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200. Geburtstag von Otto von Bismarck
"Ein bisschen Bismarck steckt in allen Spitzenpolitikern"

Otto von Bismarcks "Mischung aus hoher Intelligenz, Machtinstinkt und rhetorischer Begabung" sei ein Vorbild für alle Kanzler der Nachkriegszeit gewesen, sagte der Chefredakteur der Zeitschrift "Cicero", Christoph Schwennicke, im DLF. Auch in Angela Merkels Politikstil erkennt er den Bismarckschen Geist.

Christoph Schwennicke im Gespräch mit Dirk Müller | 01.04.2015
    Bismarckstatue in Berlin
    Ein Denkmal für Bismarck in Berlin: "Er gehört zu den großen historischen Figuren unserer Geschichte", sagt Christoph Schwennicke. (picture alliance / dpa / Thalia Engel)
    Dirk Müller: Was hat er nicht alles alleine für die deutsche Sprache getan, Otto von Bismarck, der heute 200 Jahre alt würde. Er hat sie bereichert, um Worte und auch um deren Bedeutung, um das Wort "Kirchturmpolitik" zum Beispiel. Der "ehrliche Makler" gehört auch dazu, oder die "Reptilienpresse", die vielleicht stark an die Lügenpresse erinnert, die im Moment diskutiert wird, oder auch die "Zivilcourage", alles Otto von Bismarck: Ganz zu schweigen vom weltbekannten Bismarck-Hering. Politisch wird ihm unsäglich viel zugeschrieben: Die Reichsgründung, der Nationalstaat, die Sozialistengesetze, die Sozialgesetze, die Kranken- und Rentenversicherung, die Katholikendrangsalierung, Spitzendiplomatie auf allerhöchster Ebene. Aber er ist auch Reaktionär, er ist Junker, er spricht und agiert mit Eisen und Blut und viel Macht, Gewalt und Krieg, aber eben auch Stabilität und eine dauerhafte Ordnung Europas. Wir wissen also gar nicht so recht, wo wir anfangen sollen. Am Telefon ist nun der Chefredakteur des politischen Monatsmagazins „Cicero", Christoph Schwennicke. Guten Morgen.
    Christoph Schwennicke: Schönen guten Morgen, Herr Müller.
    Müller: Otto von Bismarck - Sie müssen uns weiterhelfen: Wo fangen Sie an?
    Schwennicke: Wir fangen mit unserem aktuellen Cover beim Hering an, wenn Sie so wollen. Die Schlagzeile heißt "Held oder Hering". Das ist natürlich ein Wortspiel. Wir haben seinen wuchtigen Schnurbart in einen Hering verwandelt. Diese Frage soll natürlich letztlich heißen: Was bleibt von Bismarck? Wie viel Bismarck ist im heutigen Deutschland? Und Fakt ist natürlich, dass er, verkürzt gesagt, aus Preußen Deutschland gemacht hat, geformt hat, zum ersten Mal, allerdings natürlich auch mit Mitteln, die wir heute nicht mehr anwenden würden. Er hat zwei Kriege vom Zaun gebrochen, einen gegen Österreich und einen gegen Frankreich, um diesem Ziel näher zu kommen. Das sind Fragen, die wir in diesem Heft aufwerfen. Beispielsweise auch die: Ein französischer Historiker stellt sich die und damit auch uns, ob nicht das Heilige Römische Reich deutscher Nation viel mehr Nukleus dessen ist, was wir heute als Deutschland kennen und auch als Europa, weil diese föderale Struktur eigentlich viel mehr das wiederspiegelt als der Zentralismus, den Bismarck gebracht hat.
    Müller: Wir können die Bücher auch zum aktuellen Anlass, die über Otto von Bismarck geschrieben wurden, wo er gedeutet, interpretiert wurde, ja gar nicht zählen. Auch jetzt sind wieder unzählige neue Titel erschienen. Otto von Bismarck - interessiert uns dieser Mann, dieser preußische Junker und spätere Reichskanzler nur so sehr, weil er so mächtig war?
    "Ein sehr guter Redner, fast wie in deutscher Churchill"
    Schwennicke: Ja, weil er auch sehr polarisiert hat. Sie haben es in der Anmoderation gesagt: Er war ein sehr, sehr guter Redner, fast wie ein deutscher Churchill, der auch Machtinstinkt und Redebegabung verbunden hat. Er hat die Sozialistengesetze gemacht, er hat die Sozialversicherung eingeführt entlang des Gedankens: Soll Revolution sein, so wollen wir sie lieber machen als erleiden. Er hat sozusagen dem Druck nachgegeben und dann das gemacht, was der Gegner eigentlich wollte. Und diese Figur ist natürlich polarisierend und fasziniert deswegen bis heute. Sie gehört bestimmt zu den großen historischen Figuren unserer Geschichte.
    Müller: Er wurde ja auch oft dann als Autokrat bezeichnet, als nicht Demokrat. Schaukelpolitik wurde ihm unterstellt, immer wieder Jonglieren, immer wieder Lavieren, gerade so wie es passt. Man kann es auch als Realpolitik bezeichnen. Wir haben gelesen, er sprach fließend Russisch, er war auch äußerst gebildet, hatte eine besondere Beziehung auch zu Russland, auch zu Moskau.
    Schwennicke: Ja! Wissen Sie, was ich in all dem sehe, oder wobei ich mich selbst ertappe?
    Müller: Bitte!
    Schwennicke: Bei dem Gedanken: Wie viel Bismarck steckt eigentlich in Angela Merkel? Ich meine jetzt natürlich nicht die Kriegstreiberei, nicht, dass wir uns missverstehen, aber in seiner Regierungskunst - von Bismarck stammt ja auch der Satz: "Politik ist die Kunst des Möglichen." Er hat auch nicht an die großen Visionen und an die Strategien geglaubt, die über zehn Jahre reichen, sondern er hat immer das nächste Ziel angestrebt, und wenn Plan A nicht funktioniert hat, dann hat er eben zu Plan B gegriffen. Frau Merkel spricht oft davon, dass sie auf Sicht fahre. Dass sie, nebenbei bemerkt, auch noch ganz gut Russisch spricht, ist eine weitere Parallele. Also es ist schon interessant, dass auch große Machtmenschen unserer Zeit sich sehr oft auf Bismarck berufen. Gerhard Schröder, der Altkanzler, hat sich gerade in seiner eigenen Partei einigermaßen unbeliebt gemacht damit, dass er ausgerechnet den Sozialistenfresser Otto von Bismarck zu einem ganz Großen unserer Geschichte erklärt hat. Andrea Nahles, die Arbeitsministerin, schreibt in unserem Heft auch einen Beitrag. Sie ist Katholikin und Sozialdemokratin, hat natürlich ein etwas, wie soll ich sagen, zwiespältiges Bild dieses großen Mannes. Das sind alles Punkte, warum er uns bis heute fasziniert und nicht nur an seinem Geburtstag, aber insbesondere an seinem Geburtstag.
    "Alle Alphatiere von dieser Figur ein Stück weit beeinflusst"
    Müller: Sie haben mir die Frage ein bisschen vorweg genommen. Ich wollte nämlich nach Gerhard Schröder fragen, der sich ja jüngst geäußert hat, wieder Reaktionen in der SPD ausgelöst hat. Und ich möchte Sie, Herr Schwennicke, das jetzt anders herum einmal fragen: Wie viel Bismarck ist in der Politik, oder bei den Politikern, Angela Merkel? Wenn wir jetzt Adenauer, Schmidt und Schröder nehmen, wo ist er dann am stärksten vertreten?
    Schwennicke: Adenauer ist sicherlich auch ein Nachfahre Bismarcks, was den Machtinstinkt anlangt. Man weiß von Helmut Kohl beispielsweise, dass er ein intensiver Bismarck-Leser war, sich vertieft hat in die Biographie, fasziniert war von dieser Persönlichkeit. Ich glaube, dass alle Alphatiere, die wir in der Nachkriegszeit an unserer Spitze erlebt haben, von dieser Figur ein Stück weit beeinflusst waren. Wie gesagt, damit soll nicht gesagt sein, dass die Kriegstreiberei Teil ihrer Politik war. Es war auch natürlich eine ganz andere Zeit. Aber diese Mischung aus hoher Intelligenz, Machtinstinkt und rhetorischer Begabung ist natürlich für Kanzler bis heute ein Rollenmodell, ein Vorbild.
    Müller: Könnte man das vielleicht so sagen: Alle, die Alphatiere sind, ganz oben sind in der Politik, die müssen ein bisschen Bismarck sein?
    Schwennicke: Ja, ich glaube, ein bisschen Bismarck steckt in allen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.