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Berichten aus Kriegs- und Krisengebieten
Wenn Journalismus die Macher traumatisiert

Das Berichten aus Kriegs- und Krisengebieten ist für viele Reporterinnen Alltag. Der Umgang mit Leid vor Ort kann für Journalisten emotional herausfordernd sein - manchmal sogar traumatisierend. Und im Alltag wird nicht jede Belastung sofort sichtbar. Workshops und Bildungsangebote sollen deshalb für das Thema sensibilisieren.

Von Carina Schroeder | 02.11.2021
Ein Journalist fährt am 02 .09.2008 vom Flughafen Kunduz mit dem Mehrzweckfahrzeug Mungo in das Bundeswehrlager und filmt dabei mit der Kamera
Für journalistische Auslandseinsätze gehört ein Vorbereitungskurs zum Thema "Trauma und Journalismus" normalerweise zum Standard (IMAGO / photothek / Thomas Imo)
Enno Heidtmann kann sich nicht daran erinnern, wann er das letzt Mal richtig gut geschlafen hat. "Die Recherchen und die Reisen, die waren nie in Urlaubsregionen. Also ich habe ja nur Zerstörung gesehen. Ich habe Leid erlebt und so weiter."
Gut 15 Jahre lang hat der Journalist aus Flucht- und Kriegsgebieten berichtet. Regelmäßig war er in Ländern wie Irak, Afghanistan, Syrien unterwegs. Hat Menschen eine Stimme gegeben, die sonst vermutlich nicht gehört worden wären.
Für seinen Zustand, findet er allerdings nur schwer Worte. Er vermeidet Menschengruppen, Feuerwerke, Schottet sich ab. "Also ich bin eher für mich allein und dann mit dem Hund allein unterwegs. Doch, das sind schon Sachen, die ich glaube, ein Indiz dafür sind, dass man eben eine Belastung." Deshalb hat der ehemalige Soldat 2018 in den Lokaljournalismus gewechselt. "Habe aber gemerkt, dass das gar nicht so einfach ist."
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Nicht jede Belastung ist sofort sichtbar

Zumal Journalistinnen auch da auf traumatisierende Erlebnisse treffen, weiß Katrin Hartig: "Menschen verunglücken, es finden Morde statt, Attentate, Umweltkatastrophen, Suizide." Hartig ist Redaktionsleiterin der langen Formate, also Filme über drei Minuten, beim Mitteldeutschen Rundfunk Sachsen-Anhalt. In Erinnerung ist für sie noch das Attentat in Halle 2019, bei dem ein Mann mit Waffe in eine Synagoge gelangen wollte und mehrere Menschen tötete.
Im Rahmen der Berichterstellung hat sich das Team zusammengesetzt, dass alleine nur über den Prozess gegen den Attentäter berichtet hat - aus Fernsehen und Funk, inklusive freie Mitarbeitende: "Wir haben einen kleinen Workshop gemacht, haben geguckt, was macht das Thema mit uns? Was haben wir vielleicht schon an Erfahrungen? Und wie können wir uns darauf vorbereiten? "
Eigentlich sollte die Vorbereitung auf einen Dreh oder auf ein Interview, das emotional herausfordernd sein könnte, eine Selbstverständlichkeit sein. Doch der Redaktionsalltag ist eben auch sehr hektisch und nicht jede Belastung sofort sichtbar. Zum Beispiel werden ja nicht nur im öffentlichen Raum - wie bei Demonstrationen - Journalistinnen und Journalisten zunehmend angefeindet, auch im Internet werden sie häufiger angegriffen, sind dort leichtes Ziel.
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Aus- und Weiterbildung zum Thema Trauma

Grundsätzlich allerdings behandeln viele Medienhäuser das Thema "Trauma und Journalismus" mittlerweile in ihren Volontariaten. Auch für Auslandseinsätze gehört ein Vorbereitungskurs normalerweise zum Standard. Doch was ist mit den freien Mitarbeiterinnen? Katrin Hartig: "Ich fände es gut, wenn dieses Thema Trauma - Trauma im Journalismus - integriert wird in jede journalistische Ausbildung."
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Angebote zu dem Thema gibt es mittlerweile schon, allerdings stehen die nicht allen Mitarbeitenden wirklich gleichermaßen zur Verfügung. Auf Anfrage betonen unter anderem die Öffentlich-Rechtlichen: Bei den Kursangeboten darf jeder teilnehmen - ob frei oder fest. Ich arbeite als freie Journalistin für verschiedene Medienhäuser und habe nicht volontiert und habe noch nie einen vergleichbaren Kurs gemacht.
Wobei das Dart Center für Trauma und Journalismus, eine Art Denkfabrik für Medien-Themen aus den USA, sagt: 80 bis 100 Prozent der Journalisten sind Trauma ausgesetzt. Also geht das Thema alle an. Allerdings würde mich der zweitägige Workshop "Journalismus und Trauma: Wie gehe ich mit Extremsituationen und Belastungen richtig um?" bei der ARD-ZDF-Medienakademie 690 Euro kosten. Die Vorbereitung auf die Auslandskorrespondenz 2.480 Euro.

Heidtmann: Angst, nicht mehr belastbar zu sein

Und doch findet Alexandra Föderl-Schmid braucht vielleicht nicht jeder so einen Kurs, Bewältigungsstrategien seien sehr unterschiedlich. Eine Verpflichtung sollte es deshalb nicht werden, sondern freiwillig bleiben. Die stellvertretende Chefredakteurin bei der "Süddeutschen Zeitung" hat selbst drei Jahre als Korrespondentin im Nahen Osten gearbeitet.
"Bei mir war es so, dass ich einfach dann sehr, sehr viel verarbeitet habe in den Träumen in den Tagen danach, sehr rasch. Ich weiß aus Gesprächen mit Kolleginnen, die in der gleichen Krisenregion waren, bei denen ist es oft erst Monate später gekommen, und am meisten hilft einfach, mit Kollegen zu sprechen."
Enno Heidtmann hat allerdings die Erfahrung gemacht: Viele wollen eben nicht reden, haben Angst, nicht mehr belastbar oder nicht objektiv in der eigenen Arbeit zu wirken. Dabei können traumatische Erlebnisse beim Job auch helfen: Wer selbst Trauma erlebt hat, hat meist einen geschärften moralischen Kompass, ein besseres Gespür für sein gegenüber. Doch klar ist auch: Wer Hilfe braucht, sollte diese so einfach wie möglich bekommen können.
Wer das Gefühl hat, an einer Depression zu leider oder sich in einer scheinbar ausweglosen Lebenssituation zu befinden, sollte nicht zögern, Hilfe anzunehmen. Hilfe bieten zum Beispiel die Telefonseelsorge in Deutschland unter der Telefonnummer 0800 111 0 111, das Info-Telefon Depression unter 0800 3344533 oder die Stiftung Deutsche Depressionshilfe.