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Frankreich
Unzufriedene Rotmützen in der Bretagne

Seit Mitte Oktober sorgt die Bretagne im Westen Frankreichs immer wieder mit Großdemonstrationen für Arbeitsplätze und gegen hohe Steuern für Schlagzeilen. Jetzt hat die französische Regierung einen Notplan für die Region aufgelegt. Die Organisatoren der bretonischen Protestbewegung stehen dem "Pakt für die Zukunft der Bretagne" allerdings kritisch gegenüber.

Von Suzanne Krause | 13.12.2013
    Blick von oben auf eine protestierende Menschenmenge mit roten Mützen und Fahnen in Quimper in der Bretagne
    Zehntausende "Rotmützen" demonstrieren am 2. November 2013 in Quimper in der Bretagne gegen Stellenabbau. (picture alliance / dpa/ Armin Weigel)
    In der Heimat leben, entscheiden und arbeiten – das forderte die bretonische Protestbewegung gleich bei zwei Großkundgebungen in Quimper und in Carhaix. Der "Pakt für die Zukunft der Bretagne", mit dem die Regierung auf diesen Hilferuf reagiert, geht nun nicht auf alle Forderungen ein, aber kommt den unzufriedenen Bretonen, die mit ihren roten Mützen zum Symbol für den Unmut der Franzosen gegen ihre Regierung wurden, weit entgegen.
    Von den insgesamt 2,1 Milliarden Euro Finanzhilfen fließt der Löwenanteil in die Modernisierung des Agrarsektors, um dort Arbeitsplätze zu erhalten. Außerdem soll die bretonische Sprache und damit die kulturelle Identität stärker gefördert werden. Der Ruf nach mehr Mitspracherechten bei regionalen Wirtschaftsfragen hingegen verhallte ungehört. Christian Troadec, Anführer der Rotmützen-Bewegung, ist hörbar unzufrieden:
    "Da werden alte Maßnahmen recycelt, manches, was früher schon versprochen wurde, einfach neu aufgelegt. Der Pakt ist reine Augenwischerei. Er enthält nichts wirklich Neues. Beim 'Pakt für die Zukunft' unserer Region hatten wir Bretonen kaum Mitspracherecht. Er wurde übereilt geschnürt, nach unserer ersten Großkundgebung im November."
    Von der französischen Regierung nicht richtig verstanden sieht sich auch mancher Teilnehmer der Potée Bretonne in Edern, einer Kleinstadt im Hinterland von Quimper. 200 Gäste sind der Einladung des örtlichen Heimatvereins zur deftigen Schlachtplatte mit anschließendem Tanz im Gemeindesaal gefolgt. An einer der langen Tischreihen sitzt ein Endfünfziger auf Heimaturlaub: Um Arbeit zu finden, musste er ins Elsass ziehen. Verbittert sagt er, und sein Nachbar nickt zustimmend, Frankreich sei einer der letzten zentralistisch regierten Staaten in Europa.
    "Die Bretagne ist wahrscheinlich nicht die einzige Region im Land, die davon träumt, auf finanziellem Gebiet ebenso autonom zu sein wie die deutschen Bundesländer oder auch Schottland. Die hiesigen Kommunalpolitiker verhalten sich wie Bettler, sie müssen Subventionen aus Paris erbetteln. Das entspricht der französischen Mentalität. Die Dezentralisierungspolitik geht nicht weit genug. Wir stecken in einem System fest, das noch auf das Königtum zurückgeht."
    Frankreichweit das stärkste Wirtschaftswachstum
    Als Claude de Bretagne 1532 ihr Herzogtum als Mitgift in die Ehe mit dem französischen König Francois I. einbringt, steht die Bretagne wirtschaftlich in voller Blüte. Doch die Sonderrechte, die die Herrscherin für ihre Landsleute ausgehandelt hatte, werden schnell von den Mächtigen in Paris mit Füßen getreten. Die Region verkommt zu einem Armenhaus. Einen Aufschwung erfährt die Region erst wieder nach dem Zweiten Weltkrieg, als sich der Agrarsektor industrialisiert. Heute steht die Bretagne auf Platz sieben der reichsten Regionen im Land, verzeichnete im vergangenen Jahrzehnt frankreichweit das stärkste Wirtschaftswachstum.
    Die Ressentiments gegenüber der Regierung in Paris jedoch stecken noch tief. Bei der Potée Bretonne erzählt ein pensionierter Lehrer, Mitglied des örtlichen Geschichtsvereins, aus der Heimatgeschichte. Als 1675 Ludwig XIV. neue Steuern erhebt, formiert sich in der Bretagne die Protestbewegung der Rotmützen. Auch in der kleinen Gemeinde Edern greifen die Rotmützen das dortige Schlösschen an.
    "Der Chef dieses Aufstands wurde ein Jahr später verhaftet, seine Leiche gepfählt und eine Woche lang ausgestellt, die Vögel pickten schon an ihr herum. Man wollte den Leuten zeigen: Wenn ihr gegen den Staat, gegen Ludwig den XIV. revoltiert, dann seht, was euch erwartet."
    Heute soll Premierminister Jean-Marc Ayrault in der Regionshauptstadt Rennes den "Pakt für die Zukunft der Bretagne" unterzeichnen. Christian Troadec, Anführer der aktuellen Rotmützenbewegung, empfiehlt ihm stattdessen:
    Jean-Marc Ayrault, wiederernannter Premier unter François Hollande
    Jean-Marc Ayrault, wiederernannter Premier unter François Hollande (dpa / Christophe Morin)
    "Sie täten besser daran, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Damit wir gemeinsam an einem tragfähigen Projekt für die Bretagne arbeiten."