Sonntag, 28. April 2024

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70 Jahre Neue Dortmunder Westfalenhalle
Event-Kathedrale und Architektur-Ikone

Sechstagerennen und Boxkämpfe machten die Dortmunder Westfalenhalle in den Zwanzigerjahren legendär. Der aus Holz konstruierte, gewaltige Kuppelbau wurde bei einem Luftangriff zerstört. Doch 1952 erstand er durch Stahl, Beton und Glas filigran wieder auf.

Von Jochen Stöckmann | 02.02.2022
Die Dortmunder Westfalenhalle in einer Luftaufnahme aus dem Jahr 2000
Die Dortmunder Westfalenhalle in einer Luftaufnahme aus dem Jahr 2000 (imago / Hans Blossey)
„Die Kundgebung heute Abend hier in der Westfalenhalle, die Eröffnungskundgebung hat begonnen. Dort unten liegt glitzernd die Eisfläche. Heute Nacht wird diese Eisfläche verschwunden sein, damit morgen dort die Handballer und die Leichtathleten in Aktion treten können. Und immer wieder ist es faszinierend, die Schönheit und die Eleganz dieses Baus zu betrachten. Es ist ein Zusammenklang von Beton und Stahl.“
Radioreporter Hasso Wolf stimmt ein in den Jubelchor, als am 2. Februar 1952 in Dortmund die neue Westfalenhalle eröffnet wird: Unter Deutschlands größter freitragender Kuppel finden 20.000 Besucher Platz. Mit ihrer Begeisterung für Radrennen und Handball, Boxkämpfe oder Eishockey-Turniere sorgen sie für eine unvergleichliche Geräuschkulisse – inmitten von Kriegsruinen.

Die Stahlkuppel wiegt 1.500 Tonnen

Oberbürgermeister Fritz Henßler – 1945 nach der Befreiung aus dem KZ in seine Heimatstadt zurückgekehrt – hat bei diesem großen, einige Millionen teuren Bauvorhaben allerdings mehr als nur sportliche Leistungsvergleiche im Sinn:
„Eine Repräsentation der Leistungsfähigkeit der Dortmunder industriellen und gewerblichen Wirtschaft: Gegossen in Stahlbeton, rund 20.000 Kubikmeter, und gekrönt mit einer kühn konstruierten, 1.500 Tonnen schweren Stahlkuppel.“

"Zarte Haltung trotz ungeheurer Massen"

Bei seiner Planung hatte der Architekt Walter Höltje den 1925 errichteten Vorgängerbau vor Augen. Ursprünglich als Messe- und Sportpalast gedacht, war die raumgreifende Holzkonstruktion Schauplatz von Massenkundgebungen der Nazis und wurde mit Kriegsbeginn zum Gefangenenlager. Bei einem Luftangriff starben 1944 mehrere tausend Zwangsarbeiter in dieser ersten Westfalenhalle. Bis auf die Grundmauern abgebrannt ist sie als düsteres Monument in Erinnerung geblieben. Dagegen setzt Höltje nun seine filigran gegliederte Fassade:
„Diese Glaswand gibt dem Bau draußen eine sehr leichte und zarte Haltung trotz der ungeheuren Massen. Und der menschliche Maßstab, der an sich wichtig ist, gerade bei diesen unmenschlichen Maßen, der ist durch eine feine Teilung dieser Glaswand erreicht worden.“

Zwischen Kritik und Lobeshymnen

Dieser Glaspavillon strahlt abends weit in die Umgebung. Was einige als Leuchtzeichen des eben einsetzenden Wirtschaftswunders deuten, kritisieren andere angesichts großer Wohnungsnot als Verschwendung öffentlicher Gelder. Diesen Zweiflern antwortet Bundespräsident Theodor Heuss vom Rednerpult der nagelneuen Westfalenhalle:
„Es kommt darin ein Grundgefühl zum Ausdruck, das in der Gemeinschaft, im Sich- begegnen mit den Anderen Werte findet und zu Werten sich bekennt, die über das Materielle hinausgehen. Also: die Million, die Million, die Million – wie verzinst sich denn das? In Gesundheit und Lebensfreude!“

Ein Demokratie-stiftender Auftrag

Auch Oberbürgermeister Henßler, wie Heuss gebürtiger Schwabe, blickt über den engen Horizont einer allein auf Sparsamkeit bedachten Häuslebauer-Politik hinaus:
„Hieße es aber nicht, die Demokratie verneinen, wenn man ihr grundsätzlich Stätten verweigern wollte, die Menschen für eine Gemeinschaftsidee zu begeistern? Es gilt, in Großveranstaltungen über die widerstreitenden Interessen der Partei hinweg, Menschen das Bewusstsein zu schaffen, dass dieses Gemeinsame gepflegt werden muss.“

Parteitage und Mega-Partys

Für Gemeinschaftserlebnisse bietet die Dortmunder Hallen-Architektur beste Voraussetzungen. Neben sportlichen Wettbewerben finden Parteitage und Gewerkschaftskongresse statt. Als die Band Pink Floyd 1981 auf „Wall Tour“ geht, ist die Westfalenhalle eine unter weltweit nur vier Tourneestationen. Und zum jährlichen Techno-Musikfest „Mayday“ verwandelt der Fotograf Andreas Gursky 2006 das vier Etagen hohe Rund per Montage in einen Turm von 18 Stockwerken: die Westfalenhalle als Monument, überwältigend, aber – mit ihrer Glasfassade – durchaus nicht einschüchternd.