Afghanistan
Zwei Jahre nach der Machtübernahme der Taliban

Vor zwei Jahren haben die Taliban in Afghanistan die Macht übernommen. Überstürzt verließen internationale Truppen, Hilfsorganisationen und Diplomaten das Land. Die Hoffnung auf eine halbwegs gemäßigte Herrschaft hat sich seitdem zerschlagen. Vor allem die Rechte von Frauen und Mädchen wurden in den letzten zwei Jahren systematisch eingeschränkt.

15.08.2023
    Afghanische Frauen stehen im Mai 2023 an einer Essensausgabe in der Schlange
    Vor allem für Frauen hat sich die Lage in Afghanistan drastisch verschlechtert. (picture alliance / AP / Ebrahim Noroozi)
    "Die Menschen in Afghanistan erleben unter der Herrschaft der Taliban einen humanitären und menschenrechtlichen Albtraum", hieß es unlängst vonseiten der Organisation Human Rights Watch. Und auch der stellvertretende UNO-Sonderbeauftragte für Afghanistan, Potzel, nannte die humanitäre Lage im NDR-Hörfunk "sehr prekär". Besonders hart hat es die Frauen und Mädchen im Land getroffen. Heute gilt wieder die Pflicht zur Verschleierung, Frauen dürfen ohne männliche Begleitung das Haus nicht verlassen, Mädchen nur bis zur sechsten Klasse zur Schule gehen und nicht mehr studieren.

    Systematische Einschränkung von Frauen und Mädchen

    Für Empörung sorgte Ende 2022 ein Gesetz, das Frauen die Arbeit in Nichtregierungsorganisationen und später auch bei den Vereinten Nationen untersagte. Das habe Auswirkungen auf Hilfsprojekte, sagte der Landesrepräsentant der Hilfsorganisation Caritas, Recker, im Deutschlandfunk. Die humanitären Maßnahmen könnten nur noch mit und für Männer durchgeführt werden. Das sei ein echtes Problem.
    Auf der Straße in der Hauptstadt Kabul beobachtet Recker normale Alltagsszenen, die Geschäfte seien geöffnet, und es gebe ein relativ reichhaltiges Angebot. Auch Frauen seien zu sehen und nur die wenigsten trügen eine Burka. Offensichtlich sei jedoch, dass es mehr Armut gebe. Viele Menschen seien in die Arbeitslosigkeit getrieben worden. Erst vor wenigen Wochen hatten die Taliban den Betrieb von Schönheitssalons verboten. Nach Schätzungen der gemeinnützigen Industrie- und Handelskammer der Frauen in Afghanistan haben dadurch rund 60.000 Frauen ihr Einkommen verloren.

    Willkürliche Machtausübung der Taliban

    Das Regime der Taliban ist laut Recker willkürlich, Widerstand werde hart bestraft. Amnesty International zufolge schweben Menschenrechtsverteidiger, Aktivistinnen und Angehörige von Minderheiten nicht selten in Lebensgefahr. "Willkürliche Verhaftungen, Verschwindenlassen, Folter und außergerichtliche Hinrichtungen sind seit zwei Jahren vielerorts an der Tagesordnung", erklärte die Organisation zum Jahrestag der Machtübernahme. "Reporter ohne Grenzen" beklagt außerdem eine massive Pressezensur. Viele Journalisten hätten ihre Posten verloren oder seien geflohen. Mehr als 80 Prozent der afghanischen Journalistinnen seien seit Mitte August 2021 gezwungen gewesen, ihre Arbeit aufzugeben.
    Und über allem schwebt die katastrophale Versorgungslage eines Landes, das seit fast einem halben Jahrhundert nur Kriege und Krisen kennt. Laut den Vereinten Nationen sind vier Millionen Menschen akut unterernährt, darunter 3,2 Millionen Kinder unter fünf Jahren. Humanitäre Hilfe brauchen sogar 28 Millionen Menschen, rund zwei Drittel der Bevölkerung - während die Hilfsorganisationen zunehmend von den Taliban gegängelt werden, um etwa die Verwendung von Geldern zu beeinflussen.

    Wie umgehen mit den Taliban?

    Die Taliban sitzen derweil fest im Sattel. Zwar hat bisher kein Land das "Islamische Emirat Afghanistan" anerkannt, dessen Emir Hibatullah Achundsada in Kandahar sitzt und von dort Dekrete erlässt. Auch gibt es Berichte über Uneinigkeit zwischen gemäßigteren und extremistischeren Taliban. Aber nach Einschätzung des stellvertretenden UNO-Beauftragten Potzel traut sich niemand, sich gegen den Emir zu wenden. Er spreche in Kabul regelmäßig mit Mitgliedern der Taliban. Unter ihnen gebe es auch jene, die sich nicht gegen die Bildung von Mädchen aussprächen. Eine Lösung sieht Potzel nur in einem innerafghanischen Dialog. Die Taliban machten den großen Fehler, die Bevölkerung nicht mitzunehmen. Das werde sich früher oder später rächen.
    In Deutschland wird darüber diskutiert, wie man als westliche Regierung mit den Taliban umgehen soll. Sowohl Recker als auch Potzel sagen: Es muss einen Dialog geben, mindestens um die humanitäre Hilfe aufrecht zu erhalten. Dafür brauche es oftmals Genehmigungen der Taliban. Recker betont: Diese Kooperation dürfe nicht in Anerkennung umschlagen. Auch eine politische Zusammenarbeit schließt er aus. Um das Volk in Afghanistan zu unterstützen, seien die Gespräche aber wichtig.
    Das ganze Interview mit Herrn Recker können Sie hier nachlesen.

    Weiterführende Informationen.

    Ein Interview mit Elke Gottschalk von der Welthungerhilfe über die Situation der Frauen in Afghanistan hören Sie hier.
    Hier finden Sie einen Bericht über die afghanischen Ortskräfte, die vor zwei Jahren nach Deutschland gebracht wurden.
    Hier geht es um die Situation der aus dem Land gebrachten Journalistinnen und Journalisten.
    Und die Lage der afghanischen Künstler im Exil wird in diesem Beitrag beleuchtet.
    Diese Nachricht wurde am 15.08.2023 im Programm Deutschlandfunk gesendet.