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Zutiefst in der Seele verankert

Gemäß der modernen Tiefenpsychologie ist im innersten Kern der Seele auch das sogenannte "Kollektive Unbewusste" verankert. Die Naturwissenschaft sucht allerdings nach Beweisen. Neurologen sind bemüht, die seelischen Grundlagen mystischen Erlebens zu erforschen.

Von Corinna Mühlstedt | 20.04.2012
    Sigmund Freund, der Begründer der Tiefenpsychologie, definierte das Ziel der Mystik als Erreichen einer höchsten Bewusstseinsebene, auf der sich im Idealzustand "das Ich" eins mit der Natur und dem gesamten Universum fühlt. Der Psychologe Freud sprach dabei vom "ozeanischen Weltbewusstsein", in den Religionen wird dies als Erleuchtung, Gottesbewusstsein oder Vereinigung des individuellen Selbst mit Gott bezeichnet.

    "Es gibt eine sehr schöne Beschreibung, die Meister Eckhart gibt: "Das Seelenfünklein ist die Kraft, die mit Gott vereint." - Und das ist eigentlich das, was mich an der Mystik – nicht nur an Meister Eckhart – so sehr bewegt, fasziniert und auch immer wieder überzeugt. Also für mich sind mystische Erlebnisse etwas, was zutiefst in der Seele verankert ist. Und wenn Meister Eckhart sagt, das verbindet mich mit Gott, dann würde ich jetzt als Jungscher Psychologe sagen: Es verbindet mich mit dem innersten Kern der Seele."

    Theodor Seifert ist Naturwissenschaftler und Psychotherapeut. Gemäß der modernen Tiefenpsychologie, betont er, sei im innersten Kern der Seele auch das sogenannte "Kollektive Unbewusste" verankert. Zahllose Bilder und Vorstellungen, die in diesem Teil der Psyche zu Hause sind, finde man rund um den Globus wieder. Carl Gustav Jung nennt sie Archetypen.

    "Einer der Archetypen, die er beschrieben hat, ist der Archetyp des Gottesbildes. Er spricht – und das sagt er auch ganz bewusst – nicht vom Archetyp Gottes, weil da ist die Grenzaussage der Wissenschaft nicht mehr möglich, aber wir können von einem Gottesbild sprechen. Und das ist etwas, was Sie in allen Kulturen finden. Es gibt keine Kultur ohne Gottesbilder. Und dieser Archetyp des Gottesbildes ist meines Erachtens eine ganz, ganz wichtige Basis der menschlichen Seele."

    Die moderne Naturwissenschaft sucht allerdings nach Beweisen. Neurologen sind heute bemüht, die seelischen Grundlagen mystischen Erlebens in Versuchsreihen zu erforschen. Thomas Fuchs ist Inhaber einer Professur für philosophische Grundlagen der Psychiatrie an der Universität Heidelberg:

    "Bei diesen Versuchen wird die Person gebeten, sich in eine entsprechende Verfassung zu begeben, also zum Beispiel ein Meditationsgebet oder eine Meditationsübung durchzuführen. Sie muss das allerdings in einer etwas ungewohnten Lage tun, in dem sie sich in einen Scanner schieben lässt, also dass der Kopf umgeben ist von einem relativ starken Magnetfeld, das an sich unschädlich ist, aber mit einem dröhnenden Geräusch verbunden ist, sodass man doch eine gewisse Fähigkeit haben muss, sich von dieser Umgebung unabhängig in einen meditativen Zustand versetzen zu können. Und während dieses Zustandes erfasst nun dieser Scanner die jeweiligen Blutströmungen im Gehirn."

    Die Messung der Hirndurchblutung gibt Aufschluss darüber, wie aktiv die verschiedenen Teile des Gehirns sind. Dabei konnten Thomas Fuchs und seine Kollegen eine interessante Entwicklung beobachten.

    "Diese Versuche zeigen, dass zum Beispiel bestimmte Regionen des Schläfenlappens aktiv werden, die besonders verbunden sind mit Entgrenzungserfahrungen, Erfahrung von mystischer Entgrenzung. Andere Areale, die sonst eher mit der Außenwahrnehmung, der Körperwahrnehmung zu tun haben, mit der räumlichen Wahrnehmung, werden eher deaktiviert, sodass diese Zustände des Gehirns eigentlich auch der subjektiven Wahrnehmung des Meditierenden entsprechen."

    Die Forschungsergebnisse der Neurologen widerlegen die Vermutungen einiger Religionskritiker, religiöse Erfahrungen während Meditation und Gebet seien nur Einbildung.

    "Es zeigt sich, dass das Gehirn in dieser Meditation besonders kontinuierliche, entspannte elektrophysiologische Zustände einnimmt, die im üblichen Alltagsverhalten so nicht auftreten. Der Bewusstseinszustand entspricht nicht den neurophysiologischen Aktivitätsmustern, die bei normalem Alltagsbewusstsein, bei Schlaf oder bei anderen Erfahrungen eintreten. Es ist also ein besonderer Gehirnzustand. Insofern ist dieses Erleben sicher keine Einbildung sondern eine besondere Weise, wie unser Bewusstsein Erfahrung gewinnen kann.

    Gerne würden die Forscher auch klären, ob die Versuchspersonen während ihrer Übungen Kontakt zu einer höheren Wirklichkeit haben. Doch hier kann Thomas Fuchs nur auf die Grenzen des wissenschaftlich Messbaren verweisen:

    "Aus der Beobachtung der Gehirnzustände heraus lässt sich das nicht sagen. Interessanterweise sind schon ganz gegensätzliche Interpretationen versucht worden. Der Zustand ist ein besonderer. Man hat daraus zu schließen versucht, dass es im Gehirn eine Art Gottesmodul gibt, also ein Modul, das in einer besonderen Weise uns befähigt, mit der göttlichen Wirklichkeit in Verbindung zu stehen. Man hat umgekehrt aber aus dem gleichen Befund geschlossen, dass das Gehirn uns hier nur eine Illusion einer transzendenten Wirklichkeit vorspiegelt."

    Die Frage nach Gott muss aus der Sicht der Neurologie also offen bleiben. Doch während die Naturwissenschaft an ihre stößt, hat die Mystik ihren eigenen Wertmaßstab. Der Gründer des Instituts für Philosophie und Mystik in Rom, Prof. Elmar Salmann:

    "Es gibt ja sehr viel exotische Erlebnisse, und auch pathologische Formen des Außerordentlichen, die dann aber für das Leben unfruchtbar bleiben oder uns sogar dem Leben restlos entfremden. Während es zu den Kriterien und den Regeln der Unterscheidung der Geister gehört, dass der Mystiker, der vom wirklichen Gott ergriffen wird, erleuchtet, dann tatsächlich im Leben eine Fruchtbarkeit zeitigt, eine Inspiration, eine Kraft der Gegenwärtigkeit, die deutlich werden lässt, von was er besessen ist.