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Ausstellung mit Werken von Ludwig Binder 1967/68
"Revolte" - Fotografien einer heißen Zeit

Die wilden 60er-Jahre in Berlin. Randale, Pflastersteine, Demos. Und immer zur Stelle Ludwig Binder - freier Fotograf, der nicht der Springerpresse verpflichtet ist und auch unter Revoluzzern einen guten Namen hat. Jim Rakete lernte bei ihm und eröffnete jetzt eine Ausstellung mit Binders Bildern.

Von Veronika Bock |
    Beim Staatsbesuch des persischen Schah demonstrieren Berliner Studenten 1967 gegen das repressive Regime des Herrschers. Vor dem Rathaus in Schöneberg kommt es am 2. Juni zu Ausschreitungen zwischen Demonstranten, Schah-Anhängern und der Polizei.
    "Schah-Besuch" - Beim Staatsbesuch des persischen Schah demonstrieren Berliner Studenten 1967 gegen das repressive Regime des Herrschers (Ludwig Binder/Stiftung Haus der Geschichte)
    "Das, meine Damen und Herren, ist die Begrüßung der etwa 500 Studenten, die auf der gegenüberliegenden Seite des Einganges der Deutschen Oper Berlin hinter den Sperrgittern der Polizei stehen", kommentiert ein Journalist 1967.
    "In der Nacht, in der dann Benno Ohnesorg erschossen worden ist, brachen dann ja die revolteartigen Situationen aus, und Ludwig Binder hat tatsächlich in dieser Nacht, in dem Hinterhof fotografiert, in dem der Benno Ohnesorg erschossen wurde, was dann später bei dem Prozess gegen den Hauptmeister Kurras auch eine Rolle spielt, weil er konnte an Hand eines Kleinbildfilms, der unzerschnitten war, beweisen, dass der nicht zufällig da rein und wieder rausgegangen war", erklärt Jim Rakete.
    Pflastersteine als Spuren der Gewalt: Am 4. November 1968 kommt es am Berliner Landesgericht zur "Schlacht am Tegeler Weg". Auslöser ist ein Ehrengerichtsverfahren gegen Rechtsanwalt Horst Mahler.
    Pflastersteine als Spuren der Gewalt: Am 4. November 1968 kommt es am Berliner Landesgericht zur "Schlacht am Tegeler Weg". Auslöser ist ein Ehrengerichtsverfahren gegen Rechtsanwalt Horst Mahler (Ludwig Binder/Stiftung Haus der Geschichte)
    Er erinnert sich: an die Proteste gegen den Schah 1967, an Benno Ohnesorg, den Studenten, der erschossen wurde und an Ludwig Binder, den Fotografen, der vor Ort war.
    "Das war deswegen so ein wichtiger Tag für mich jetzt persönlich, weil ich damit quasi aufgesprungen bin auf den Zug, (…) wollte ich unbedingt berichten über den gesamten Quatsch, weil die Zeitungen nicht so viel darüber brachten, die haben das immer aus der Sicht der Polizei geschildert (…) und das empörte mich damals sehr."
    Als Jim Rakete sich empört, ist Ludwig Binder bereits etablierter Fotograf in Berlin, hat gerade sein eigenes Fotostudio gegründet, arbeitet freiberuflich. Zuvor wollte er was Ordentliches werden, hat studiert, doch dann begeistert er sich für Jazz und für die Fotografie. Schmeißt das Studium hin, greift zu Kamera.
    Binder hört den Polizeifunk ab, jagt mit dem Taxi hinterher
    "Er war ein Mensch, der mit einem Foto eigentlich immer eine Begegnung verbunden hat", erzählt Jim Rakete über Binder. "Viele von diesen Leuten kannte er, auf beiden Linien dieser Gefahrenlinie. Er kannte bestimmt auch ein paar Polizisten, aber er kannte sehr viel mehr originelle Studenten oder solche Leute wie Fritz Teufel oder Rudi Dutschke natürlich."
    Fritz Teufel am Tag seiner Haftentlassung mit Adventskranz auf dem Kopf. Zwei tropfnasse Studenten, die sich dem Strahl eines Wasserwerfers entgegenstemmen. Jubelperser, die auf Demonstranten einprügeln. Die Schuhe von Rudi Dutschke, die nach dem Attentat auf ihn als Beweisstück auf der Straße liegen, eingekreidet.
    "Dutschke-Attentat" - Blick auf den Tatort: Am 11. April 1968 schießt Josef Bachmann den Studentenführer Rudi Dutschke dreimal auf offener Straße an.
    "Dutschke-Attentat" - Blick auf den Tatort: Am 11. April 1968 schießt Josef Bachmann den Studentenführer Rudi Dutschke dreimal auf offener Straße an (Ludwig Binder/Stiftung Haus der Geschichte)
    "Vor dem Schöneberger Rathaus versuchten die Demonstranten, die Sperrung an der Bannmeile zu durchbrechen", heißt es in einer historischen Aufnahme von 1968.
    Binder hört den Polizeifunk ab, jagt mit dem Taxi den Ereignissen hinterher. Er ist ein Allrounder. Liebt die schönen Künste, fotografiert leidenschaftlich gern Musiker, Tänzer, Schauspieler, aber eben auch Großfeuer und Morde, das ganz Programm. In Berlin ist er bekannt wie ein bunter Hund. Auch Jim Rakete kennt seinen Namen, klingelt mit 16 an der Tür von Binders Studio.
    Fängt wie kein anderer die Stimmung im aufgeheizten Berlin ein
    "Ich fragte ihn dann ganz keck, ob er Kaffee trinke, und dann sagt er selbstverständlich, und dann hab ich gesagt, in Zukunft würde ich ihm den machen und auch die Kohlen hochbringen für seinen Ofen und auch die Negative einschneiden usw. (…) also ein richtiger Praktikumsjob."
    Plakat zur Ausstellung "Revolte! Fotografien von Ludwig Binder 1967/68"
    Plakat zur Ausstellung "Revolte! Fotografien von Ludwig Binder 1967/68" (JahnDesign, Thomas Jahn)
    Jim Rakete arbeitet sich vor, zu dem Vitrinenschrank, in dem die Kameras stehen. Bietet sich an, mal einzuspringen. Jimi Hendrix, ist doch zu laut für den Jazzfreund Binder, und außerdem hat der doch schon einen anderen Termin. Jim bekommt seine Chance, guckt sich ab, was ihm an Binder gefällt, z. B. dessen eiserne Prinzipien.
    "Dass er immer fand, man müsste jede Geschichte so fotografieren, als wenn sie eine Riesengeschichte wär. Und das zweite Prinzip war, dass er immer sagte: Herr Rakete, so lange man Zeitung lesen kann, kann man auch fotografieren. Also im Dunkeln, ja, der hatte so 'ne ruhige Hand, dass er auch, hier jetzt, weiß ich nicht, ein Stück Koks unter dem Stuhl fotografiert hätte, ohne ein Stativ zu brauchen."
    Ludwig Binder, der Fotojournalist mit dem Gespür für den richtigen Moment, der wie kein anderer die Stimmung im aufgeheizten Berlin einfangen konnte. Seine Bilder hat jeder schon mal gesehen, jetzt werden sie in der Ausstellung endlich auch mit seinem Namen verknüpft.
    "Revolte. Fotografien von Ludwig Binder 1967/68" ist vom 30. Juni 2017 bis 11. März 2018 im Haus der Geschichte in Bonn zu sehen. Der Eintritt ist frei.