Weniger als eine Woche vor Ablauf der Brexit-Übergangsphase haben Großbritannien und die EU ihren mühsam ausgehandelten Handelspakt für die Zeit danach veröffentlicht. London und Brüssel hatten am Heiligabend einen Durchbruch bei den Gesprächen verkündet. Fast 1250 Seiten umfasst das Abkommen, das unter anderem Fragen zum Handel, der Zusammenarbeit von Polizei und Justiz und Fragen zu Reisenden und Beschäftigten regeln wird. Der Vertrag mit unzähligen Klauseln muss jetzt noch geprüft werden, doch die Zeit ist knapp.
Mit dem Jahreswechsel verlässt das Vereinigte Königreich endgültig die Strukturen der Europäischen Union nach fast 40 Jahren Mitgliedschaft. Die schlimmsten Folgen der Trennung sind damit abgewendet.
Erst vor wenigen Tagen hatte die Coronakrise für Großbritannien eine neue Dimension erhalten, weil dort eine neue, deutlich ansteckendere Mutation des Sars-COV2-Virus entdeckt wurde. Für einige Tage stand das Land isoliert dar, tausende LkWs steckten an der Grenze zur EU fest.
Fischerei-Frage: "Symbolpolitik"
Kiran Klaus Patel ist deutsch-britischer Historiker und Inhaber des Lehrstuhls für Europäische Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Die Zuspitzung Corona-Lage in Großbritannien sei nur der "letzte Tropfen" gewesen, um die Verhandlungen zu einem Abschluss zu bringen. "Ich bin aber davon ausgegangen, dass es auch so tatsächlich erfolgt wäre - ohne dass diese Virus-Mutation die Dringlichkeit unterstrichen hätte", sagte er im Dlf.
Besonders die Frage der Fischerei-Rechte hatte eine Einigung zwischen EU und Großbritannien erschwert. "Ich glaube, das liegt daran, dass eigentlich die großen und wichtigen Themen bereits abgeräumt worden waren", so Patel. Dass nur noch das Thema Fischerei übriggeblieben war, zeige, dass beide Seiten auf eine Einigung zusteuerten. "Man brauchte noch ein symbolpolitisch aufgeladenes Thema – und das ist die Fischerei, besonders auch für die britische Seite", sagte Patel.
Großbritanniens Premier Boris Johnson sprach während des Prozesses immer wieder von der Souveränität des Landes. "Ich glaube, man muss aufpassen, dass man Souveränität als formale Kategorie nicht mit Macht und Einfluss verwechselt. Wenn es um Letzteres geht, dann muss sich eben noch zeigen, wenn man sich stärker von der EU abkoppelt, ob man tatsächlich, weltpolitisch über mehr Einfluss verfügen kann", so Patel. Er halte das für unwahrscheinlich.
Kein guter Tag für parlamentarische Souveränität
Johnson habe zudem immer auf die parlamentarische Souveränität verwiesen, die es zu Erhalten gelte. Dabei, so Patel, seien die Parlamente der EU und in Westminster während dieses Prozesses stark zurückgeschnitten worden, "weil sie eigentlich nur noch abwinken können, was auf Spitzenebene verhandelt worden ist". Sie könnten weder das Abkommen nochmal ernsthaft prüfen noch Änderungen fordern. "Auch auf der Ebene, fürchte ich, ist es kein guter Tag für die britische Demokratie."
Die Mitgliedschaft der Briten in der EU sei seit 1973 nie als Erfolgsgeschichte gesehen oder verkauft worden, so Patel. Der Eintritt in die EU sei zusammen mit einer Verschärfung der weltwirtschaftlichen Situation zusammengefallen, die alle europäischen Wirtschaften gleichermaßen getroffen habe. "Für Gesellschaften, wie die deutsche, in die der Beginn der europäischen Integration mit einem unglaublichen Boom zusammenfiel, war es naheliegender zu sagen, das eine hat mit den anderen zu tun." Das sei den Briten viel schwerer gefallen – und daher sei europäische Einigung immer leicht auch "Buh-Mann", ohne, dass das kausal zusammengehangen habe.
Auf der anderen Seite müsse sich die EU auch fragen, inwieweit sie für das beste ökologische Modell stehe. Großbritannien habe angekündigt, höhere Standards durchsetzen zu wollen. Der EU täte ein bisschen Druck von außen diesbezüglich gut, um auch diejenigen Mitgliedstaaten, die da zögerlich seien, voranzubringen.