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Flüchtlingschicksale
"Menschen werden weiter sterben"

Wenn sich heute die Staats- und Regierungschefs der EU mit Vertretern aus 35 afrikanischen Staaten über Lösungen der Flüchtlingskrise beraten, dann geht es vor allem auch um die Frage, wie Flucht verhindert werden kann. Katrine Camillieri vom Jesuit Refugee-Service in Malta hat wenig Hoffnung, dass dabei auch die Bedürfnisse der Flüchtlinge eine Rolle spielen.

Von Jan-Christoph Kitzler | 11.11.2015
    Flüchlinge vertreiben sich am 30.04.2015 auf dem Gelände eines offenen Flüchtlingszentrums in Marsa (Malta) die Zeit.
    Flüchlinge vertreiben sich am 30.04.2015 auf dem Gelände eines offenen Flüchtlingszentrums in Marsa (Malta) die Zeit. (picture alliance / dpa / Rainer Jensen)
    Malta, das kleinste Land in der Europäischen Union, ist in vieler Hinsicht eine Ausnahme: Während in Deutschland, aber auch Griechenland oder in einigen Balkanstaaten fast täglich Tausende Flüchtlinge über die Grenzen kommen, gab es in Malta nur um die 100 Ankünfte – im ganzen Jahr. Malta liegt zur Zeit abseits der großen Flüchtlingsrouten. Wer auf dem Mittelmeer gerettet wird, landet meist in Italien oder Griechenland.
    Aber trotzdem: In Malta ist die Migrationskrise ein großes Thema, auch weil es hier Menschen wie Regina Catambrone gibt: Die gebürtige Italienerin hat mit ihrem Mann ein Schiff ausgerüstet und betreibt seit dem letzten Jahr MOAS, die erste private Rettungsorganisation auf dem Mittelmeer. Fast 12.000 Menschen haben sie seitdem schon aus dem Meer gefischt – auch weil die junge Frau und ihr Mann ein Motto haben:
    "Ich glaube, dass Menschenleben vor aller Politik stehen. Wenn ein Menschenleben in Gefahr ist, müssen wir diese Person in Sicherheit bringen. Und danach denken wir an die Politik."
    Das ist bei dem Gipfel, der heute in Maltas Hauptstadt Valletta beginnt, natürlich anders. Wenn die Staats- und Regierungschefs der EU mit Vertretern aus 35 afrikanischen Staaten über Lösungen beraten. Darüber, wie man verhindern kann, dass sich Menschen überhaupt auf die Flucht begeben. Und wie man die, die nicht schutzbedürftig sind und die trotzdem in Europa ankommen, wieder zurückschicken kann.
    Katrine Camillieri, Direktorin des Jesuit Refugee-Service in Malta, hofft vor allem, dass es nicht nur darum geht, die Grenzen Europas immer weiter auf den afrikanischen Kontinent zu schieben. Sondern, dass auch die Schicksale der Menschen auf dem Gipfel eine Rolle spielen.
    Hinter jeder Geschichte steht ein menschliches Schicksal
    "Menschen riskieren nicht ihr Leben für nichts. Sie hoffen nicht ohne Grund auf Schutz in Europa. Es gibt gute Gründe dafür. Und bis wir nicht auch das berücksichtigen, müssen unsere Lösungen immer scheitern, denn Menschen werden weiter auf der Suche nach Schutz kommen - und sie werden weiter sterben."
    Regina Catambrone, die Wahl-Malteserin kann das bestätigen. Sie hat mit vielen Flüchtlingen gesprochen, zum Beispiel mit einem Familienvater, der mit drei Kindern und seiner schwangeren Frau aus Syrien geflohen war. Er wusste, dass er auf dem Mittelmeer hätte sterben können. Wie schon rund 3.400 Menschen in diesem Jahr. Aber er hatte keine Wahl, er sagte:
    "Regina, das ist, wie wenn mein Haus brennt. Ich bin mit meiner Familie im ersten Stock und dann gehe ich in den zweiten Stock, um auf Hilfe zu warten, denn ich kann nicht raus. Aber da kommt niemand. Und so entscheide ich mich, mit meiner ganzen Familie aus dem Fenster zu springen. Nicht weil ich verrückt bin, sondern ganz bewusst. Weil ich verzweifelt bin."
    In Malta kennen sie auch diese Verzweiflung, denn gemessen an den knapp 420.000 Einwohnern kamen in den letzten Jahren oft recht viele Flüchtlinge hier an. Aber der Gipfel wird am Ende auch ein Tauschhandel sein: Europa winkt mit Investitionsgeldern in Milliardenhöhe und setzt auf die Kooperation afrikanischer Staaten. Darunter sind auch Regime wie in Eritrea oder Somalia, von zerfallenen Staaten wie Syrien oder Libyen ist da noch gar keine Rede.
    Auch deshalb hat Katrine Camillieri vom Jesuit Refugee-Service in Malta nur wenig Hoffnung:
    "Realistisch gesehen habe ich keine großen Erwartungen. Denn leider gab es schon zu viele vertane Gelegenheiten. Ich hoffe, dass die Bedürfnisse der Flüchtlinge berücksichtigt werden, und dass wir nicht nur über Sicherheit und Grenzen reden. Aber ich weiß, dass das schwierig wird, eine große Herausforderung."
    Immerhin: Europa wirft sein ganzes politisches Gewicht in die Waagschale. Aber außer den prominenten Namen ist das zur Zeit nicht viel.