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Ecuadors Sieg über die Kolonialmacht
Spaniens Schmach am Pichincha

Die Unabhängigkeit Lateinamerikas wurde den Spaniern im 18. und 19. Jahrhundert in einer endlosen Kette von Kämpfen abgerungen. In der Schlacht am Pichincha konnte sich vor 200 Jahren Ecuador von der spanischen Krone befreien.

Von Peter B. Schumann | 24.05.2022
In  der Schlacht von Pichincha besiegt Ecuador am 24. Mai 822 die spanischen Kolonialherren - Mural im Eloy Alfaro-Militärschul--Museum
Eine Wandmalerei in der Militärschule Quito zeigt die Schlacht von Pichincha am 24. Mai 1822 - als die spanischen Kolonialherren in Ecuador besiegt werden (picture alliance / Prisma Archivo)
Der Kampf um die Unabhängigkeit Südamerikas und Befreiung von der spanischen Krone erreichte Anfang des 19. Jahrhunderts seine entscheidende Phase. Spanien war durch die Napoleonischen Kriege von seinen Kolonien abgeschnitten, und seine Vizekönigreiche waren auf sich selbst angewiesen.
Freiheitskämpfer wie die Venezolaner Simón Bolívar und Antonio José de Sucre sammelten ihre verstreuten militärischen Truppenteile, und 1809 erklärte sich mit ihrer Hilfe das kleine Ecuador als erstes Land unabhängig von Spanien. Doch wenig später wurde es bereits wieder von der Kolonialmacht zurückerobert. Erst nach der Befreiung Kolumbiens erhielten auch die Unabhängigkeitsbestrebungen Ecuadors neuen Auftrieb. 1820 erklärte sich Guayaquil, die wichtigste Hafenstadt, für autonom und forderte später in einem Aufruf die Befreiung von Quito, dem sogenannten Königlichen Gerichtsbezirk:
"Nachdem wir unsere Ketten zerrissen haben, können wir nicht länger zuschauen, wie die Patrioten in Quito unter der Zwangsherrschaft stöhnen. Ergreifen wir die Waffen und eilen wir unseren Brüdern zu Hilfe.“

Ein Heer, so international wie nie zuvor gesehen

Doch es sollte noch einige Zeit vergehen, bis am 24. Mai 1822 die entscheidenden Kämpfe an den Hängen des 4.800 m hohen Pichincha, des Hausbergs von Quito, stattfanden. Bolívar hatte dazu Antonio José de Sucre aufgeboten, seinen fähigsten, 27-jährigen General. Doch so einfach war der Feldzug für ihn nicht, denn Sucre verfügte selbst nur über eine Armee von ungefähr 1.700 Mann. Deshalb sandte ihm Bolívar ein Kontingent, und aus Peru kam eine weitere Division von 1.500 Soldaten: eine aus vielen Ländern zusammengewürfelte Streitmacht – wie der venezolanische Historiker Carlos Laudázuri Camacho ausführt:
„Sucres Mannen bestanden aus Venezolanern, Panameniern, Kolumbianern, britischen, irischen und französischen Freiwilligen, von denen viele später in Ecuador blieben. Und selbst aus Spaniern, die die Seite gewechselt hatten. Aus dem Süden kamen Argentinier, Uruguayer, Paraguayer, Bolivianer und Chilenen. Es ist wirklich das erste Mal, dass ein solches Heer so international zusammengesetzt war."
Und am Morgen des 24. Mai 1822 rief General Sucre seine Truppen zur Entscheidungsschlacht auf:
"Soldaten, begleitet mich nach Quito, auf zum Pichincha, bringt die Freiheit diesem Land und folgt mir auf dem Weg zur Freiheit Südamerikas. Über unserem unentwegten Kampf wird ein weiterer Tag des Ruhms aufbrechen. Schluss mit der spanischen Tyrannei!“

Warum des Königs Schlachtordnung zusammenbrach

Auf einem relativ kleinen, von Schluchten und Steilhängen begrenzten Schlachtfeld begann zunächst ein heftiges Feuergefecht, das die Befreiungsarmee zu verlieren schien, da ihr allmählich die Munition ausging. Als letztes Mittel gab Sucre einem besonders kampferprobten Bataillon den Befehl, mit einem Bajonettangriff direkt ins Zentrum der spanischen Truppen vorzustoßen. Diesem gelang es, die royalistische Schlachtordnung aufzubrechen. Die Kolonialtruppen flohen ins 700 Meter tiefer gelegene Quito.
Doch Sucre ließ sie nicht verfolgen: er hatte sein Ziel erreicht. Am folgenden Tag unterzeichneten die Spanier die Kapitulationsurkunde. Ecuador war unabhängig – zumindest von der spanischen Krone.

Warum Ecuadors Entwicklung dennoch bis heute stockt

Denn nun begannen die territorialen Streitigkeiten mit den Nachbarländern. Es gab noch keine fest gefügten Grenzen, weshalb Kolumbien und Peru immer wieder Gebietsansprüche erhoben. Und auch das innere Staatsgefüge war alles andere als stabil. Schroffe politische Gegensätze zwischen Liberalen und Konservativen, Großgrundbesitzern und landloser Bevölkerung sorgten für Unruhen, bürgerkriegsähnliche Zustände und Militärputsche. Demokratische Verhältnisse konnten sich nie stabilisieren. Ihre Schwäche verhindert bis heute eine kontinuierliche Entwicklung Ecuadors.