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"Beide Farbenkonstellationen wären für uns denkbar"

Die Gewerkschaft Ver.di zieht eine Große Koalition nicht einer schwarz-grünen Regierung vor. Sowohl mit der SPD als auch mit den Grünen könne die Union die notwendigen Korrekturen der Agenda 2010 machen, sagt der stellvertretende Ver.di-Vorsitzende Frank Werneke.

Frank Werneke im Gespräch mit Gerd Breker |
    Gerd Breker: Da sorgt sich einer und will es genau wissen. Bundespräsident Joachim Gauck hat die Parteivorsitzenden zu Vier-Augen-Gesprächen ins Schloss Bellevue zitiert. Aus erster Hand will er erfahren, wie es weitergehen soll. Das ist schon etwas Besonderes, weil offiziell und weil der Bürger Joachim Gauck wie wir anderen Bürger auch die Ernsthaftigkeit der Koalitionsfindung im Vordergrund sieht. Es geht um die Sache, um die Probleme dieses Landes, nicht um Taktik um der Taktik willen.

    So ist das: Jedes Wahlergebnis muss erst einmal von den Parteien verarbeitet werden. Was wollte der Wähler eigentlich der Politik sagen? Nun, wenn wir auf die Demoskopen hören, dann sind, wenn wir auf die Bildung einer neuen Regierung schauen, im Wesentlichen zwei Dinge rauszuhören: Angela Merkel soll Bundeskanzlerin bleiben und zum anderen die am liebsten in einer sogenannten Großen Koalition. Die Botschaft ist wohl durchgedrungen, nur verdecken die taktischen Spielereien den Blick auf die zu lösenden Probleme, denen sich dieses Land gegenübersieht. Noch diese Woche wollen Union und SPD sondieren. Es wird ein Zeitspiel werden, auch wenn die Zeit drängt.
    Am Telefon sind wir nun verbunden mit Frank Werneke, stellvertretender Bundesvorstand von ver.di. Guten Tag, Herr Werneke.

    Frank Werneke: Schönen guten Tag.

    Breker: Unabhängig davon, Herr Werneke, wie die Regierung am Ende aussehen wird, die Probleme dieses Landes, die sind schon da, teilweise auch schon lange da, weil sie von der letzten Regierung gar nicht wirklich angegangen wurden. Was, Herr Werneke, sind aus Sicht der Gewerkschaften die Herausforderungen, die als nächstes angegangen werden müssen?

    Werneke: Ich will als Erstes nennen, dass es notwendig ist, wirksame Schritte gegen das Auseinanderdriften der Gesellschaft zu unternehmen. Was meine ich damit? Auf der einen Seite ist es so, dass Vermögende und Top-Verdiener einen zu geringen Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens leisten und auf der anderen Seite ein immer größerer Teil der Bevölkerung, auch von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, in unsicheren, in prekären Beschäftigungsverhältnissen sich bewegen, die dann auch wiederum negative Auswirkungen auf ihre Rentenerwartungen haben werden. Das sind dann ganz konkrete Themen: Also die Schaffung eines gesetzlichen Mindestlohnes, ohne dass dort ein Flickenteppich entsteht, sondern tatsächlich ein sicheres Mindest-Niveau von mindestens 8,50 Euro für alle. Es geht darum, den Missbrauch von Werkverträgen anzugehen. Es geht darum, für Leiharbeit gleichen Lohn für gleiche Arbeit auch für Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer durchzusetzen. Das sind ein paar wichtige Punkte, die auf jeden Fall auf der Erwartungshaltung von uns stehen.

    Breker: Das heißt, die Korrektur der Agenda von Gerhard Schröder?

    Werneke: Ja. Das sind Korrekturen, die notwendig sind. Zumindest die SPD hat ja auch zugestanden, im Wahlkampf mit ihrem Wahlprogramm, dass nicht alles, vielleicht sogar vieles falsch war bei der Agenda 2010. Und auch die Union hat ja, zumindest bezogen auf den Mindestlohn, zum Teil auch auf Themen wie Werkverträge, durchaus Problembewusstsein gezeigt, hat in der letzten Legislaturperiode dann immer auf die FDP verwiesen, dass man mit der nichts machen könne, und nun gibt es ja eine neue Konstellation. Und egal, ob es nun zu Gesprächen mit den Grünen oder mit der SPD kommt, mit diesen beiden Parteien müssten diese dringend notwendigen Korrekturen zu machen sein. Da geht es dann auch um die Glaubwürdigkeit der Union.

    Breker: Sagen Sie das deshalb, weil das am ehesten möglich erscheint, am ehesten ein Kompromiss zwischen Union und vermutlich der SPD sein könnte?

    Werneke: Das ist sicherlich ein Themenkomplex, wo man sich leichter Einigungen und Kompromisse vorstellen kann als bei anderen Punkten. Das ganze Steuerthema wird ja im Moment sehr kontrovers diskutiert. Aber ich finde, auch das kann man nicht ausklammern, weil wenn gesagt wird, dass es erhebliche Infrastruktur-Probleme gibt in Deutschland, sowohl was die Bundesaufgaben betrifft, also Verkehrswege, als auch was die Finanzierung der Kommunen betrifft, wenn gesagt wird, es muss mehr getan werden, um das Rentenniveau abzusichern – das sagt ja auch die Union -, wenn gesagt wird, es muss mehr getan werden, um das Gesundheitswesen zu stabilisieren, Pflege zu verbessern, dann wird das nicht gehen, ohne dass es auch zusätzliche Einnahmen für den Staat gibt. Ich glaube, man kann sich um dieses Thema nicht drum herumrücken.

    Breker: Sie haben die Rentenversicherung, Sie haben die Pflegeversicherung angesprochen. Sind wir ausreichend vorbereitet auf den demografischen Wandel?

    Werneke: Ich denke, am meisten muss uns Sorge machen die zukünftige Entwicklung der Rentenversicherung. Nach der jetzigen Rentenformel ist es so, dass im Jahre 2030, wenn jemand dort in Rente geht – und das ist ja für viele ein absehbarer Zeitpunkt -, ein Normalverdiener 43,5 Jahre gearbeitet haben muss, ununterbrochen, um überhaupt auf ein Grundsicherungsniveau zu kommen. Und viele, viele Menschen, gerade die, die in Minijobs arbeiten, die in Niedriglöhnen arbeiten, fallen längst noch mal darunter. Das führt dazu, dass dieses ganze Rentenversicherungs-System delegitimiert wird, und deshalb ist die Frage, wie kann eigentlich eine auskömmliche Rente, die auch auf die Lebensleistung von Menschen tatsächlich Rücksicht nimmt und sie würdigt, eine zentrale Herausforderung, weil sonst ist Altersarmut, was heute noch eher ein Ausnahmeproblem ist, ein großes Problem für einen Zeitpunkt in wenigen Jahren. Und wenn dort Weichenstellungen gemacht werden sollen, dann müssen sie jetzt gemacht werden, dann können sie nicht erst 2020 oder 2030 gemacht werden.

    Breker: Herr Werneke, wir haben derzeit die höchsten Steuereinnahmen, die man sich in dieser Republik überhaupt nur vorstellen kann. Zu diesem Zeitpunkt über Steuererhöhungen zu reden, ist das nicht ein bisschen verfrüht? Müsste man nicht erst einmal feststellen, was man für eine Politik betreiben will, etwa in Sachen Renten, welche Rentenreform es sein soll, wer da was bezahlen soll, um zu wissen, um welche Summen es sich handelt, bevor man erklärt, wir erhöhen die Steuern?

    Werneke: Ja! Aber die Steuerlast ist ja sehr ungleich verteilt. Wir haben deshalb so hohe Steuereinnahmen, weil die Lohn- und Einkommenssteuer aufgrund der guten Beschäftigungsentwicklung zur Staatsfinanzierung beiträgt. Aber es ist doch eigentlich nicht akzeptabel, dass Spitzenverdiener weder auf ihre Vermögen Steuern bezahlen, noch auf ihre Kapitalerträge Steuern bezahlen, dass Finanztransaktionen nicht besteuert werden. Das sind Steuerbelastungen, die für die breite Bevölkerung keine negativen Auswirkungen haben, aber die notwendig sind, um Zukunftsinvestitionen in diesem Land zu finanzieren, weil die Steuern sind zwar gestiegen, aber sie sind gestiegen mit der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung und der Entwicklung des Bruttosozialproduktes. Die strukturellen Defizite, die Unterfinanzierung der Kommunen, die Unterfinanzierung der Infrastruktur ist ja ohne Weiteres da und wird ja auch ernsthaft von niemand bestritten.

    Breker: Die Zeichen stehen derzeit, Herr Werneke, auf eine Große Koalition. Ist das auch aus Sicht der Gewerkschaften eigentlich eine Wunschkonstellation?

    Werneke: Nun, es ist nicht an uns, in Koalitionsgespräche vorab einzubringen. Ich sehe das auch so als Beobachter, dass eine Große Koalition sicherlich die wahrscheinlichere Perspektive ist, allein aufgrund der inneren Verfasstheit der Grünen. Aber beide Farbenkonstellationen wären für uns denkbar und auch das Programm der Grünen hat ja eine ganze Reihe zum Beispiel steuerpolitische, aber auch arbeitsmarktpolitische Impulse, die sehr stark an dem orientiert ist, was wir auch als Gewerkschaften fordern.

    Breker: So dass Sie an eine Große Koalition, an die SPD in dem Fall, keinen Druck ausüben würden, doch die Große Koalition einzugehen?

    Werneke: Das werden wir sicherlich nicht machen. Wir werden das tun, was wir eigentlich immer bei Koalitionsverhandlungen gemacht haben: Wir werden an alle Parteien, wir werden auch an die CDU und CSU selbstverständlich herangehen, um unsere Vorstellungen, bezogen auf einen Koalitionsvertrag, auf Regierungsschwerpunkte für die nächsten vier Jahre, einzubringen, und da behandeln wir alle Parteien gleich.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das Frank Werneke, stellvertretender Bundesvorstand von ver.di. Ich danke Ihnen sehr, Herr Werneke.

    Werneke: Vielen Dank!


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