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Klimaphänomen El Niño
Meteorologe: Globale Erwärmung kann Folgen für Europa verstärken

El Niño - das Christkind: So tauften südamerikanische Fischer ein Klimaphänomen, das seinen Höhepunkt meistens zur Weihnachtszeit erreicht. Die Folgen dieser Oberflächenerwärmung des Pazifiks sind weltweit spürbar - und könnten sich durch den Klimawandel noch verstärken, warnt der Klimaforscher Mojib Latif im DLF. Auch Europa würde das zu spüren bekommen.

Mojib Latif im Gespräch mit Lennart Pyritz | 10.12.2015
    Mojib Latif, deutscher Meteorologe, Klimaforscher, Hochschullehrer und Autor.
    Durch den Klimawandel könnten sich die El Niño-Ereignisse intensivieren, meint der Klimaforscher Mojib Latif im Interview mit dem Deutschlandfunk. (picture alliance / dpa / Erwin Elsner)
    Lennart Pyritz: Bald ist Weihnachten. Und um diese Zeit tritt in unregelmäßigen Abständen ein Klimaphänomen auf, dem südamerikanische Fischer den Namen El Niño gegeben haben – das Christkind. Gekennzeichnet ist es durch ungewöhnlich warme Oberflächentemperaturen des äquatorialen Pazifik. Die Folgen für das Wetter sind weltweit zu spüren.
    In diesem Jahr warnen Wissenschaftler vor einem besonders starken El Niño. Vor der Sendung habe ich mit Professor Mojib Latif telefoniert. Er untersucht am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel Meereszirkulation und Klimadynamik. Ich habe zuerst gefragt, anhand welcher Daten Klimaforscher eigentlich das Entstehen eines El Niños prognostizieren...
    Mojib Latif: El Niño ist ja eine Erwärmung des tropischen Pazifiks an der Oberfläche, die dann sehr viele verschiedene Auswirkungen auf das Klima nicht nur im pazifischen Raum, sondern auch in anderen Gegenden hat. Und die Vorboten dieses Phänomens, die finden wir nicht an der Oberfläche, sondern unterhalb der Oberfläche, und deswegen brauchen wir Messungen aus Tiefen von 50, 100, 200 Metern insbesondere der Temperatur, denn dort erwärmt sich das Wasser zuerst und das setzt sich dann letzten Endes an die Oberfläche fort.
    Pyritz: Kann man aus vergangenen Erfahrungen sagen, wie zuverlässig diese Prognosen sind über die Stärke eines El Niños?
    Latif: Die Stärke ist nicht so gut vorhersagbar, insbesondere nicht über längere Zeiträume. Das liegt einfach daran, dass es eine Lücke in der Vorhersage-Qualität gibt, und die gibt es im Frühjahr. Das heißt, man kann nicht durch das Frühjahr hindurch vorhersagen. El Niño - deswegen heißt der El Niño ja so - erreicht seinen Höhepunkt meistens um die Weihnachtszeit. Wenn man jetzt vom Januar oder Februar beispielsweise aus einen El Niño vorhersagen möchte, dann muss man durch den Frühling, und das klappt nicht sehr gut.
    Aber wenn der Frühling vorbei ist, also im Sommer, dann sind die Vorhersagen schon außergewöhnlich gut und dann hat man auch die Messungen aus der Tiefe, die man in die Modelle einspeisen kann, und mithilfe dieser Messungen kann man dann auch einigermaßen gut die Stärke vorhersagen.
    El Niños Folgen: starke Trockenheit und heftiger Regen
    Pyritz: In diesem Jahr gab es ja bereits einige extreme Wetterereignisse. Um ein paar Beispiele zu nennen: Dürre und Brände in Indonesien, Überschwemmungen im Jemen, einen Rekord-Hurrikan vor Mexiko. Sind das bereits Vorboten dieses El Niños?
    Latif: Ja. Der El Niño ist ja schon voll entwickelt und natürlich sind das Folgen des El Niños. Auf der einen Seite führt der El Niño dazu, dass es gerade in Südostasien sehr starke Trockenheit gibt. Auf der anderen Seite des Pazifiks hat man dann sehr heftige Regenfälle. Wir haben in Kalifornien nach jahrelanger Dürre wirklich sehr heftige Niederschläge gehabt, die dann auch zu Erdrutschen geführt haben. Wir hatten in Südamerika in der Küstenwüste, der Atacama-Wüste Regenfälle, sodass die Wüste erblüht ist.
    Und wir hatten in bestimmten Gegenden, wo sich das Wasser sehr stark erwärmt hatte, beispielsweise vor der pazifischen Küste Mexikos, den stärksten Hurrikan aller Zeiten beobachtet. Gott sei Dank ist der aber mit dieser Stärke dann nicht an Land gerast. Und im Indischen Ozean, der sich auch in Folge des El Niños erwärmt, hatten wir auch einen Hurrikan in Gegenden, wo man sie normalerweise gar nicht findet.
    Pyritz: Lässt sich abschätzen, welchen Einfluss der Klimawandel, der Treibhauseffekt auf das Phänomen El Niño hat?
    Latif: Da streuen die Modelle doch noch ziemlich. Es gibt Modelle, die sagen, dazu gehört auch unser Kieler Modell, dass sich die El Niño-Ereignisse intensivieren werden unter der globalen Erwärmung. Das kann man jetzt anhand der Daten noch nicht nachweisen. Es gibt andere Modelle, die zeigen es nicht. Auffällig ist auf jeden Fall, dass die drei stärksten El Niños seit Beginn der instrumentellen Messung, also seit ungefähr 150 Jahren, in den letzten Jahrzehnten gewesen sind.
    Wir hatten drei sehr starke El Niño-Ereignisse. Das eine war 1982/83, dann 1997/98 und jetzt das gegenwärtige Ereignis wird auch unter den Top drei sein. 2015/2016 wird auch zu den Top drei gehören und das ist schon etwas auffällig, aber man kann jetzt noch nicht sicher sagen, dass das eine Folge des Klimawandels ist.
    Mögliche Auswirkungen des Klimawandels: extreme Trockenheit im Mittelmeer-Raum
    Pyritz: Was wären denn die klimatischen Folgen in unterschiedlichen Weltregionen, wenn sich das Phänomen El Niño immer weiter verstärken würde?
    Latif: Das sind im Prinzip die gleichen Auswirkungen, die wir jetzt auch typischerweise bei El Niño sehen. Bloß sie würden stärker ausfallen und sie würden dann auch weiter reichen. Im Moment ist die europäische Region eigentlich eher nicht betroffen. Man kann zwar nachweisen, dass es da einen Zusammenhang gibt, aber der ist doch sehr, sehr schwach. Das würde sich natürlich ändern.
    Sowohl Nordeuropa als auch Südeuropa würden dann sehr stark auch unter den Einfluss des El Niños geraten und wir hätten dann beispielsweise extreme Trockenheit im Mittelmeer-Raum. Das würde dann bis in den Nahen Osten reichen. Andererseits hätten wir auch im indischen Bereich, im indischen Monsun extreme Rückgänge zu erwarten.
    Pyritz: Den Klimawandel jetzt mal außen vor gelassen, ist der El Niño ja ein natürliches Wetterphänomen. Inwiefern profitieren denn auch Regionen davon beziehungsweise haben sich Ökosysteme auf diese klimatischen Bedingungen eingestellt?
    Latif: Natürlich haben sich die Ökosysteme darauf eingestellt. Eine Geschichte, die für uns Menschen ganz relevant ist: Es gibt zwar mehr Hurrikans - im Pazifik heißen sie Taifune - in bestimmten Gegenden des Pazifiks, wenn El Niño auftritt. Aber umgekehrt im atlantischen Raum, da gibt es dann deutlich weniger Hurrikans. Das ist jetzt gerade für die Region natürlich schon ein Segen, wenn es nicht zu viele Hurrikans gibt.
    Andererseits gibt es dann in bestimmten Regionen - ich habe die Atacama-Wüste angesprochen - tatsächlich diese enorme Explosion des Lebens, der Pflanzen, und das braucht so eine Wüste natürlich auch, denn ganz ohne Regen kommen auch solche trockenen Gebiete nicht aus.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.