen. Sie habe mit dem islamischen Religionsunterricht in einigen Bundesländern und den fünf Zentren für Islamische Theologie Impulse gesetzt. Ihre Kritik richtet sich besonders an den Verband "Zentralrat der Muslime", der den Muslimbrüdern und salafistischen Tendenzen nahestehe und die "DITIB", die den Anweisungen der türkischen Religionsbehörde aus Ankara folge.
    Die Dominanz der konservativen Verbände ist auch der Grund, warum die Aleviten die Islamkonferenz bald verlassen würden, sagt Ruhan Karakul vom Bundesvorstand der Alevitischen Gemeinde.
    "Zentralrat der Muslime" steht den Muslimbrüdern nahe
    "In der Deutschen Islamkonferenz gab es für die alevitischen Interessen kaum Raum. Und im Übrigen sind wir auch nicht zufrieden, dass fünf konservative Islamverbände in der Deutschen Islamkonferenz vertreten sind, die repräsentativen Studien zufolge nur 25 Prozent der Muslime in Deutschland vertreten. Vor allem die Anwesenheit der DITIB stört uns, grade die Verbindung zur Türkei, die ja nachgewiesen ist. Und dass jetzt auch noch Bekir Alboga die Grußrede halten soll, stimmt uns natürlich sehr unzufrieden."
    Bekir Alboga nimmt von Anfang an als DITIB-Vertreter an der Islamkonferenz teil. Laut einem Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages ist die DITIB laut ihrer Satzung der türkischen Religionsbehörde in Ankara "angebunden". Diese Behörde nehme "gegenüber der DITIB Leitungs-, Steuerungs- und Kontrollbefugnisse wahr", heißt es in dem Gutachten.
    DITIB soll sich von türkischer Religionsbehörde lösen
    Die türkische Religionsbehörde in Ankara erkennt die Aleviten als eigenständige Glaubensgemeinschaft nicht an. Alevitische Kinder müssen am sunnitischen Islamunterricht teilnehmen. In diesen Fragen sollte sich die DITIB von der türkischen Behörde emanzipieren, fordern die Aleviten. Die Deutschlandzentrale der DITIB in Köln hat auf unsere Anfragen, uns ihre Satzung zu schicken, nicht reagiert. Auf ihrer Internetseite ist sie auch nicht einzusehen.
    Während das türkisch-muslimische Paar auf dem Spielplatz ins Mikrofon spricht, kommt eine ältere Türkin von der Nachbarbank herüber. "Wenn ihr Muslime seid und in euren Adern türkisches Blut fließt", sagt sie auf Türkisch, "dann müsst ihr zupacken. Ihr seid die Enkel der Osmanen. Was ihr hier macht, ist der Dschihad. Nicht das Gebet in der Türkei ist wichtig, es ist wichtig, dass ihr hier betet. Gott stehe euch bei."
    "Amen", sagt der Gartenlandschaftsbauer, der in Berlin geboren und aufgewachsen ist und sich von keinem muslimischen Verband vertreten fühlt.