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Analyse der Hamburgwahl
"Man darf die FDP noch nicht totsagen"

Ein zugkräftiger Spitzenkandidat wie Olaf Scholz sei die halbe Miete, bilanziert Parteienforscher Frank Decker den SPD-Erfolg bei der Hamburger Bürgerschaftswahl. Das Verbleiben der FDP im Landesparlament sei ein wichtiges Signal für die Partei. Doch den Liberalen stünden die Schicksalswahlen erst bevor.

Frank Decker im Gespräch mit Mario Dobovisek | 16.02.2015
    Ein Wahlplakat von Katja Suding (Freie Demokraten, FDP) für die Bürgerschaftswahlen in Hamburg am 15. Februar 2015 wird an einer Straße geklebt.
    Wahlplakat von Katja Suding (Freie Demokraten, FDP) für die Bürgerschaftswahlen in Hamburg am 15. Februar 2015. (imago / PHOTOMAX)
    Im nächsten Frühjahr, bei den Wahlen der Parlamente in den Flächenländern Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, entscheide sich, ob die Freidemokraten auf Bundesebene noch eine Chance haben.
    Die Frage, ob der siegreiche Erste Bürgermeister Olaf Scholz nun als Kanzlerkandidat seiner SPD in den Ring steige, stelle sich bei den Sozialdemokraten zunächst einmal nicht, glaubt Frank Decker. "Das weiß er wahrscheinlich nur selber". Doch schon jetzt spiele Scholz in der Bundes-SPD eine gewichtige Rolle.
    Trotz des erstmaligen Einzugs der AfD in ein westdeutsches Landesparlament hält es der Bonner Politikwissenschaftler nicht für ausgemacht, dass sich die Partei etabliert. Interessanterweise habe es bislang in Deutschland im Unterschied zum europäischen Ausland noch keine rechtspopulistische Kraft gegeben. Möglicherweise übernehme die AfD diese Rolle.

    Das Interview in voller Länge:
    Mario Dobovisek: Haben in Hamburg die Sozialdemokraten gewonnen, oder waren das reine Scholzfestspiele?
    Frank Decker: Nein, das eine schließt das andere nicht aus. Auf der Landesebene spielt die Person des Regierungschefs eine noch herausgehobenere Rolle als im Bund, und insoweit ist es natürlich für eine Partei dann schon mehr als die halbe Miete, wenn sie einen zugkräftigen Mann an der Spitze hat.
    Dobovisek: Wie zugkräftig war Scholz?
    Decker: Das kann man an der sogenannten Direktwahlfrage ablesen, die die Demoskopen immer vor Wahlen stellen. Wir haben ja überall in den Ländern nicht die Möglichkeit den Regierungschef direkt zu wählen. Aber wenn man ihn direkt wählen könnte, dann haben die Hamburger gesagt, zu über 70 Prozent würden wir Olaf Scholz wählen. Nur 15 Prozent wollten seinen Gegenkandidaten, Dietrich Wersich. Und auch unter den CDU-Anhängern gab es sehr viele, 30 Prozent der CDU-Anhänger haben gesagt, Olaf Scholz ist eigentlich der bessere Mann, ihn wollen wir als Bürgermeister.
    Dobovisek: Olaf Scholz gilt in der SPD als, ja, sozusagen Anti-Gabriel, als möglicher neuer Kanzlerkandidat im nächsten Rennen gegen Angela Merkel. Doch heute, an seinem Siegesabend, will Scholz davon nichts wissen.
    O-Ton Olaf Scholz: "Ich glaube, das ist ein großer Schub für die ganze deutsche SPD, und deshalb freuen wir uns alle gemeinsam. Und ich hab hier als Bürgermeister kandidiert, und das will ich auch sein, und nicht was anderes."
    Dobovisek: Auftrieb also für die SPD, aber keine Rückkehr nach Berlin. Klare Worte von Olaf Scholz. Herr Decker, wie wichtig wird er künftig für die SPD sein?
    Decker: Er spielt heute schon, auch als Bundespolitiker, eine recht große Rolle. Er koordiniert die SPD-Länder bei den Bund-Länder-Verhandlungen. Er hat auch über den Bundesrat als Hamburger Bürgermeister wichtige Themen eingebracht, zum Beispiel das Thema Mietpreisbremse. Aber ob er tatsächlich dann auch in den Kreis möglicher Anwärter auf eine Kanzlerkandidatur gehört, das weiß er wahrscheinlich nur selber. Und das ist natürlich auch eine Frage, die sich jetzt noch für die SPD nicht stellt.
    Dobovisek: Das heißt, das Statement, der O-Ton, den wir gerade gehört haben, ist alles andere als in Stein gemeißelt?
    Decker: Wenn ich gewählt werde, muss ich immer im Prinzip für die volle Legislaturperiode antreten. Das heißt, selbst, wenn ich mich mit dem Gedanken trage, dann auf die Bundesebene zu wechseln, wird man das nicht dem Wähler dann schon vorher auch so sagen können.
    Von der Viereinhalb- zur Sechs-Parteienstruktur
    Dobovisek: Die AfD ist knapp drin in der hamburgischen Bürgerschaft, erstmals vertreten also in einem westdeutschen Landesparlament, und zwar neben fünf weiteren Parteien. Was bedeutet das?
    Decker: Das ist ein Trend, den beobachten wir in der Bundesrepublik seit der deutschen Einheit. Damals hat sich das Parteiensystem durch das Hinzutreten der Linken zu einer zuerst Viereinhalb-Parteienstruktur weiterentwickelt. Dann hat sich die Linke auch im Westen etabliert, da hatten wir ein Fünf-Parteiensystem. Wir haben drei Parteien im linken Lager, und es ist eigentlich eine interessante Frage, warum es in Deutschland im Unterschied zu vielen anderen europäischen Ländern keine rechtspopulistische Kraft im Parteiensystem gibt. Und das könnte sich jetzt möglicherweise ändern. Ich halte es noch nicht für ausgemacht, dass sich die AfD etabliert, genauso wenig, wie es ausgemacht ist, dass die FDP nun tatsächlich darauf hoffen kann, dass sie auch in den anderen Landesparlamenten und auch im Bund wieder eine größere Rolle spielt. Aber bei beiden Parteien war das doch auch ein wichtiges Signal.
    In Bremen "sicher kein Suding-Faktor"
    Dobovisek: Bleiben wir doch zum Schluss kurz bei der FDP. Christian Lindner, der FDP-Chef, sah Hamburg als Schlüsselwahl. Wie wichtig war Hamburg denn für seine Partei?
    Decker: Hamburg ist natürlich eine wichtige Wahl. Diese Wahl hat eine Signalfunktion. Im Mai wird es Wahlen in Bremen geben. Da sind die Voraussetzungen aber vielleicht schon etwas schlechter. Also, so etwas wie einen Suding-Faktor, den werden wir dann in Bremen sicherlich nicht erleben. Und die Schlüsselwahlen für die FDP, die wird es dann im nächsten Frühjahr geben in Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz. Da muss sie in die Landesparlamente kommen, um eben das Signal zu setzen, wir haben auch auf der Bundesebene wieder eine Chance. Und insoweit war das heute auch in Hamburg natürlich ein wichtiges Signal. Man darf die FDP noch nicht totsagen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.