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Vor 60 Jahren
Die Europäische Südsternwarte wird gegründet

Neben den Weltraumteleskopen Hubble und James Webb gibt es auf der Erde Instrumente, die noch viel scharfsichtiger ins Universum blicken. Zu den besten Observatorien weltweit zählt die vor 60 Jahren gegründete Europäische Südsternwarte ESO in Chile.

Von Dirk Lorenzen | 05.10.2022
Der vor kurzem entdeckte Komet Lovejoy (M) ist am 22.12.2011 in der Dämmerung am Horizont Weihnachtsgeschenk für Astronomie-Fans von der Paranal-Observatorium der ESO in Chile aus zu sehen. Der Himmelskörper habe unerwartet seine Passage an der Sonne überlebt, wie die Europäische Südsternwarte (Eso) mitteilte. Sichtbar sei der Komet allerdings nur von der Südhalbkugel aus. Sein heller Schweif ist mehrere Millionen Kilometer lang und besteht aus Staubpartikeln, die vom Sonnenwind davongetrieben werden. Foto: Gabriel Brammer/ESO dpa (zu dpa 1257 am 27.12.2011) ++
Das Paranal-Observatorium der Europäischen Südsternwarte (ESO) in der chilenischen Atacama-Wüste gehört zu den weltweit leistungsstärksten Spiegelteleskopen. (picture alliance / dpa / Gabriel Brammer)
Die Atacama-Wüste im Norden Chiles. Kein Baum, kein Strauch, Staub und Geröll so weit das Auge reicht – aus der schier endlosen Ödnis ragt ein Berg mit sanften Flanken heraus: der Cerro Paranal.
„Den ersten Eindruck von dem Berg, den man von hier hat, ist, dass man diese vier Kuppeln sieht. Es sind ja gar keine Kuppeln mehr, es sind vier fast Skulpturen, die da oben stehen. Im Moment gucken die alle in verschiedene Richtungen“, so Bruno Leibundgut, Astronom an Europas Südsternwarte.

Weltweit leistungsstärkste Spiegelteleskope

Die silbrig glänzenden Schutzbauten des Very Large Telescope VLT erscheinen so unwirklich, als seien Raumschiffe von Außerirdischen auf dem Gipfelplateau des Paranal gelandet. Darin befinden sich die weltweit leistungsstärksten Spiegelteleskope. Mit ihnen blicken Bruno Leibundgut und Fachleute aus aller Welt Nacht für Nacht in die Tiefen des Alls. „Es ist ein unheimliches Abenteuer, auf das wir uns hier eingelassen haben“, sagt Bruno Leibundgut.

Zusammenarbeit von 16 europäischen Staaten

Dieses Abenteuer begann am 5. Oktober 1962, als Vertreter aus den Niederlanden, Belgien, Schweden, Frankreich und Deutschland die Konvention zur Gründung des European Southern Observatory unterzeichneten, kurz ESO. Inzwischen betreiben 16 Länder Europas gemeinsam Astronomie. Die Zentrale der Europäischen Südsternwarte befindet sich in Garching bei München, die Teleskope stehen in Chile.
Aus der kühnen Idee von einst ist eine grandiose Erfolgsgeschichte geworden, erklärt der frühere ESO-Generaldirektor Harry van der Laan: „Vor Jahren war es noch so, dass die Amerikaner sehr skeptisch waren gegenüber der europäischen Astronomie – etwas chauvinistisch, das sind sie zum Teil heute noch – und meinten, alles, was wichtig ist, passiert in Amerika. Wir mussten beweisen, dass es auch anders sein kann.“

Auszeichnung mit drei Nobelpreisen

Weil in Europa schlechtes Wetter und viel Kunstlicht den Blick ins All trüben, fiel die Wahl auf Chile. Dort hat das ESO-Team ein Observatorium in die Wüste gestellt, das weltweit seinesgleichen sucht. Mit den Teleskopen in der Atacama haben die Fachleute Planeten bei anderen Sternen beobachtet, das Schwarze Loch im Zentrum unserer Milchstraße vermessen und entdeckt, dass sich das Universum immer schneller ausdehnt – diese drei Projekte wurden in den vergangenen Jahren alle mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.
Von amerikanischer Überheblichkeit ist schon lange keine Rede mehr. Richard Ellis vom California Institute of Technology erkennt die Leistung der konkurrierenden Kollegen ohne Zögern an: „Die Europäische Südsternwarte hat die Astronomie weltweit phänomenal verändert. Die ESO ist heute eine der großen internationalen Einrichtungen. Wir arbeiten alle zusammen. Aber zweifellos sind die wissenschaftlichen Fortschritte der Europäer in Chile herausragend wichtig.”

Suche nach Planeten, auf denen Leben existieren könnte

Schon suchen die Astronominnen und Astronomen nach Planeten in der Milchstraße, auf denen Leben existieren könnte. Zudem wollen sie das Rätsel lösen, woraus genau unser Kosmos aufgebaut ist – ob es wirklich die ominöse Dunkle Materie gibt, die zwar nicht leuchtet, sich aber mit ihrer Anziehung auf sichtbare Objekte verrät.
60 Jahre nach der Gründung in eher bescheidenem Rahmen steht Europas Himmelsforschung nun so gut da wie nie zuvor, freut sich Bruno Leibundgut: „Wenn man sich die Geschichte der ESO anguckt und wie das entstanden ist: Der Otto Heckmann hat sein Büro in Hamburg gehabt und eine Sekretärin, das war dann schon die ESO. Jetzt sprechen wir davon, dass wir 40-Meter-Teleskope bauen. Das bekannte Universum ist in diesem Zeitraum ja auch gigantisch größer geworden, wenn man so will.  Diese Möglichkeiten sind faszinierend. Ich sehe da viele Dinge, viele Beobachtungen, die wir in den nächsten Jahren noch tun können und müssen, um das Universum besser verstehen zu können.“

Blick in den letzten Winkel des Universums

Das ESO-Team arbeitet bereits am nächsten Sprung nach vorn: Das „Extrem Große Teleskop“ ELT mit fast 40 Metern Durchmesser ist auf einem Nachbarberg des Paranal schon knapp zur Hälfte fertig. Die Spiegelfläche ist mehr als zwanzigmal größer als die der heutigen Instrumente. Mit dem neuen Riesenteleskop blicken Europas Astronomen bald buchstäblich in die letzten Winkel des Universums.