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Bundestag
Mehr Smartphone-Überwachung geplant

Der Bundestag will über eine Gesetzesänderung entscheiden, die es den Behörden leichter macht, Smartphones und Computer zu überwachen. Ein Staatstrojaner soll das möglich machen - eine Spionage-Software. Und die Hürden für den Einsatz sollen heute gesenkt werden. Das alles ist sehr umstritten.

22.06.2017
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    Das Smartphone als offenes Buch? Der Bundestag berät über Zugriffsrechte (dpa)
    Übers Telefon bestellen Täter allenfalls noch Pizza, meint die rechtpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion, Elisabeth Winkelmeier-Becker. Alles andere laufe mittlerweile über verschlüsselte Messenger-Dienste - und deshalb stoße die bisher gebräuchliche Telekommunikationsüberwachung an ihre Grenzen. Ihrer Ansicht nach gehen die Ermittlungsmethoden und die Strafverfolgung völlig am Verhalten der Täter vorbei.
    Um das zu ändern, will der Bundestag heute das Gesetz "zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens" verabschieden. Wenn es durchkommt, dann sollen die Ermittler künftig Staatstrojaner auch bei Straftaten wie Mord, Totschlag oder Geldfälschung einsetzen dürfen. Dadurch können sie die Kommunikation z.B. über WhatsApp, Telegram oder Skype auf den Geräten der Verdächtigen abgreifen.
    Gut verschlüsselte Informationen
    Das Problem, das die Sicherheitsbehörden haben, ist, dass die gängigen Messenger-Dienste inzwischen so verschlüsselt sind, dass die Anbieter gar keine Inhalte oder Informationen herausgeben können - selbst wenn sie wollten. Ganz im Gegensatz zur bisher gebräuchlichen SMS, die leichter zu durchschauen war von den Fahndungsbehörden.
    Daten- und Verbraucherschützer warnen vor dem Gesetz
    Sachverständige sehen allerdings auch die Nachteile einer solchen neuen Überwachungsmöglichkeit: Sie warnen vor Datenschutz-Risiken durch die Pläne des Staates. Das Bundesverfassungsgericht beurteilt solche Staatstrojaner nur als rechtmäßig, wenn konkrete Terrorgefahr besteht - und dann auch nur, wenn die Spionagesoftware vom Bundeskriminalamt eingesetzt wird.
    Bundestag stoppt Mittel für verfassungsfeindliche Parteien
    Der Bundestag will heute außerdem der rechtsextremen NPD den Geldhahn zudrehen. Dazu ist eine Grundgesetzänderung nötig, die verfassungsfeindliche Parteien von der staatlichen Finanzierung ausschließt. Es gilt als sicher, dass die dafür notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit zustande kommt. Der Bundestag will mit diesem Beschluss das Urteil des Bundesverfassungsgericht auffangen, das im Januar ein NPD-Verbot abgelehnt hatte - gleichzeitig aber als mögliche Alternative nannte, die NPD aus der Parteienfinanzierung auszuschließen. Außerdem steht heute noch die Ausbildungsreform bei den Pflegeberufen auf der Tagesordnung des Bundestags. Der Gesetzentwurf der großen Koalition sieht vor, für die Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege künftig nur noch einen Ausbildungsgang anzubieten. Bislang sind es drei. Weiteres Thema im Parlament ist der Bundeswehreinsatz im Kosovo, der um ein weiteres Jahr verlängert werden soll.
    Gedenkrede für Altkanzler Kohl
    Begonnen hat das Parlament seine heutige Sitzung mit einem Gedenken an Altkanzler Helmut Kohl. Bundestagspräsident Norbert Lammert würdigte Kohls Verdienste um die europäische Einigung und die deutsche Einheit. Lammert sagte wörtlich über den Altkanzler: "Er war die personifizierte vertrauensbildenden Maßnahme der Weltpolitik."- Lammert erinnerte aber auch an die Niederlagen und Schwächen Kohls: "Kohls Weg säumten nicht zuletzt Verletzungen - die er selbst erlitt und die er anderen zufügte". In Bezug auf die Spendenaffäre 1999 sagte der Bundestagspräsident: "Manche Fehler räumte Kohl selbst ein. Dass sein Abschied nach dem Verlust der Regierungsverantwortung auch aus der aktiven Politik so wurde, wie es in der Formulierung seines Biografen Hans-Peter Schwarz die Umstände der 'kreativen Verschleierung von Parteispenden' am Ende erzwangen, hängt wieder mit der außergewöhnlichen, bisweilen auch außergewöhnlich sturen Persönlichkeit Kohls zusammen." - Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nahm an der Würdigung im Bundestag teil, ebenso wie seine Amtsvorgänger Horst Köhler und Joachim Gauck.
    Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (M) verfolgt zusammen mit seinen Amtsvorgängern Horst Köhler (l) und Joachim Gauck (r) am 22.06.2017 die Rede des Bundestagspräsidenten zum Gedenken an den verstorbenen ehemaligen Bundeskanzler Helmut Kohl zu Beginn der Sitzung des Deutschen Bundestages in Berlin. 
    Bundestag - Gedenken an Helmut Kohl (Bernd von Jutrczenka/dpa)
    Helmut Kohl war am vergangenen Wochenende nach langer Krankheit im Alter von 87 Jahren in seinem Haus in Ludwigshafen-Oggersheim verstorben. Am 1. Juli soll es einen europäischen Staatsakt zu seinen Ehren in Straßburg geben. Anschließend wird Kohl in Speyer in Rheinland-Pfalz beigesetzt.
    (tep/gwi)