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Zwischen Werbevideos und Alltagsproblemen

Neidvoll schielt man im Ausland auf das duale Ausbildungssystem in Deutschland mit seiner engen Verzahnung von Angebot und betrieblicher Nachfrage. Dabei hat das viel gelobte Modell seine Mängel.

Von Philip Banse | 03.10.2013
    Raul Maisamt schleift sein erstes Werkstück, einen Schubkasten. Der 22-Jährige ist im ersten Lehrjahr bei einer kleinen Berliner Tischlerei. Der Azubi hat sein Studium der Landschaftsarchitektur abgebrochen. Auch neun Monate im Ausland hatten ihm das deutsche Ausbildungssystem schmackhaft gemacht:

    "Da ist ein deutscher Abschluss hilfreich. Da kann man unterwegs viel machen in vielen Ländern"

    Werbespot: "Der wirtschaftliche Erfolg hängt auch mit dem Ausbildungssystem zusammen, die enge Verzahnung von Theorie und Praxis, dem dualen System."

    In Werbespots wie diesem preist das deutsche Außenministerium das deutsche Miteinander von Ausbildung in Betrieb und Berufsschule als Exportschlager. Lob kommt auch von Arbeitsmarktforscher Hilmar Schneider vom Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit.

    Der große Vorteil dieses Systems ist ja, dass es eine große Kopplung zwischen Ausbildungssystem und der betrieblichen Nachfrage mit sich bringt, das ist ziemlich einzigartig.

    Im Ausland dagegen würden oft Jugendliche ausgebildet, die die Betriebe gar nicht bräuchten. Daher sei das duale deutsche Ausbildungssystem ein Exportschlager, sagt Esther Hartwich vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag, ein Verband, der die Interessen von 3,6 Millionen deutschen gewerblichen Unternehmen vertritt:

    "Das duale Ausbildungssystem in Deutschland ist ein Erfolgsmodell. Momentan schaut ganz Europa auf uns. Wir haben mit deutlichen Abstand die geringste Jugendarbeitslosigkeitsquote und das liegt nicht zuletzt daran, dass wir eine sehr gute Verzahnung von Betrieb uns Praxis in unserer Ausbildung haben."

    Doch das gelobte Modell hat Macken. Der Berliner Tischlermeister Joachim Kircher bildet derzeit drei Azubis aus, alle Abiturienten. Er könne sich seine Azubis aussuchen, sagt Kircher. Allerdings ist er mit der Berufsschule nicht recht zufrieden:

    "Ich denke, dass in der Schule wahrscheinlich zu wenig Leute als Lehrkräfte eingestellt sind, die tatsächlich aus der Praxis kommen."

    Seine Azubis würden zu selten von Tischlern unterrichtet, zu oft von Quereinsteigern wie Architekten oder Kaufleuten:

    "Das macht sich schon bemerkbar. Wenn du alltagstauglichen Unterricht machen willst, musst du auch praxisbezogene Beispiele geben können. Da hinkt das alles hinterher."

    Auch der Verband der Berufsschullehrer beklagt, es gäbe zu wenig Berufsschullehrer und sie würden zu selten weitergebildet, um mit der technischen Entwicklung in vielen Berufen Schritt halten zu können. Tischlermeister Kircher nennt ein Beispiel: Eigentlich sollten seine Azubis an der Berufsschule auch an modernen, aber komplexen CNC-Fräsen geschult werden. Azubis mit Abitur sollten zudem auf Führungsaufgaben vorbereitet werden.

    "Was ich von den Auszubildenden mitbekomme - es steht vielleicht auf dem Papier, die Umsetzung klappt aber einfach nicht. Vielleicht auch, weil dann wieder zu wenig Lehrpersonal da ist oder zu viel Ersatzlehrer, weil zu viele krank sind - keine Ahnung, ich kanns nicht so genau sagen."

    Vertreter der Berufsschullehrer beklagen dagegen, dass viele Azubis eigentlich nicht ausbildungsreif seien: schlechte Team- und Konfliktfähigkeit, mangelndes Verantwortungsbewusstsein.

    Auch Raul Maisamt verweist auf die großen Leistungsunterschiede in seiner Berufsschulklasse. Der angehende Tischler hat Abitur, ein Jahr studiert, ist 22 und sitzt zusammen mit 15-Jährigen, die einen Hauptschulabschluss haben und mitunter die Grundrechenarten nicht beherrschten:

    "Es kostet viel Zeit. Man hat halt diese unterschiedlichen Niveaus. Und es dauert, zum Beispiel Methodentraining: Wie gehe ich an einen Text ran, wie hole ich Schlüsselwörter raus - es dauert, bis das gelandet ist."