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Zweites Brexit-Referendum?
EU-Befürworter spüren Aufwind

Seit Dienstag dieser Woche streitet das britische Unterhaus über den Brexit-Vertrag mit der EU. Die Spaltung in der Kammer ist tief, alle rechnen damit, dass der Vertrag abgelehnt wird. Die EU-Befürworter wittern Morgenluft. Dann gilt als möglich, was lange ausgeschlossen schien: ein zweites Referendum.

Von Friedbert Meurer | 07.12.2018
    Ein Brexit-Gegner steht vor dem Houses of Parliaments in London und hält Schilder hoch
    Brexit-Gegner vor dem britischen Parlament: Die Spaltung im House of Commons ist tief (imago)
    Andrew Adonis redet vor etwa 80 Zuschauern in einem schmucklosen Gemeindezentrum in Wimbledon im Südwesten von London. Adonis ist Mitglied im House of Lords und gibt sich überzeugt: "Es wird eine neue Volksabstimmung geben und diesmal werden wir gewinnen."
    Lord Adonis, ein Labour-Politiker, war einer der ersten in Westminster, der sich dafür stark machte, die Briten noch einmal über den Brexit abstimmen zu lassen. Anfangs winkten alle ab. Jetzt, wenige Tage vor der großen Abstimmung im Unterhaus, steht Adonis nicht mehr alleine da. Die Zuhörer fragen sich nur, wie man das gemeinsame Ziel erreichen will.
    "Wenn wir nächstes Jahr z.B. im Mai ein neues Referendum haben, dann müssen wir die Leute überzeugen, die damals für den Brexit gestimmt haben. Aber wie kriegen wir das hin?"
    Die Zuhörer hier in Wimbledon engagieren sich alle für ein zweites Referendum oder sympathisieren zumindest mit der Idee. Aber etliche Stimmen an diesem Abend klingen auch besorgt. Viele erleben das allgemeine politische Klima und die Krise im Land als bedrückend.
    "Die von unserer Idee eines zweiten Referendums nichts halten, sagen mir, das ist völlig undemokratisch. Einmal wurde ich sogar als Faschist beschimpft, weil ich für eine neue Volksabstimmung bin."
    Eine Frau schlägt vor, er hätte doch entgegnen können: "Meinen Sie die erkaufte Abstimmung vom ersten Mal?" Alle im Saal haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Wer sich in Großbritannien dafür ausspricht, noch einmal ein Referendum auszurichten, muss sich einiges anhören. Je nachdem, wo man das sagt.
    Immer mehr Abgeordnete für ein zweites Referendum
    Helen Rennie-Smith ist von Beruf Kommunikationsberaterin. Die Mittfünfzigerin aus dem benachbarten Londoner Stadtteil Wandsworth ist eine gebürtige Schwedin mit britischem Pass und hat den Abend organisiert. "Nach dem Referendum waren wir alle gelähmt. Niemand konnte es fassen, was da passiert war. Dann wachten einige von uns auf. Uns wurde klar: Wir müssen etwas tun."
    Erst habe es nur einzelne kleine Gruppen geben, die sich "European Movement" nennen, Europäische Bewegung. Dann wurde mehr daraus. Auch immer mehr Abgeordnete aus dem Unterhaus trauen sich jetzt, sich öffentlich zu einem zweiten Referendum zu bekennen. Am Sonntag, zwei Tage vor der Abstimmung, wird es im ExCeL-Center im Londoner Osten eine Großveranstaltung geben. Die Befürworter eines neuen Referendums, vor kurzem noch belächelt, spüren Aufwind.
    "Es wird täglich wahrscheinlicher. Ich habe das vor kurzem noch für sehr unwahrscheinlich gehalten." "In den letzten drei Wochen hat es einen erheblichen Aufschwung gegeben. Aber die Briten können dickköpfig sein. Aber vielleicht werden einige doch anders als zuletzt abstimmen, wenn sie geheim im Wahllokal ihr Kreuz machen. Ich drücke die Daumen."
    In den Umfragen liegen diejenigen, die in der EU bleiben wollen, seit einiger Zeit vorne, aber nicht sehr deutlich. Die Befürworter eines Brexit sind frustriert, weil alles so schwierig ist. Aber das wird auch der EU zugeschrieben, die bei vielen Briten mit ihrer harten Linie nicht beliebter geworden ist.
    "Sie hätten schon mehr Zugeständnisse machen können. Aber am Ende standen 27 Staaten zusammen, die alle einer Meinung waren. Dagegen ist schwer anzukommen. Viele glauben hier auch – tut mir leid, das zu sagen -, dass die EU zu sehr von Deutschland dominiert wird."
    "Die Whips werden für Disziplin sorgen"
    Die EU hat uns erpresst, das denken nicht wenige im Land. Lord Andrew Adonis, der jetzt im Gemeindesaal Widmungen in sein neues Buch schreibt, ist für die Brexiteers da ein rotes Tuch, ein "Remoaner", ein ewig klagender EU-Anhänger. Auch seine eigene Partei, Labour, zögert, sich für ein neues Referendum auszusprechen. Ohne Labour aber hat das alles im Unterhaus keine Chance, und es ist das Parlament, das einen neuen Volksentscheid beschließen müsste.
    "Es gibt sicher eine Mehrheit im Parlament für ein zweites Referendum, wenn die Abgeordneten unabhängig ihre Meinung sagen würden. Bei den Konservativen werden aber die Whips, die Einpeitscher, für Disziplin sorgen. Aber Theresa May hat ja die Kontrolle verloren. Deswegen glaube ich, dass sich die natürliche Mehrheit für eine neue Volksabstimmung durchsetzen wird."
    Helen Rennie-Smith, die Organisatorin des Abends, will die Gunst der Stunde nutzen. Viele rechnen damit, dass das Parlament den Vertrag mit der EU ablehnen wird. Sie selbst würde dann gerne die nächsten vier Monate Straßenwahlkampf führen.
    Eine junge Frau ist heute zum ersten Mal da. Sie will bei der Kampagne für ein neues Referendum mithelfen. Was aber ist mit den vielen Briten, die das mit dem Brexit alles langsam nicht hören können? "Ich sage denen, wenn ihr vom Brexit gelangweilt seid, dann stoppt ihn doch. Der Brexit wird viel länger dauern als bis Ende 2020. Einige von euch werden dann schon im Grab liegen, andere werden es dann wirklich gründlich satt haben."