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Frankreich
Gerechtigkeit suchen für die Bataclan-Anschlagsopfer

130 Tote, hunderte Verletzte - und Wunden, die die französische Gesellschaft bis heute nicht schließen konnte. In Paris beginnt einer der größten und wichtigsten Strafprozesse gegen Täter und Hintermänner der Anschläge vom 13. November 2015.

Von Christiane Kaess | 07.09.2021
Gedenken an die Opfer des Bataclan-Anschlags (AP Photo/Francois Mori)
Gedenken an die Opfer des Bataclan-Anschlags (picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Francois Mori)
13. November 2015. Ein milder Freitagabend, alle Terrassen gut gefüllt. Die Choreographie des Terrors hatten andere geschrieben, die den Nerv der französischen Lebensart treffen wollten und diesmal auch die Jugend Frankreichs. Die Eilmeldungen überschlagen sich.
Im Radio: "Der Deutschlandfunk mit einer Sondersendung…." - "Es hat, Frau Heyer, an mindestens drei Schauplätzen simultane Anschläge gegeben, es hat Schießereien im 10. und 11. Arrondissement, also Stadtteilen von Paris gegeben, Explosionen im Stade de France, im Stadion im Norden der Stadt, während des Freundschaftsspiels Frankreich-Deutschland. Und dann haben schwerbewaffnete Männer den Konzertsaal Bataclan im 11. Arrondissement von Paris angegriffen, überfallen, sie haben dort Geiseln genommen, und die Geiselnahme dauert an …"
Commemorations des attentats du 13 novembre: recueillement devant le Bataclan. People pay respect outside the Bataclan concert hall marking the 5th anniversary of the Nov. 13, 2015 attacks, in Paris, Friday, Nov. 13, 2020. In silence and mourning, France is marking five years since 130 people were killed by Islamic State extremists who targeted the Bataclan concert hall, Paris cafes and the national stadium. 262071 2020-11-13 PUBLICATIONxINxGERxAUTxONLY Copyright: xL.Urmanx/xStarfacex STAR_262071_029
Vier Jahre nach Terror-Anschlägen - Ermittlungen abgeschlossen
Sprengsätze am Stade de France, Schüsse im Bataclan: Am 13. November 2015 wurden bei Terror-Anschlägen in Paris 130 Menschen getötet. Bericht über den Verlauf der Ermittlungen.
Ein Augenzeuge: "Schockiert hat mich deren Freude, als sie auf die Menschen geschossen haben, als würden sie eine Mission erfüllen. Die waren da, um möglichst viele Menschen zu töten. Und der, der auf uns geschossen hat, hat keine Salven abgeschossen, sondern Schuss für Schuss gezielt."
130 Tote. Einige hundert Verletzte. Bei der Trauerfeier im Hof des Invalidendoms in Paris werden Ende November 2015 die Namen verlesen. Auch sieben der Attentäter kamen bei den Anschlägen ums Leben. Zu den koordinierten Attacken an fünf Orten in Paris und im Vorort Saint Denis bekannte sich der sogenannte "Islamische Staat". In ihrem Bekennerschreiben bezeichnete die Terror-Miliz Paris als "Hauptstadt der Unzucht und des Lasters".

Franzosen als Täter

Dass ausgerechnet die französische Hauptstadt zum Ziel der Attentäter wurde, hat für den Politikwissenschaftler und Dschihadismus-Experten Hugo Micheron, mehrere Gründe: Unter den europäischen Dschihadisten in Syrien waren viele Franzosen, mehrheitlich sogar – an die 2.000.
"Politisch und symbolisch mussten sie Frankreich angreifen. Frankreich ist eine sichtbare europäische Macht, die einen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat. Es war neun Monate nach den Attentaten vom 7. und 9. Januar auf die Redaktion von Charlie Hebdo und einen Supermarkt in Paris. Diese Attentate hatten international Aufmerksamkeit erregt. Und wir wissen, dass die dschihadistischen Organisationen süchtig sind nach medialer Sichtbarkeit", sagt Micheron.
Eine Rose und Kerzen stehen auf der Straße, darunter der Schriftzug "Je suis Charlie"
Charlie Hebdo und die nationale Traumabewältigung
Die Terroranschläge waren in der öffentlichen Wahrnehmung in Frankreich zuletzt in den Hintergrund gerückt. Doch mit dem Prozessauftakt zum Anschlag auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo" wird das Land erneut mit der Frage konfrontiert, wie es zur freien Meinungsäußerung und zum Islamismus steht.
Micheron hat recherchiert, dass sich der Dschihadismus in Europa seit den 1980er-Jahren durch kleine Zellen etabliert hat, die vor allem in Frankreich schnell gewachsen sind. Aber auch im Brüsseler Viertel Molenbeek, wo laut Micheron seit 25 Jahren alle Fäden der Szene zusammenlaufen: "Man hat in Europa gedacht, dass der Dschihadismus sich außerhalb Europas abspielt. Es ging ja um irakische oder afghanische und dann um syrische Gruppen. Man hat nicht gesehen, dass es erst hunderte und dann tausende Leute gab, die zum Beispiel als salafistische Gruppen aktiv wurden. Das war ganz klar ein analytischer Fehler. Und leider mussten erst die Attentate vom November passieren, um aufzuwachen."

Als Flüchtlinge getarnte Terroristen

Die Anschläge am 13.11.2015 in Paris, so ergaben die Ermittlungen, wurden außerhalb Frankreichs geplant. Die vor allem belgischen und französischen Staatsbürger waren aus Syrien als Flüchtlinge getarnt nach Europa zurückgekommen. Im Land selbst konzentrierten sie sich laut Polizei in kleinen Gruppen auf jeweils ein Anschlagsziel. Die Journalistin Charlotte Piret eilte an dem Abend in ihre Redaktion des Radiosenders France Inter. Bis zum frühen Morgen verfolgte sie die Geschehnisse. Seitdem berichtet sie über die Folgen der Attentate und über Terror-Prozesse. Fünf Jahre brauchte die Justiz, um die Hintergründe der Attentate vom November 2015 zu recherchieren.
Französische Sicherheitskräfte vor der Pariser Konzerthalle Bataclan.
Nach dem Anschlag: Französische Sicherheitskräfte vor der Pariser Konzerthalle Bataclan. (picture alliance / dpa / Olivier Corsan)
Ein enormes Ermittlungsverfahren, sagt Piret. "Es gibt unheimlich viele Verästelungen und Beteiligte in vielen unterschiedlichen Ländern. Frankreich musste mit Belgien zusammenarbeiten, mit Deutschland, Österreich, Ungarn, Italien, - eine Menge Länder, durch die die Terroristen kamen oder in denen es Vorbereitungen für die Attentate gab. Schlussendlich besteht das Ermittlungs-Dossier aus 45.000 Dokumenten. Die Anti-Terror-Staatsanwaltschaft hat kalkuliert: Wenn man alle Blätter der Ermittlungen stapeln würde, wäre der Stapel 53 Meter hoch – das ist quasi die erste Etage des Eiffelturms."

Ausnahmeregeln bis heute

Frankreichs regierende Sozialisten hatten nach den Anschlägen auf die Redaktionsräume von Charlie Hebdo im Januar 2015 noch auf Beruhigung gesetzt. Mit den Novemberattentaten wehte ein anderer Wind.
Gesetzliche Grundlage für die Maßnahmen im Inland war der Ausnahmezustand – ein Gesetzesrahmen, den die französische Regierung 1955 mit Beginn des Algerienkrieges schuf. Nach den Attentaten vom November 2015 wurde der Ausnahmezustand mehrmals verlängert. Benjamin Morel, Rechtsdozent an der Pariser Universität Sorbonne, fasst Einschränkungen der Bewegungsfreiheit oder die Möglichkeit zu Hausdurchsuchungen ohne richterlichen Beschluss so zusammen:
"In groben Zügen heißt das eine größere Einschränkung der Freiheiten als normal. Das Ganze soll einer Bedrohung vorbeugen, die man als einzigartig beurteilt. Es muss im Verhältnis zum Gesetz vom 3. April 1955 stehen. Dessen Ziel ist es, den Behörden und der Regierung die Instrumente an die Hand zu geben, gegen diese Bedrohung zu kämpfen."
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron beim Besuch eines jüdischen Friedhofs in Quatzenheim im Elsass, auf dem Grabsteine mit Hakenkreuzen beschmiert worden waren 
Literaturprofessor: "In der französischen Gesellschaft stimmt etwas nicht mehr"
Der Antisemitismus in Frankreich hat nach Ansicht des Literaturwissenschaftlers Jürgen Ritte von der Universität Sorbonne eine beängstigende Qualität erreicht. Er sei ein Symptom für andere gesellschaftliche Missstände.
Benjamin Morel ist sich sicher, dass die Maßnahmen eine Reihe von weiteren Attentaten verhindert haben. Als der Schock der Anschläge noch nachwirkte, standen die verschärften Maßnahmen außer Frage, erklärt Morel.
"Das Problem beim Terrorismus ist allerdings: Er kommt in Wellen, aber die Gefahr bleibt. Die Frage ist also: wann ist die Bedrohung groß genug, um den Ausnahmezustand auszulösen und wann ist sie so vage, dass der Ausnahmezustand nicht mehr angebracht ist und das öffentliche Recht ausreicht, um diese Bedrohung abzuwehren? Als die Regierung dann beschlossen hat, aus dem Ausnahmezustand auszusteigen, hat sie vor allem mit einem Gesetz vom November 2017 Instrumente des Ausnahmezustands ins öffentliche Recht übertragen. Man ist also aus dem Ausnahmezustand ausgestiegen und ist gleichzeitig ein bisschen dringeblieben."

Streit um Ursachen

Was durchaus zu Debatten und Kritik in Frankreich führte. Stärker aber noch wird bis heute über den Islamismus im Land diskutiert. Dabei sind sich die Experten nicht einig über die Ursachen der Radikalisierung der Täter und darüber, wie man mit dem Problem umgehen soll. Der Politikwissenschaftler Francois Burgat kritisiert:
"Nur mit Sicherheitsmaßnahmen zu reagieren reicht nicht. Ich habe immer gesagt: wenn es einen Bombenleger gibt, muss man ihn stoppen. Aber man muss vor allem die Maschine zerlegen, die die Bombenbauer herstellt. Es ist viel schwieriger geworden, ein Attentat in Frankreich durchzuführen, aber es gibt immer mehr Leute, die es machen wollen – oder zumindest sind es nicht weniger geworden."
Burgat findet, der französische Staat trage eine Verantwortung an der Entwicklung. Die hänge vor allem mit seinen Beziehungen zu muslimischen Ländern und dem Islam zusammen. Burgat führt unter anderem die Laizität an, die spezifisch für Frankreich ist, die seit 1905 geltende strikte Trennung von Staat und Religion.
Im Pariser Stadtteil Sarcelles hat ein französischer Künstler die Worte: "Als ich Kind war, gab es Muslime, Juden, Christen, Schwarze und Weiße...Sie waren Freunde", Februar 2016
Kulturkampf in Frankreich: Radikale Islamisten erobern Problemviertel
Französische Islamwissenschaftler schlagen Alarm: Radikale Islamisten seien dabei, schleichend ganze Stadtviertel unter ihre Kontrolle zu bringen. Sie zwängten ihre extrem konservativen Normen der muslimischen Gemeinde auf.
"Wir sind die einzigen, die glaubten, dass man sichtbar religiöse Praktiken aus dem öffentlichen Raum ausschließen muss, um politisch modern zu werden. Während die Briten, die Australier oder Kanadier finden, dass ein Mann mit einem Turban oder eine Dame mit einem Schleier sehr wohl ein Polizist oder eine Polizistin des Staates werden kann, sagen die Franzosen "nein". Das ist sehr wichtig, denn es erklärt das Spezifische der französischen Diskussion in diesem Bereich."
Auch mit Frankreichs Kolonialgeschichte begründet der Politikwissenschaftler die Probleme. Nachfahren von Einwanderern aus den ehemaligen französischen Kolonien forderten Rechte ein, die ihnen zwar gesetzlich zuständen, die sie aber in der Praxis nicht hätten, findet Burgat. Und schließlich nennt er noch Frankreichs Außenpolitik.
"Frankreich hat sich systematisch in militärische Unternehmungen eingebracht, um seine Hegemonie in muslimischen Ländern aufrechtzuerhalten. Das geht von Mali bis zum Nahen Osten." Der Islamismus-Experte Hugo Micheron kritisiert dagegen: "Es gibt eine Debatte, in der es heißt: Das Problem hat nichts mit dem Islam zu tun, es beruht auf sozialer, wirtschaftlicher und kultureller Ausgrenzung. Auf der anderen Seite wird argumentiert: natürlich hat das direkt mit de m Islam zu tun. Die Dschihadisten sagen selbst: wir sind die besseren Muslime. Ich glaube, all das greift zu kurz."

Täter aus der Mittelschicht

Micheron plädiert dafür, die Viertel, in denen sich Menschen radikalisieren, genauer unter die Lupe zu nehmen – nicht nur in Frankreich.
"In keinem Fall beschränkt es sich auf die am meisten benachteiligten Viertel eines Landes. In Frankreich sind es nicht die Vorstädte, von denen aus Leute nach Syrien gehen. Wir haben zum Beispiel niemanden aus dem Norden von Marseille, den am meisten abgehängten Vierteln in Frankreich. Im Gegensatz dazu haben wir 25 Fälle aus einer kleinen Stadt mit Arbeitern des Mittelstandes."
Immer aber gebe es in diesen Vierteln eine islamische Bewegung, die mögliche Dschihadisten anzieht. "Dschihadisten sind Aktivisten. Sie machen Wahlkampf. Einer von ihnen, den ich im Gefängnis getroffen habe, hat mir gesagt: wir machen nicht nur alle fünf Jahre Wahlkampf, so wie Ihr für die Präsidentschaft. Wir sind immer im Wahlkampf. Ein anderer, der Dschihadisten rekrutiert hat, hat mir gesagt: ich mache das Gleiche, was ein Sozialarbeiter in den Vierteln macht, nur mit umgekehrtem Ziel: nicht die Person integrieren, sondern sie rausnehmen und sie in mein Wertesystem bringen."
Französische Polizisten schützen eine Synagoge in Nizza 
Frankreichs Intellektuelle streiten über Terror-Ursachen
Derzeit werden zwei Lesarten der Terror-Ereignisse in Frankreich heftig diskutiert. Zwei Intellektuelle treten dabei besonders hervor: Frankreichs prominenteste Islamwissenschaftler Oliver Roy und Gilles Kepel.
Die Diskussionen über den Umgang mit möglichen Tätern spiegeln sich in Frankreich auch politisch wider. Das Thema Sicherheit ist in aller Munde und konstanter Bezugspunkt der extrem Rechten, wie dem Rassemblement National. Die Journalistin Charlotte Piret glaubt, die Terror-Anschläge vom 13. November 2015 seien die Attentate, die die tiefsten Spuren hinterlassen haben.

Das Leiden der Opfer

"Man sagt, dass sieben Millionen Franzosen jemanden kennen, der direkt oder indirekt von den Anschlägen betroffen ist. Das heißt, sie sind entweder selber Opfer oder die kenne jemanden, der eines ist. Diese Attentate haben also enorme Konsequenzen auf die französische Gesellschaft gehabt."
Die Opfer der Angreifer - Überlebende und Angehörige der Attentate - sind mittlerweile fester Bestandteil der französischen Gesellschaft geworden. Olivier Lauplaud ist eines von ihnen. Der Vize-Präsident der Opfervereinigung "Life for Paris" hat zusammen mit seiner Frau den Angriff auf die Konzerthalle Bataclan überlebt. Zweieinhalb Stunden hatten sich die Beiden zusammen mit Dutzenden anderen in einer Loge verbarrikadiert bevor die Polizei sie befreite.
"Ich erinnere mich sehr genau wie der Polizist zu uns sagt: geht raus – die Hände über dem Kopf, um Euch als Opfer zu identifizieren. Und vor allem hat er uns gesagt: schaut nach oben. Es wurde uns bewusst, dass wir mitten durch die Leichen gingen. Natürlich schauen Sie in so einer Situation doch um sich, weil sie sonst nicht wissen, wo Sie gehen. Es wurde mir schnell klar, dass ich durch Blutpfützen laufe, dass ich gegen eine Leiche stoße. Auch wenn das nur einige Sekunden gedauert hat, weil man uns antrieb rauszugehen, habe ich noch heute schreckliche Bilder davon im Kopf. Es ist das Bild dieses Abends, das mir bis heute präsent ist. Und das mich manchmal nachts verfolgt."
Um die Erlebnisse zu verarbeiten, hat es Olivier Laplaud geholfen, zu reden. Auch sein Engagement bei der Arbeit mit den anderen Überlebenden und Angehörigen mache Mut, sagt er. Dennoch kämpft der 39Jährige bis heute mit Nachwirkungen des Attentates: Konzentrationsschwierigkeiten oder Angst bei Feuerwerken sowie in Kinosälen. Auch Jahrestage und jetzt der Beginn des Prozesses zu den Attentaten lassen die Erinnerungen an den Terror wieder wach werden.

Hoffen auf würdigen Prozess

Trotzdem wird Laplaud im Gerichtsaal dabei sein und andere Opfer bei ihren Aussagen unterstützen. "Ich erwarte, dass der Prozess beispielhaft wird. Ich erwarte Würde. Nicht unbedingt Antworten, denn man weiß schon sehr viel. Ich erwarte nicht viel von Salah Abdeslam, dem einzigen, der von dem Terror-Kommando überlebt hat. Ich war 2010 in Brüssel, bei einem Prozess, bei dem Abdeslam wegen einer Schießerei mit der Polizei vor Gericht stand. Er hat nichts gesagt, außer dass er die Justiz nicht anerkennt, nur die von Allah. Ich erwarte keine Entschuldigungen. Sie hätten auch keine Bedeutung für mich. Wir reden nicht über einen Straßenunfall, sondern über die Absicht, massenhaft zu töten. Dafür gibt es keine Entschuldigung."
Béatrice Mouton läuft durch einen riesigen Saal, der in den historischen Gemäuern des Pariser Justizpalasts eingebaut wurde. Die Architektin hat den Raum extra für den Prozess zu den Attentaten vom November 2015 entworfen. Lange Bankreihen füllen den hinteren Teil. Große Bildschirme hängen darüber. Quer dazu stehen vorne Pulte mit Mikrophonen, links ein großer Glaskasten. Hier werden die Angeklagten sitzen. Alles wurde bewusst aus hellem Holz gemacht, sagt Architektin Mouton:
"Wir wollten hier eine zeitgerechte Atmosphäre schaffen. Mit Material, das unserer alltäglichen Umgebung entspricht. Vor allem weil hier viele junge Leute sein werden. Leider sind unter den Opfern viele junge Menschen. Es war uns wichtig, ein Bild der Justiz zu zeigen, die nahe an den Bürgern ist und freundlich."
500 Plätze sind für die Opfer vorgesehen, erklärt Mouton. Rund 1.800 von ihnen nehmen an dem Prozess als Nebenkläger teil. Nicht alle werden also im Saal Platz haben. Über Bildschirme wird der Prozess deshalb in weitere Räume übertragen. Für Nebenkläger, die nicht selbst kommen können, wurde ein Webradio für die Übertragung eingerichtet. Von einem Mammut-Prozess spricht auch die Journalistin Charlotte Piret.

Emotionale Last für Zeugen und Anwälte

"Ein Wermutstropfen ist, dass von den 20 Angeklagten sechs bei dem Prozess nicht dabei sind. Fünf von ihnen sind wahrscheinlich in Syrien gestorben. Von einem weiteren weiß man, dass er lebt – er ist in der Türkei inhaftiert. Die Türkei wollte ihn der französischen Justiz nicht übergeben, um ihn in Frankreich zu verurteilen."
Neben Salah Abdeslam, dem Hauptverdächtigen und einzigen überlebenden mutmaßlichen Paris-Attentäter, wird über 13 Terror-Helfer geurteilt. Deren Anwälte stünden ihren Mandanten ideologisch nicht nahe, so wie das teilweise bei den baskischen oder korsischen Terrorprozessen in der französischen Geschichte der Fall war, erzählt Journalistin Charlotte Piret.
"Bei dem islamistischen Terror gab es das nie. Diese Anwälte sagen: meine Pflicht der Verteidigung ist, mich zu versichern, dass diese Person gemäß unserer demokratischen und juristischen Regeln verurteilt wird. Das ist ihre Art gegen den Terrorismus zu kämpfen."
In einem Büro in der Pariser Innenstadt blättert die Anwältin Aurélie Coviaux durch den Ablauf des Prozesses. Zeugnisse, Befragungen, Plädoyers. An die neun Monate soll der Prozess dauern und damit wohl die Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr überschatten. Coviaux vertritt rund 60 Nebenkläger.
"Ein Prozess kann nicht ohne Opfer stattfinden. Auch wenn hier natürlich die Angeklagten verurteilt werden und es in einem anderen Prozess um die Entschädigung der Opfer gehen wird. Wir brauchen den Blickwinkel der Opfer auf die Abläufe. Es gibt viele direkte Zeugen, die wichtige Dinge gesehen haben. Die meisten von ihnen werden sich nicht äußern. Etwa 10 Prozent wollen das Wort ergreifen. Es ist schwer für sie, etwas zu sagen, eine heftige emotionale Last."
Unter den Opfern der Attentate vom 13. November 2015 ist auch Antoine Leiris, der erst am 16. November in der Gerichtsmedizin Gewissheit erhielt, dass seine Frau Hélène unter den Opfern war. Der junge Vater schrieb an diesem Tag im Internet einen Brief an die Mörder: "Meinen Hass bekommt Ihr nicht."