Sonntag, 28. April 2024

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Giftanschlag auf russischen Ex-Spion
Politologe: Angriff in Salisbury war "Angriff auf alle"

Ein Giftanschlag wie in Salisbury ist unannehmbar für jede demokratische Regierung, findet der britische Politologe Anthony Glees. Je sicherer die britische Regierung sei, dass Russland dahinter stecke, desto härter würden die Maßnahmen ausfallen, sagte Glees im Dlf.

Anthony Glees im Gespräch mit Martin Zagatta | 14.03.2018
    Die Polizisten in leuchtgelben Warnwesten sind unscharf im Vordergrund zu sehen. Im Hintergrund ein gelb-weißes Zelt, das über den Tatort gespannt wurde und das von blau-weißem Absperrband umgeben ist.
    Ein Polizist und eine Polizistin stehen vor dem abgeriegelten Tatort im britischen Salisbury, an dem am 6.3.2018 ein russischer Ex-Agent und seine Tochter mit Vergiftungserscheinungen aufgefunden wurden. (AP)
    Martin Zagatta: Das Ultimatum, das die britische Regierung Moskau gesetzt hat, nach dem Giftanschlag auf den Ex-Spion, das ist in der Nacht abgelaufen. Jetzt ist das Sicherheitskabinett in London dabei, über konkrete Maßnahmen zu beraten.
    Durchgesickert - das haben wir gerade gehört - ist ja schon einiges und darüber kann ich jetzt mit dem britischen Politikwissenschaftler Anthony Glees Sprecher, der an der Buckingham-Universität das Zentrum für Geheimdienststudien leitet. Guten Tag, Herr Glees!
    Anthony Glees: Guten Tag, Herr Zagatta.
    Zagatta: Herr Glees, wir wundern uns etwas. London lockt seit Jahren zwielichtige Figuren aus Russland an, wenn die genug Geld mitbringen, und das ist ja jetzt auch nicht der erste Mordversuch oder Mord, für den der russische Geheimdienst verantwortlich gemacht wird. Warum reagiert Ihre Premierministerin, warum reagiert jetzt Theresa May so harsch mit dem Ultimatum und mit diesen Drohungen beziehungsweise mit Vergeltungsmaßnahmen? Warum ist das jetzt so?
    Glees: Es ist so, weil das erste Pflicht einer jeden Regierung ist, die Sicherheit des Bürgers zu sichern. Und was unmöglich ist, ist, dass zwei Leute aus Russland stammen, dass man versucht hat, sie umzubringen in Salisbury im Südwesten von England, dass man einen Polizisten auch beinahe getötet hat und dass 500 Leute in Salisbury heute Morgen unter Verdacht sind, irgendwie durch diese Vergiftung angesteckt worden zu sein.
    Anthony Glees
    Der britische Historiker und Politologe Anthony Glees (June Costard)
    "Das ist unannehmbar für jede demokratische Regierung"
    Zagatta: Herr Glees, wenn ich da gleich nachfragen darf? Ähnliches hat es ja 2010, glaube ich war das, auch schon gegeben, als Alexander Litwinienko in London mit Polonium vergiftet worden ist. Da waren ja andere Personen auch gefährdet. Im Nachhinein soll ja Frau May als Innenministerin, so sagen das zumindest Experten, die Ermittlungen mit Rücksicht auf Moskau anschließend ziemlich blockiert haben. Woher kommt jetzt diese Wende, diese neue Politik?
    Glees: Einmal kann man das vielleicht machen, aber nicht zweimal, und diesmal wie gesagt sind 500 Leute in Salisbury möglicherweise angesteckt worden. Das ist unannehmbar für jede demokratische Regierung. Wahr ist aber, dass Frau May sich einigermaßen in der Klemme sitzen sieht. Ihre Lage ist sehr verwirrt, denn erstens hat sie am Montag gesagt, sie sei nicht hundert Prozent sicher, dass Russland, dass Putin dahinter stand.
    Und zweitens ist unser Land Großbritannien erheblich geschwächt durch den Brexit - nicht nur einigermaßen wirtschaftlich, sondern vor allen Dingen politisch. Es kann kein Mensch in diesem Land über etwas anderes als Brexit reden. Das hängt hiermit zusammen, nicht nur die Schwächung, dass Putin vielleicht das Gefühl hat, Großbritannien ist auf einmal plötzlich so schwach geworden, er kann das machen in Großbritannien was er will. Aber dass wir in Großbritannien nicht mehr so sicher sein können wie vor einem Jahr, dass unser großer Verbündeter, die Vereinigten Staaten, mit uns stehen - die Ironie ist gerade, dass die Leute, die am stärksten und sofort für Großbritannien sich ausgesprochen haben und für die Linie von Frau May, das waren die Europäer. Das waren auch besonders die neuen EU-Mitglieder im Osten Europas, die natürlich schon das gefühlt haben, was Herr Putin anzubieten hat.
    Und was Frau May heute machen muss, das ist sehr schwierig. Auf der einen Seite sind wir ja schwach; auf der anderen Seite können wir es nicht zulassen, dass weiterhin russische Feinde von Putin einfach so in Großbritannien umgebracht werden können. Das ist eine Frage unserer nationalen Sicherheit. Es ist aber auch eine Frage davon, wie gut wir in Großbritannien sind, unsere eigenen Interessen zu verteidigen, wenn wir nicht mehr auf Präsident Trump uns einlassen können und nicht mehr das volle Vertrauen der Europäischen Union haben.
    Je sicherer May, desto härter die Maßnahmen
    Zagatta: Wenn Sie sagen, wie gut wir sind, ist da Großbritannien jetzt nicht ziemlich zahnlos? Erwartet wird jetzt, dass russische Diplomaten ausgewiesen werden, vielleicht sogar der Botschafter. Dann macht Moskau das gleiche. Was soll das bringen? - Die Diskussion, die man da mal hatte, vielleicht die englische Fußball-Nationalmannschaft zurückzuziehen, nicht an der Fußball-Weltmeisterschaft teilnehmen zu lassen, soweit wird doch bei Ihnen die Stimmung nicht gehen? Das würden doch die meisten gar nicht mitmachen wollen?
    Glees: Vielleicht, aber vielleicht auch nicht. Ich muss sagen, es gibt verschiedene Sachen, was Frau May und unsere Regierung tun kann. Und natürlich: Je sicherer sie ist, dass Russland dahinter steckt, desto härter die Maßnahmen werden können. Sie sprechen zum Beispiel von der Fußballmannschaft. Ich würde es persönlich begrüßen, wenn unsere Mannschaft nicht da hingehen würde, denn man soll nicht in einem Staat Fußball spielen, wo Leute, zum Beispiel Journalisten, politische Gegner einfach vergiftet oder umgebracht werden. Das ist unmöglich!
    Ich würde es noch stärker begrüßen, wenn unsere echten Verbündeten in der Europäischen Union auch nicht dort hingehen. Was soll das, dass man im russischen Staat bei der Fußball-Weltmeisterschaft Fußball spielt.
    Aber es gibt natürlich auch andere Sachen. Man kann viele Diplomaten wieder nach Russland schicken. Man kann versuchen, Cyber-Maßnahmen zu ergreifen. Aeroflott zum Beispiel könnte nicht mehr nach Großbritannien fliegen. Frau May kann das machen und ich glaube, wenn sie das nicht macht, nachdem sie so laut schon diese Sachen gesagt hat, dann stecken wir wirklich in einer sehr miserablen Lage in Großbritannien, wo wir gebrexittet haben, gerade weil wir über die Stärke von Großbritannien uns groß machen wollten. Und auf einmal sitzen wir da und sind zu feige, etwas zu machen. Dass es uns schaden könnte, das ist natürlich klar, aber das darf kein Grund sein, die nationalen Interessen nicht zu verteidigen. Und wir haben natürlich auch große Fragen über unsere eigenen Geheimdienste. Was tat der Russe eigentlich in Salisbury?
    "Mehr Geld für Verteidigung!"
    Zagatta: Herr Glees, bevor wir da in die Einzelheiten gehen, weil Sie so oft den Brexit und die EU erwähnen. Was erwarten Sie denn da jetzt? Im Moment ist ja Großbritannien noch Mitglied der EU. Vielleicht auch unabhängig davon, weil das ist ja ein ganz fürchterliches Verbrechen, um das es jetzt dort geht. Was konkret erwarten Sie jetzt politisch von der EU oder Staaten wie Deutschland?
    Glees: Ich glaube, dass Deutschland erstens mehr Geld in die Verteidigung reinstecken muss. Das geht nicht mehr, dass Deutschland eine wirtschaftliche Großmacht ist, aber militärisch nicht keine Rolle spielt, aber eine Rolle spielt, die nicht der wirtschaftlichen Macht von Deutschland entspricht. Also mehr Geld für Verteidigung!
    Ich glaube, man könnte auch sagen, der Angriff in Salisbury vor zehn Tagen, das war ein Angriff unter Artikel fünf des NATO-Vertrages. Das ist doch ein Angriff auf alle!
    "In Großbritannien laufen potenzielle russische Killer herum"
    Zagatta: Aber da wird doch niemand jetzt militärisch reagieren wollen.
    Glees: Natürlich nicht. Das ist nicht ein militärischer Schlag gegen Großbritannien, obwohl Nervenwaffen sind Waffen. Die werden auch in Syrien von Russland gebraucht und wir dürfen nicht einfach sagen, dass das kein Angriff ist. Aber natürlich: Kein vernünftiger Mensch will mit militärischem Eingreifen drohen. Das wäre unsinnig. Aber es gibt viele Sachen, die man machen kann, um Russland die Lehre zu geben, dass wir es eigentlich nicht mehr haben wollen, dass Russen nach London kommen und Leute umbringen.
    Und man darf auch nicht vergessen: Vor zehn Tagen in Salisbury wurde angenommen, dass es ein oder zwei Leute da waren, die diese Leute zu vergiften versucht haben. Das heißt, in Großbritannien laufen potenzielle russische Killer und Gangster herum. Das ist nicht hinzunehmen.
    Zagatta: … sagt der britische Politikwissenschaftler Anthony Glees. Herr Glees, ich bedanke mich ganz herzlich für dieses Gespräch mit Ihnen. Ich hätte gerne auch noch weiter mit Ihnen gesprochen, aber unsere Nachrichten kommen bald.
    Glees: Vielen Dank, Herr Zagatta.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.