Dienstag, 19. März 2024

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Anschlag in London
"Im Terrorismus sind Amoktaten eine Strategie geworden"

Andreas Zick, Konfliktforscher an der Universität Bielefeld, prognostiziert weitere Angriffe wie in London. Er sagte im Deutschlandfunk, die Grenzen seien fließend bei der Gewalt. Es werde zunehmend Amoktaten geben, die in Selbstradikalisierung ablaufen und an die sich Terrorgruppen dranhängen.

Andreas Zick im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 23.03.2017
    Sicherheitskräfte und Forensiker vor dem Parlament in London.
    Die Strategie des Terrors sei es, vor Ort sichtbar zu werden, sagte der Konfliktforscher Andreas Zick im Interview mit dem Deutschlandfunk. (AFP / Daniel LEAL-OLIVAS)
    Gerade Europa sei als Anschlagziel im Visier von Terrorgruppen - besonders vor dem Hintergrund, dass die Lage in Syrien und im Irak immer anstrengender werde für diese Gruppierungen. Der IS beispielsweise lässt sich nach Ansicht von Zick auch nicht von Kommunikationsstrategien beeindrucken, die das Wort "Terror" zu vermeiden versuchten. Die Strategie des Terrors sei es, vor Ort sichtbar zu werden und durch eine Tat wie in London Chaos zu verursachen. Es werde noch zu ganz anderen Taten aufgerufen werden.
    Viele Täter radikalisieren sich isoliert
    Zick sprach von einer "ultimativen Identität" solcher Täter wie in London. Diese Täter seien nur darauf programmiert, Chaos anzurichten, mit dem Heilsversprechen, danach als Held aufzugehen. Das sei allerdings vor Monaten noch ausgeprägter gewesen. Mittlerweile gebe es so viele Täter, dass die Terrorgruppen gar nicht nachkämen mit der Ehrung.

    Die Bereitschaft, mit einem Auto in einem Menge zu rasen und Menschen zu töten, verlange eine hochgradige Selbstdisziplinierung; dies könne durch eine Online-Welt befördert werden. Möglich sei das unter anderem dadurch, dass die Personen, die getötet würden, den Tätern gar nicht mehr als Menschen erschienen. Sie agierten in "vollkommener Isolation in einer isolierten Welt".
    Gute Präventionsprogramme in Deutschland
    Nach Einschätzung von Zick ist es allerdings möglich, Radikalisierung frühzeitig zu entdecken. Deutschland beispielsweise sei nicht schlecht aufgestellt in Hinsicht auf Präventionsprogramme. Viele böten Beratungsmöglichkeiten für Verwandte und Freunde, die häufig am ehesten ein Gespür für die ersten Phasen von Radikalisierung hätten.

    Das Interview in voller Länge:
    Ann-Kathrin Büüsker: Ersten Erkenntnissen zufolge handelte der Täter gestern in London alleine, fuhr mit einem SUV in eine Menschenmenge, um dann anschließend mit einem Messer anzugreifen. Ähnliches spielte sich ja letzte Woche am französischen Flughafen Orly ab: Ein Einzeltäter, der dort versucht hat, einer Soldatin die Waffe zu entreißen, um damit Menschen zu töten. Wir sprechen in diesen Fällen von Terroranschlägen beziehungsweise im Fall von Orly von einem versuchten Anschlag. Aber kann man das wirklich Terror nennen? Darüber habe ich vor dieser Sendung mit dem Bielefelder Konfliktforscher Andreas Zick gesprochen und ich habe ihn gefragt, ob das nicht eher Amokläufe sind.
    Andreas Zick: Ja, zum Teil sind das tatsächlich Amokläufe. Aber zu diesen Amokläufen wird von Terrorgruppen aufgefordert. Es wird dazu aufgerufen. Wir hatten 2015 explizite Aufrufe, genau solche Amoktaten zu begehen. Das heißt, im Terrorismus sind Amoktaten nun eine Terrorstrategie geworden. Das ist relativ schwierig.
    Wir hatten ja auch den Fall in München, diesen Amoklauf in München eines Täters, wo eine Zeit lang nicht klar war, ob das ein Terroranschlag war oder nicht. Die Grenzen sind fließend bei der Gewalt.
    Wir werden zunehmend sehen, dass wir tatsächlich auch Amoktaten haben, die vollkommen in Selbstradikalisierung ablaufen und an die sich dann Terrorgruppen dranhängen. Das ist schwierig, da vermischen sich im Moment die Grenzen.
    "Man möchte eigentlich durch solch' eine Tat Chaos herstellen"
    Büüsker: Wenn sich die Terrorgruppen dranhängen, wie Sie das sagen, sind wir dann nicht eigentlich besser beraten, wenn wir es gar nicht Terror nennen?
    Zick: Ja es kommt darauf an. Wenn wir es nicht so nennen, davon lassen sich Terrorgruppen wie der sogenannte IS überhaupt nicht beeindrucken. Wir müssen leider auch feststellen, auch wenn das frustrierend klingt, dass die Analysen, die wir durchführen, auch unser Versuch, damit dann in der Öffentlichkeit so umzugehen, dass es möglichst passgenau ist, die Terrorgruppen selber überhaupt nicht interessiert. Es gibt Strategien des Terrors, das sind immer die klassischen Strategien. Man erkundet vor Ort, man versucht, zu destabilisieren, sichtbar zu werden. Das heißt, man möchte eigentlich durch solch eine Tat Chaos herstellen, und da schert man sich nicht darum, wie wir das interpretieren. Das gehört mit zum Spiel.
    Insofern: Es ist hier im Moment eine Strategie. Es wird dazu aufgerufen. Es wird noch zu ganz anderen Taten aufgerufen, die wir noch gar nicht gesehen haben. Jetzt diese Anschläge mit einem Auto, mit Messer, mit Beil, die so etwas Amokmäßiges durchaus haben, da gibt es noch ganz andere Anschläge, zu denen der Terror im Moment aufruft. Es ist ja eindeutig klar, dass hier im Moment Europa das Anschlagsziel ist, umso mehr, als die Lage in Syrien, im Irak für die Terrorgruppen immer angestrengter wird.
    "Sie isolieren sich von der Mehrheitsgesellschaft"
    Büüsker: Herr Zick, wenn wir auf die Täter schauen. Sie haben eben das Wort Selbstradikalisierung verwendet. Was darf ich mir unter Selbstradikalisierung vorstellen?
    Zick: Wir werden sehen, dass der Täter schon sein Netz hat, dass er aber wahrscheinlich auch in London sehr viel sich im Internet bewegt hat, kommuniziert hat, dass die Täter über einen Zeitverlauf sich selber radikalisieren, indem sie sich einnisten in einer kompletten Terrorwelt, sich dort versuchen, eine neue Identität, eine neue Persönlichkeit anzuwerben. Wir haben das ja auch gesehen hier in Deutschland. Wir hatten einzelne Täter, Würzburg, Hannover. Dort haben wir Anschläge gesehen, wo die Täter sich lange im Netz bewegt haben und dort immer stärker ihre eigene Persönlichkeit, ihre Identität geswitcht haben, geändert haben, hin zu einem Mitglied von Terrorgruppen, aber nicht stark kommuniziert haben.
    Wir haben einzelne Täter, die gar nicht so aktiv eingebunden sind in bestimmte Terrorgruppen, die zum Teil überhaupt gar keine direkten Verbindungen haben ins Ausland, aber die sich dann hineinsteigern in diese Terrorwelt. Denn wir müssen ja sehen: Die Bereitschaft, mit einem Auto an einem bestimmten Punkt Menschen totzufahren, zu töten – und dazu bietet dann das Internet Strategien und Möglichkeiten an -, das verlangt auch eine hochgradige Selbstdisziplinierung. Wir können das nicht verstehen, weil wir solche Taten nicht nachvollziehen können, wie Menschen auf die Idee kommen können. Aber sie steigern sich da hinein. Sie isolieren sich von der Mehrheitsgesellschaft. Sie versuchen, sich einzurichten. Und alles das kann gesteuert sein durch eine Online-Welt.
    "Die Täter sind nur noch darauf programmiert zu töten"
    Büüsker: Wenn Sie sagen, Selbstdisziplinierung, heißt das, dass die Täter ihre Persönlichkeit ganz in den Dienst der Sache Terror stellen? Oder wie verstehe ich das?
    Zick: Ja, absolut. Genau! Ich habe mal den Begriff der ultimativen Identität verwendet. Die Täter sind eigentlich nur noch darauf programmiert zu töten, Chaos anzurichten, eben mit – und das kommt dazu – einem Heilsversprechen. Sie reden sich ein, sie trainieren, dass ihre Tat am Ende sie dann in eine Heilswelt bringt. Das heißt, man geht auf als Held, agiert für eine Sache. Das war vor Monaten noch sehr viel deutlicher, weil vor Monaten wurden all diese Täter noch verehrt im Internet. Mittlerweile gibt es so viele Täter, dass die Terrorgruppen gar nicht nachkommen. Aber diese Idee, dort aufzugehen und eigentlich nicht mehr auf die Personen zu achten, die man da tötet, sie erscheinen dem Täter gar nicht mehr als Menschen, das ist ein Akt, der darauf hinweist, dass hier eine vollkommene Isolation in einer isolierten Welt stattfindet, die auch gar nicht mehr darauf achtet, ob es irgendwelche alternativen Möglichkeiten, irgendwelche anderen Wege gibt.
    "Ein Gespür für die ersten Phasen der Radikalisierung"
    !Büüsker: Wenn wir dann auf die Prävention gucken. Welche Möglichkeiten gibt es, diese Täter überhaupt noch zu erreichen und solche Taten zu verhindern?
    Zick: Eigentlich gibt es sehr viele Möglichkeiten und in Deutschland sind wir gar nicht so schlecht aufgestellt. Wir haben mittlerweile sehr gute Netzwerke von Präventionsprogrammen. Wir haben vor allen Dingen in den Großstädten große Netzwerke von Präventionsprogrammen, die in Familien hineingehen. Wesentlich ist, diese Täter erscheinen vorher irgendwo im sozialen Raum. Wir haben ja auch bei dem Londoner Täter gesehen, er hat sich in kriminellen Milieus bewegt, hatte dann durchaus Kontakte zu islamistischen Gruppen.
    Diese Gruppen sind in einem bestimmten sozialen Raum. In der Regel werden wir auch feststellen, dass Bekannte, Verwandte, auch Familienangehörige im Vorfeld schon daran riechen. Sie haben ein Gespür dafür, dass sich hier eine Person isoliert und radikalisiert, sich nur noch mit bestimmten Themen befasst. Das haben wir in Deutschland immer wieder festgestellt. Das bedeutet, man muss bei der Prävention und Intervention ein Gespür haben für die ersten Phasen der Radikalisierung, und in der Regel haben besonders im sozialen Umfeld Verwandte, Bekannte und Freunde dieses Gespür. Und da muss man sich hineinbewegen, niemals mit der Sicherheit, dass man hundertprozentig nun alle identifizieren kann. In London ist ja die Situation so gewesen, dass man sehr auf öffentliche Kontrolle gebaut hat.
    In Deutschland sind wir bei der Prävention soweit, dass sich die Präventionsprogramme vernetzen, dass vor allen Dingen aber auch sie sich in den sozialen Raum, in die Familien frühzeitig hineinbewegen können, auch wenn Radikalisierung immer schneller geht binnen von Monaten. Der Auftrag zum Terrorakt erfolgt, wo dann binnen von wenigen Monaten die Ideologie in die Tat umgesetzt wird. Dennoch ist diese Radikalisierung ein längerer Prozess. Das heißt, sie ist dann auch präventionsmöglich.
    Wenig Beratungsangebote im ländlichen Raum
    Büüsker: Nehmen wir an, eine Familie stellt fest, der älteste Sohn, der verändert sich irgendwie, der rutscht da vielleicht in irgendwas rein, welche ganz konkreten Möglichkeiten hat dann die Präventionsarbeit, diesen Mann irgendwie zu erreichen?
    Zick: Ja. Zum Beispiel kann sie aus dem Stand bei einem Telefon beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge anrufen. Dort ist ein Telefon eingerichtet und davon machen viele Menschen Gebrauch. Vor allen Dingen Mütter, vor allen Dingen die Geschwister. Es sind vor allen Dingen Frauen, die dort anrufen und sich beraten lassen. Es gibt durchaus eine ganze Reihe von Beratungsstellen. Wenn das auffällt, sollte man das nicht versuchen, zu ignorieren, herunterzuspielen, sondern man sollte gucken, wem kann ich in meinem sozialen Umfeld vertrauen. Schwierig ist es eher im ländlichen Raum. Dort gibt es wenig Beratungsangebote.
    Die Städte sind besser aufgestellt. Aber es gibt durchaus Möglichkeiten. Man kann sich im Internet informieren. Wesentlich ist, sich sorgfältig beraten zu lassen, weil wir haben diese Gratwanderung. Wir dürfen nicht vorschnell etikettieren und nicht vorschnell Jugendliche in eine Schublade hineinstecken, wenn sie etwa provozieren, wenn sie mit bestimmten Symbolen operieren, dass sie vorschnell als Terroristen oder was auch immer, Gewalttäter etikettiert werden. Es gibt durchaus immer mehr und bessere Angebote. Da kann man allerdings noch besser die Projekte miteinander vernetzen. Wir wissen auch noch nicht so ganz genau, welche Projekte erfolgreich sind, woran der Erfolg hängt und welche Projekte weniger erfolgreich sind. Aber es gibt durchaus in Deutschland mittlerweile eine ganze Reihe von Möglichkeiten.
    Büüsker: ... sagt Andreas Zick, Konfliktforscher an der Uni in Bielefeld. Das Interview haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.