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Vor 50 Jahren
Als beide deutsche Staaten ein Transitabkommen schlossen

Es war der erste Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR: am 17. Dezember 1971 unterzeichneten sie in Bonn ein Transitabkommen, das Bundesbürgern die zuvor meist schikanösen Einreisen nach West-Berlin erleichterte.

Von Otto Langels | 17.12.2021
7. Dezember 1971: Das Berlin-Transit-Abkommen wird durch Bundeskanzleramt-Staatssekretär Egon Bahr (vorne rechts) und DDR-Staatssekretär Michael Kohl (vorne links) im Gobelin-Saal im Palais Schaumburg in Bonn unterzeichnet
7. Dezember 1971: Das Berlin-Transit-Abkommen wird durch Bundeskanzleramt-Staatssekretär Egon Bahr (vorne rechts) und DDR-Staatssekretär Michael Kohl (vorne links) im Gobelin-Saal im Palais Schaumburg in Bonn unterzeichnet (picture-alliance / dpa)
„Teilweise musste man den Kofferraum aufmachen, die Wagen wurden durchsucht.“ - „Erheblich langsamer, erheblich mühseliger. Man brauchte bis zu sieben, acht Stunden.“ – „Wo man noch an die Baracken musste, Geld bezahlen, dann musste man die Gegenstände aufschreiben, die man dabeihatte, Tank aufmachen, reingestochert.“
Erinnerungen von Bundesbürgern, die auf den Transitstrecken von und nach West-Berlin bis Anfang der 1970er-Jahre langwierige Kontrollen und Schikanen über sich ergehen lassen mussten.  Proteste waren angesichts der politischen Eiszeit zwischen Bonn und Ost-Berlin zwecklos. Der CDU-Politiker Heinrich Lummer erinnerte sich  ungern an Autofahrten von West-Berlin nach Bayern oder Niedersachsen: „Wenn jemand durch die DDR gereist ist, dann hatte er im Regelfall immer so ein bisschen ein Gefühl der Beklemmung.“ 

Das Viermächte-Abkommen als conditio sine qua non

Die neue Ostpolitik der sozialliberalen Regierung unter Willy Brandt leitete eine politische Wende ein. Der Moskauer Vertrag vom August 1970 und das Viermächte-Abkommen vom September 1971 entspannten das Verhältnis zwischen Ost und West und machten den Weg frei für deutsch-deutsche Verhandlungen. Der Gegenstand: der ungehinderte Transitverkehr zwischen der Bundesrepublik und West-Berlin.

Wie schwierig die Gespräche zwischen Bonn und Ost-Berlin zunächst verliefen, machte Egon Bahr deutlich, Staatssekretär im Bundeskanzleramt und westdeutscher Verhandlungsführer:
„Wir sind mehr als einmal am Rande dessen gewesen zu sagen, es geht halt nicht. Es ist eben ungeheuer schwierig, wenn diese beiden Regierungen, die seit 20 Jahren und mehr nebeneinander existieren, aber kaum voneinander Notiz genommen haben, jedenfalls nie miteinander geredet haben und noch nie ein Abkommen geschlossen haben.“

Dicke Bretter zu bohren: Hatte Bonn überhaupt ein Mandat für West-Berlin?

15 Monate dauerten die Verhandlungen, 75mal trafen sich die Delegationen. Strittig war unter anderem: Kann Bonn überhaupt für West-Berlin als nicht-konstitutivem Teil der Bundesrepublik sprechen? Garantiert Ost-Berlin auch ehemaligen DDR-Flüchtlingen mit westdeutschem Pass die sichere Durchreise? Lässt sich verhindern, dass DDR-Bürger die Transitstrecken als Fluchtwege in den Westen nutzen? 
Am 17. Dezember 1971 kamen die beiden Unterhändler, die Staatssekretäre Egon Bahr und Michael Kohl, im Bonner Palais Schaumburg zusammen, um das Transitabkommen zu unterzeichnen. Und der Rundfunk berichtet:
„Beide Herren paraphieren das Abkommen, und die Anhänge, also zweimal. Dieses Abkommen wird für die Berliner und für die Bürger der Bundesrepublik auf den Transitstraßen wesentliche Erleichterungen bringen.“
Nach der Unterzeichnung erklärte der DDR-Unterhändler Michael Kohl: „Dass es möglich war, zwischen der DDR und der BRD ein Abkommen zu paraphieren, das der Entspannung dient, ist ein Beweis dafür, was erreicht werden kann, wenn entsprechende Verständigungsbereitschaft an den Tag gelegt wird.“

Sein Gegenüber Egon Bahr hob hervor: „Vor fast genau drei Monaten haben die Botschafter der vier Mächte ihre Arbeit mit Erfolg beendet. Dies mindert in keiner Weise die Bedeutung der Tatsache, dass es zum ersten Mal gelungen ist, zu einer Einigung über ein Abkommen zwischen den Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zu gelangen.“

Durchbruch für einen Transitverkehr  "ohne Behinderung"

Das Abkommen wurde abgeschlossen in dem Bestreben, „einen Beitrag zur Entspannung in Europa zu leisten“, wie es in der Präambel heißt: Es umfasst 21 Artikel.
Artikel 2: Der Transitverkehr wird erleichtert werden und ohne Behinderung sein.
Artikel 3: Der Transitverkehr erfolgt über die vorgesehenen Grenzübergangsstellen und Transitstrecken.
Artikel 4: Für Transitreisende werden Visa an den Grenzübergangsstellen der Deutschen Demokratischen Republik erteilt.“
Die weiteren Artikel regelten den Güterverkehr sowie den Personenverkehr in durchgehenden Zügen. Untersagt war, die Transportmittel und das Gepäck der Reisenden zu durchsuchen. Für die Gebühren und Kosten wurde für die Jahre 1972 bis `75 eine Pauschalsumme von 234,9 Millionen DM jährlich vereinbart.
Am 3. Juni 1972 trat das Abkommen in Kraft; der erste von mehreren Verträgen zwischen beiden Regierungen, um die deutsche Teilung erträglicher zu gestalten.