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Vor 450 Jahren in Frankreich
Die "Bartholomäusnacht" - ein staatlich orchestriertes Blutbad

Es war eine Zäsur in den französischen Konfessionskriegen des 16. Jahrhunderts. In dem später „Bartholomäusnacht“ genannten - staatlich  angeordneten - Pogrom vom 24. August 1572 starben in Paris etwa 3.000 Hugenotten. Weitere Massaker folgten in der Provinz.

Von Winfried Dolderer | 23.08.2022
Die Bartholomäusnacht - Pogrom in Paris an den französischen Protestanten in der Nacht vom 23. zum 24. August 1572. Kupferstich von Matthäus Merian von 1630
Die Bartholomäusnacht - Pogrom in Paris an den französischen Protestanten in der Nacht vom 23. zum 24. August 1572. Kupferstich von Matthäus Merian aus dem Jahr 1630 (picture-alliance / akg-images / akg-images)
In der Nacht vom 23. auf den 24. August 1572, dem Tag des heiligen Bartholomäus, läutete vom Turm der Pariser Kirche Saint Germain l'Auxerrois die Sturmglocke. Um diese Zeit brachen Bewaffnete die Tür des nahe gelegenen Hauses auf, in dem Admiral Gaspard de Coligny untergebracht war. Die Wachen im Erdgeschoss waren schnell niedergemetzelt, dann stürmten die Angreifer die Treppe hinauf, wo Coligny sie in seinem Zimmer erwartete. Von Degen und Spießen durchbohrt, wurde er sterbend aus dem Fenster geworfen.

Historiker: "Das erste moderne Staatsmassaker"

Der Admiral war der Militärchef der französischen Hugenotten. In drei konfessionellen Bürgerkriegen seit 1562 hatte er ihre Truppen befehligt. Seine Ermordung war der Auftakt eines Pogroms gegen die protestantische Minderheit, das unter dem Namen „Bartholomäusnacht“ in die Geschichte eingegangen ist, und das der französische Historiker Pierre Monnet das „erste moderne Staatsmassaker“ nennt: „Ein Massaker, geführt, geordnet, organisiert, nicht spontan von Leuten, nicht spontan von irgendwelchen Gruppen, sondern von oben geregelt und geordnet.“

Dreitägiges Plündern und Morden

Allein in Paris starben Schätzungen zufolge bis zu 3.000 Protestanten. Drei Tage lang zogen königliche Truppen, städtische Milizen und ein blutgieriger Mob mordend und plündernd durch die Straßen. Ein Chronist schrieb:
„Die Katholiken plünderten alle Hugenotten dieser Stadt, vernichteten sie und warfen sie in den Fluss. (…) Die Straßen waren übersät mit nackten und verstümmelten Leichen, der Fluss war davon bedeckt.“

Ein zerrissenes Frankreich

Frankreich war in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ein Land in der Krise und eine gespaltene Gesellschaft. Zwei Machtblöcke standen einander bewaffnet gegenüber, das protestantische Lager gegen die katholische „Liga“. Das Königshaus lavierte zwischen beiden. Seit dem Tod Heinrichs II. durch einen Turnierunfall 1559 führte seine Witwe Katharina von Medici für den minderjährigen Nachfolger Franz II. später auch für dessen jüngeren Bruder Karl X. die Regierungsgeschäfte. Generationen von Historikern haben ihr die Hauptschuld am Massaker zugewiesen.
Doch, so Pierre Monnet „seit mehreren Jahrzehnten findet eine gewisse Rehabilitierung von Katharina von Medici statt, die immer versucht hat, diesen komplexen Staat Frankreich zwischen zwei Extremen im Gleichgewicht zu halten. Sie hat ein starkes Bewusstsein für den Zusammenhalt des Königreichs.“

Welche Rolle spielte Katharina von Medici?

Mehrfach hatte sich Katharina um Ausgleich bemüht, etwa im Herbst 1561 ein Religionsgespräch katholischer und protestantischer Theologen veranlasst, bei dem die erhoffte Annäherung jedoch ausgeblieben war. Anfang 1562 ein Toleranzedikt erlassen, in dem für Protestanten begrenzte Religionsfreiheit vorgesehen war. Mit Blick auf die Stabilität des Staates betrieb sie schließlich die Heirat ihrer Tochter Marguerite mit dem jungen Heinrich von Navarra, dem politischen Anführer der Hugenotten. Zur Hochzeit im August 1572 hatte sich die Prominenz des protestantischen Lagers in Paris versammelt.
Das alles änderte nichts am konfessionellen Konflikt. Der Bischof von Paris wetterte gegen die Ehe der Königstochter mit einem Ketzer. Zugleich drängte der protestantische Admiral Coligny zum Krieg mit der katholischen Vormacht Spanien, um die aufständischen Geusen in den Niederlanden zu unterstützen. Damit störte er Katharinas Kreise, so Pierre Monnet: "Dass sie eventuell (…) gespielt hat mit der Idee, dass mit 50 oder 100 Ermordungen oder Gefangennahmen die Situation geregelt würde, das hat sie bestimmt gedacht.
Das Morden entglitt der Kontrolle der Regierung. Bis in den Herbst 1572 flackerten in verschiedenen Regionen und Provinzstädten Frankreichs immer wieder blutige Pogrome gegen die protestantische Minderheit auf. Weitere konfessionelle Bürgerkriege folgten, die mehrheitlich protestantischen Provinzen im Süden erkämpften eine faktische Selbstständigkeit. Erst nachdem Heinrich von Navarra 1589 als Heinrich IV. den französischen Thron bestiegen hatte, gelang eine anhaltende Befriedung.