Montag, 29. April 2024

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Erste Vermögenssteuer vor 100 Jahren
Der Steuersatz von 0,7 Prozent schockierte Weimars Eliten

Mit dem Deutschen Kaiserreich war 1919 auch das Steuerwesen zusammengebrochen. Die Weimarer Republik scheiterte mit der Idee, über ein einmaliges "Reichsnotopfer" an Geld zu kommen. Stattdessen führte die Reichsregierung am 8. April 1922 eine Vermögenssteuer ein.

Von Otto Langels | 08.04.2022
Matthias Erzberger auf einer historischen Aufnahme von 1920.
Matthias Erzberger, Reichsfinanzminister von 1919 bis 1920 (picture alliance / akg-images)
„Deutschland ist ein Steuersumpf für Vermögen; gemessen an anderen Industriestaaten erzielen wir gerade mal die Hälfte an Steueraufkommen durch Steuern auf Vermögen.“
„Wir halten eine Wiederbelebung der Vermögenssteuer für absolut das falsche Signal, die Vermögenssteuer schädigt die Volkswirtschaft, sie ist investitionsfeindlich, bürokratisch, sie ist teuer.“
Eine der wiederkehrenden Debatten im Deutschen Bundestag über die Vermögenssteuer. Seit Jahrzehnten beschäftigen sich die Parteien mit dem Thema – ohne greifbares Ergebnis: Die Vermögenssteuer, eine regelmäßig erhobene Abgabe auf Immobilien, Grundbesitz, Unternehmensanteile, Bankguthaben und Edelmetalle, wurde am 8. April 1922 im Deutschen Reich eingeführt, auf Initiative des damaligen Reichsfinanzministers Matthias Erzberger. An die Stelle des 1919 beschlossenen "Reichsnotopfers“ als einmaliger Abgabe, die kleine Vermögensbesitzer besonders hart traf und politischen Widerstand auslöste, trat eine regelmäßige Besteuerung hoher Vermögen, so Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin:
"Nach dem Ersten Weltkrieg war der deutsche Staat in einer großen Finanzkrise, der Krieg war verloren, die Alliierten forderten hohe Reparationen. Es drohte die Inflation. Um die hohe Staatsverschuldung dann einigermaßen in den Griff zu bekommen, hatte man eine laufende Vermögenssteuer erhoben.“

Das Weimarer "Besitzbürgertum“ drohte mit Kapitalflucht

Gerechtigkeit im gesamten Steuerwesen zu schaffen sei sein oberstes Ziel.“, erklärte dazu Matthias Erzberger von der Zentrumspartei, der Vorläuferin der CDU - und "Ein guter Finanzminister ist der beste Sozialisierungsminister."Der Steuersatz betrug moderate 0,7 Prozent. Gleichwohl reagierten die alten Eliten und das „Besitzbürgertum“ schockiert, waren sie doch im Kaiserreich kaum zur Kasse gebeten worden, und drohten mit Steuerwiderstand und Kapitalflucht. Dennoch und trotz anfänglich hoher Inflation war die Vermögenssteuer eine wichtige Einnahmequelle, so Stefan Bach:
„Die Vermögenssteuer hatte gerade in ihrer Anfangszeit eine durchaus beträchtliche fiskalische Bedeutung. Auch in den 50er-Jahren ist sie dann weitergeführt worden, wurde damals auch zur Finanzierung des Lastenausgleichs verwendet, also sprich zur Regulierung von Kriegsfolgen.“

Warum 1996 Schluss mit der Vermögenssteuer war

Noch bis in die 1960er-Jahre brachte die Vermögenssteuer den Finanzkassen nach heutigem Wert bis zu 20 Milliarden Euro jährlich. Doch dann gingen die Einnahmen zurück, weil der Gesetzgeber es versäumte, die Bemessungsgrundlagen zu aktualisieren, sagt Stefan Bach:
„Das Problem war: Die Immobilienwerte waren jahrzehntelang nicht mehr erneuert worden. Die letzte Einheitsbewertung fand 1964 statt. Und dann hat 1995 das Bundesverfassungsgericht gesagt, das geht nicht, dass dann Sparkonten, Finanzanlagen oder Aktien zu 100 Prozent eingehen, und das Immobilienvermögen hatte damals nur im Schnitt einen Wert von zehn Prozent.“

Zankapfel Vermögenssteuer

Die Bewertung der Immobilien müsse der Realität entsprechen, forderte das Gericht, doch dem kommt der Gesetzgeber bis heute nicht nach, obwohl Artikel 106 des Grundgesetzes eine entsprechende Abgabe vorsieht. So wurde die Vermögenssteuer 1996 letztmals erhoben. Seitdem streiten die Parteien über eine Wiederbelebung. Immer wieder sind Einwände zu hören, die Vermögenssteuer schwäche den Mittelstand, auch sei der Aufwand zu hoch. Dem widerspricht Stefan Bach:
„Man schätzt, dass die Verwaltungs- und Befolgungskosten der Vermögenssteuer etwa
fünf Prozent des Aufkommens ausmachen würden. Zum anderen gibt es natürlich einen massiven Lobbyismus der Schönen und Reichen im Lande gegen die Vermögenssteuer, die sich dagegen wehren.“
Würde man zum Beispiel das reichste Prozent der Bevölkerung - mit einem Drittel des deutschen Gesamtvermögens zur Kasse bitten, läge das Steueraufkommen bei schätzungsweise 20 Milliarden Euro jährlich. Allerdings, so Ökonom Bach, zeigt ein Blick ins Ausland, dass nur noch wenige Länder eine Vermögenssteuer erheben:
„Die Globalisierung der wirtschaftlichen Beziehungen spielt da schon eine große Rolle, so dass man tatsächlich sagen kann, die Reichen und vor allem die Superreichen sind steuerlich entlastet worden über die letzten 30 Jahre.“

Die Schere zwischen Arm und Reich wird größer. Wer aber, diese Frage wird in nächster Zeit verstärkt aufkommen, soll die wachsenden Ausgaben durch Klimawandel, Corona und neue sicherheitspolitische Herausforderungen finanzieren?