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Beckmann kritisiert WM-Ticketvergabe

Reinhold Beckmann, Fernsehkommentator beim Finale der Fußball-Weltmeisterschaft, hat die Kartenvergabe zu den WM-Spielen kritisiert. "Es ist schade, dass dieser ganze Kartenverkauf so etwas von kompliziert ist", sagte er. Der Fußballfan, der am Samstag zur Bundesliga ins Stadion geht, werde bei der Weltmeisterschaft nicht zu sehen sein. Er hoffe, die Zuschauer mit Sponsoreneinladungen klatschten an der richtigen Stelle.

Moderation: Bernd Gäbler |
    Bernd Gäbler: Herr Beckmann, ist das der Höhepunkt Ihrer Fernsehkarriere?

    Reinhold Beckmann: Also ich finde das schon mal erst einmal eine große Ehre. Ich freue mich sehr darauf, weil, ich kann mich ja noch erinnern, wie ich mit meinen Brüdern zuhause gesessen hab, am Samstagnachmittag, nachdem wir selbst gespielt hatten, so in der D- oder in der C-Jugend. Und dann haben wir die Kommentatoren immer gemeinsam nachgeäfft. Und da haben wir uns schon, meine Brüder und ich, ein bisschen dahin geträumt, irgendwann mal vor dem Mikrofon zu sitzen und ein Spiel zu kommentieren.

    Gäbler: Ist das ein Generationswechsel, ein Bruch, von, sagen wir einmal, Blasmusik zu Pop?

    Beckmann: Ja, die Erzählweise ist ja heute ganz anders. Also wenn ich drei oder vier oder fünf Kameras habe und ein Spiel wird, wie damals Italien - Deutschland das Halbfinale in Mexiko, dieses 4:3, dann ist das natürlich auch eine andere Erzählweise. Heute bei einem Spiel - wir haben ja hier bei ganz normalen Produktionen schon bis zu 20 Kameras und bei der Weltmeisterschaft werden es 25 Kameras sein - ist natürlich auch die Sprache und das Folgen des Spiels durch die Sprache ganz, ganz anders.

    Gäbler: Was ist denn das wesentlich andere? Ist es sozusagen jetzt erst eine vollständige Emanzipation von der Radioreportage? Beschreiben Sie noch, was Sie sehen, oder gar nicht mehr?

    Beckmann: Mehr Analyse, viel mehr Analyse als damals und tatsächlich eine Emanzipation von der reinen Beschreibung, weil, die Bilder sind so stark, so genau, dass der Zuschauer vieles selber sieht. Und für mich gilt als Kommentator, zwar die emotionale Seite auch zu bedienen, aber auf der anderen Seite: Du darfst nicht zu viel quasseln. Du darfst nicht nerven, du musst auch mal ruhen, du musst auch mal 30, 40 Sekunden Pausen einlegen.

    Gäbler: Machen Sie das nach Instinkt, nach Erfahrung oder auch nach Planung?

    Beckmann: Im Grunde genommen ist es Instinkt. Du weißt ganz genau, jetzt ruht der Ball und es ist keine dichte, enge Situation. Jetzt kannst du auch mal deinen Mund halten. Wenn es darum geht, Sachen zu erklären, die bei 25 Kameras der Zuschauer trotzdem nicht sofort sieht, da musst du dann da sein, finde ich. Und alles was in Strafraumnähe kommt, was dicht ist, was schnell passiert, wo es irgendwie sich zuspitzt, da darf man auch nicht fehlen.

    Gäbler: Der noch amtierende ARD-Sportkoordinator hat einmal gesagt, eine wesentliche Aufgabe des guten Sportjournalismus sei es, die Emotionen zu transportieren. Ist das dann anders, wenn Deutschland im Finale ist?

    Beckmann: Es ist ja so, dass wir Reporter, durchaus irgendwie berechtigt, ein bisschen emotionaler mit dem deutschen Team umgehen können und sie auch ein bisschen, ja, so begleiten, dass es einfach, dass man merkt, hey, das ist jetzt nicht nur ein Reporter, sondern da sitzt auch ein Fan.

    Gäbler: Jetzt werden ja, wenn da, ich weiß nicht 25, 26, 28, 30 Millionen Menschen bei diesem Finale zuschauen, werden ja viele dabei sein, die sonst nicht Fußball gucken. Ist das anders als ein normaler Bundesligabericht?

    Beckmann: Herr Gäbler, ich bin gerührt, endlich kommen Sie mit den richtigen Blicken. Es hat noch keiner irgendwie bisher geschrieben. Es ist nämlich - und es war bei der Europameisterschaft in Portugal auch so - es ist ein ganz anderes Publikum da. Wenn ein ganz normales Fußballspiel zwischen Frankreich und, ich weiß nicht, Tschechien, nehmen wir einmal an, von 18, 20 Millionen geguckt wird, dann sind das 10 Millionen mehr, die normalerweise ein Fußballspiel gucken, ein Live-Spiel Bundesliga oder ein Länderspiel Italien gegen Deutschland. Das heißt, wir haben ein ganz neues Publikum, die möglicherweise nicht so genaue Fußballkenntnisse haben, aber die gerne dabei sind. Und man kann dann, glaube ich, so ein Spiel nicht begleiten wie ein Trainerseminar in Barsinghausen.

    Gäbler: Sie haben gesagt, dass sich die Sprache verändert hätte. Achten Sie darauf, nehmen Sie sich was vor?

    Beckmann: Nein, also was ich nicht so mag, was man aber hie und da nicht verhindern kann, ist so Stehsätzliches, also Formulierungen für Situationen, die immer wieder kommen. Man muss die Sprache ja auch nicht so verfremden, dass das Fußballspiel nicht mehr zu erkennen ist. Das Schöne ist ja die Einfachheit des Spiels, und dass im Fußball Dinge passieren, die überhaupt nicht was mit Berechnung zu tun haben.

    Gäbler: Das Fernsehen verändert den Fußball. These: Die vielen Zeitlupen, insbesondere bei Fouls, verharmlosen letztlich die Fouls.

    Beckmann: Ja, sozusagen die Versoßung durch die Superzeitlupe, genau.

    Gäbler: Der Einsatz von so viel Grafik zum Beispiel zum Abseits.

    Beckmann: Ich finde, das entlastet uns ja ein bisschen, wenn da eine Linie gezogen wird und man kann ganz deutlich sehen: "Oh, guck mal da, war doch Abseits."

    Gäbler: Die vielen Kameras, die Nahaufnahmen, verführen zu Theatralik, insbesondere die gefoulten Spieler. Stimmt das?

    Beckmann: In England nicht, in Deutschland ja. Also das ist wirklich ein ganz großer Unterschied. Und ich finde die Diskussion auch richtig, die da jetzt entfacht ist. Also in England stehen die Spieler einfach auf, weil sie sonst den Spott gar nicht aushalten würden, der von den Rängen kommt.

    Gäbler: Was kommt denn noch? Kommt jetzt die Kamera im Torpfosten, die Kamera im Stutzen, die Kamera im Ball, O-Töne aus den Kabinen?

    Beckmann: Ich würde da mal ein bisschen vorsichtig sein. Mich ärgern ja schon diese Interviews nach dem Spiel. Seitdem da diese Sponsorenwände stehen, haben die so etwas Konfektioniertes. Und ich finde, da muss mal wieder eine richtige Gesprächsform gesucht werden. Die Spieler glauben, mit irgendwie so einem banalen Satz dann gleich weggehen zu können. Oliver Kahn guckt Kaugummi kauend in den Himmel, guckt dem jungen Reporter noch nicht einmal in die Augen, das ist das, was mich ärgert, wo Qualitatives unbedingt irgendwie verbessert werden müsste.

    Gäbler: Wenn man einfach die Aufnahmetechnik vergleicht des normalen Fußballs und American Football, ist es ja zum Beispiel so, dass etwa die Entscheidung der Schiedsrichter beim American Football öffentlich erklärt wird. Wird so etwas bei unserem Fußball auch kommen?

    Beckmann: Ich hoffe nicht, weil ein Stück Streitkultur einfach dann fehlen würde, Streitkultur vor dem Fernseher, Streitkultur im Stadion. Die Rolle des Zuschauers als besserer Schiedsrichter, als besserer Trainer, als besserer Spieler, als besserer Kommentator, das ist doch Teil des Spiels, Teil der Faszination Fußball.

    Gäbler: Fürchten Sie für diese Weltmeisterschaft die Entwicklung, dass es in den Stadien eine Art Operettenpublikum gibt und das eigentliche Fanpublikum beim Public Viewing ausharrt?

    Beckmann: Na ja, der normale Fußballfan, der am Samstag ins Stadion geht, der ist bei der Weltmeisterschaft nicht im Stadion zu sehen. Das ist traurig. Man muss einfach einmal gucken, wie die lieben Zuschauer der Sponsoren, wie fußballkundig die sind. Ich hoffe, sie klatschen alle an der richtigen Stelle. Aber es wird ein komplett anderes Publikum sein. Es ist schade, dass dieser ganze Kartenverkauf so etwas von kompliziert ist.

    Gäbler: Wann ist eine Übertragung, wann ist eine Kommentierung gelungen?

    Beckmann: Ach, wenn man mit beiden Arschbacken im Spiel sitzt.